In Libyen tobt ein blutiger Bruderkrieg. Gegen alle Appelle des Westens setzt der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi seine Militäroffensive fort. Die Aufständischen leisten erbitterten Widerstand und kontrollieren weite Teile im Osten des Landes. Die Zahl der Toten und Verletzten stieg am Montag weiter. Angesichts der bürgerkriegsähnlichen Zustände reiste ein Erkundungsteam der Europäischen Union nach Libyen, wo auch Diplomaten der Vereinten Nationen erwartet wurden.
Gaddafi soll Kontakt zum Nationalrat der Aufständischen in Bengasi aufgenommen haben, angeblich um vorzuschlagen, dass er mit seiner Familie ins Exil geht. Dabei soll er als Bedingung genannt haben, dass er mitsamt seinem Vermögen ausreisen kann, wie die arabische Zeitung «Al-Sharq Al-Awsat» berichtete. Die Übergangsregierung der Aufständischen habe auf diesen Vorschlag, der ihnen von einem Vermittler unterbreitet worden sei, noch nicht reagiert.
EU-Mission
Die EU-Mission unter Leitung des italienischen Krisenexperten Agostino Miozzo dient der Vorbereitung des Libyen-Sondergipfels an diesem Freitag in Brüssel. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte, die internationale Gemeinschaft werde nicht tatenlos hinnehmen, dass die libysche Regierung das eigene Volk bekämpft.
Vor allem entlang der Küstenlinie versuchen die Truppen Gaddafis, an die Rebellen verlorene Städte zurückzuerobern. Dabei rücken sie mit Hubschraubern, Kampfflugzeugen und Panzern vor. Ein Brennpunkt des Konflikts ist die nach Tripolis und Bengasi drittgrößte Stadt Misurata im Westen des Landes, wo sich Gaddafis Truppen zuletzt Häuserkämpfe mit den Rebellen lieferten. Salah Badi, der Kommandeur der Aufständischen in Misurata, sagte der Nachrichtenagentur dpa, seit 4.00 Uhr sei die Lage in der Stadt ruhig. In der Nacht seien die Truppen Gaddafis mit 42 Militärfahrzeugen und sieben Panzern in die Stadt eingedrungen.
Opfer auf beiden Seiten
Die Soldaten hätten sich heftige Gefechte mit den Aufständischen geliefert und sich dann wieder aus der Stadt zurückgezogen. Zwei Panzer seien von den Regimegegnern zerstört worden. Mehr als 40 Menschen starben. 24 Soldaten und Söldner sowie 17 Aufständische und ein zwei Jahre altes Mädchen seien ums Leben gekommen, sagte Badi.
Opfer auf beiden Seiten
Auch im Osten wurde rund um Bin Dschawad an der Mittelmeerküste gekämpft. In dem Ort, der am Wochenende zunächst von den Rebellen eingenommen und dann von Gaddafis Truppen zurückerobert worden war, starben am Sonntag nach Angaben eines Krankenwagenfahrers sieben «Revolutionäre». 65 Menschen seien zum Teil schwer verwundet worden.
Weitere Schauplätze des Konflikts sind Al-Sawija 50 Kilometer westlich von Gaddafis wichtigster Machtbasis Tripolis, dessen Heimatstadt Sirte und Ras Lanuf an der «Frontlinie». Der Fahrer eines Krankenwagens sagte, seit Sonntag seien 59 Verletzte in das Krankenhaus von Ras Lanuf gebracht worden. In der Klinik würden auch ein französischer Reporter und ein amerikanischer Journalist behandelt, die beide während ihrer Berichterstattung von der Front verletzt worden seien.
UN-Team nach Tripolis
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ernannte den früheren jordanischen Außenminister Abdul Ilah Chatib zum Sondergesandten. Der libysche Außenminister Mussa Kussa habe in einem Telefonat mit Ban der sofortigen Entsendung eines UN-Teams nach Tripolis zugestimmt, teilte ein UN-Sprecher in New York mit.
Die Vereinten Nationen baten angesichts der Not der Zivilisten in Libyen um Spenden in Höhe von 160 Millionen Dollar (114 Millionen Euro). Damit soll die humanitäre Hilfe für die kommenden drei Monate gesichert werden. Mit dem Geld sollen Flüchtlinge und die Menschen im Land selbst unterstützt werden – unter anderem mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe.
200.000 geflohen
Nach Angaben der EU-Kommission sind von insgesamt 200.000 Menschen, die aus Libyen über die Grenzen nach Tunesien und Ägypten geflohen sind, bisher etwa 60.000 in Sicherheit gebracht worden. Von 8.000 evakuierungswilligen EU-Bürgern seien bis auf 80 alle außer Landes gebracht worden. Die anderen folgten in Kürze.
International werden Rufe nach einer Militärintervention lauter. «Wenn Gaddafi und seine Militärs weiterhin die libysche Bevölkerung systematisch angreifen, kann ich mir nicht vorstellen, das die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen tatenlos dabei zuschauen», sagte Nato-Generalsekretär Rasmussen am Montag in Brüssel. Die Verletzung der Menschenrechte durch die Herrschenden sei «ungeheuerlich». Es handele sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Rasmussen bekräftigte, die Nato werde vorbereitet sein, falls der UN-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone über Libyen genehmige. Derzeit sei ein Militäreinsatz aber nicht geplant, weil es kein UN-Mandat gebe.
«Kein Videospiel»
Nach Verteidigungsminister Robert Gates äußerte sich auch der neue Stabschef im Weißen Haus, Bill Daley, zurückhaltend. «Eine Menge Leute reden über eine Flugverbotszone, als wäre es (…) ein Videospiel oder so etwas», sagte er dem US-Sender NBC. «Wer darüber auf diese Weise redet, hat keine Ahnung, wovon er spricht.»
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