Dienstag23. Dezember 2025

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Die Welt war noch nie so friedlich

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Obwohl täglich Soldaten, Terroristen und Amokläufer Menschen töten, soll die Gewalt weltweit dramatisch geschrumpft sein. Das behauptet ein Harvard-Wissenschaftler.

Gewalt ist allgegenwärtig. Täglich sterben Menschen bei Terroranschlägen in Afghanistan, Irak und Pakistan, in blutigen arabischen Revolutionen, im mexikanischen Drogenkrieg oder bei Amokläufen. Doch historisch gesehen war die Welt noch nie so friedlich wie heute.

So lautet die These des renommierten Psychologen Steven Pinker von der Universität Harvard. Diese unterlegt er in seinem neuen Buch «Die besseren Engel unseres Wesens: Warum sich die Gewalt auf dem Rückzug befindet» mit Dutzenden Statistiken. Demnach sind im historischen Vergleich Kriegstote, häusliche Gewalt, Rassismus, Vergewaltigungen und Mord dramatisch zurückgegangen.

Gewalt war früher allgegenwärtig

Tatsächlich hat die Anzahl kriegerischer Auseinandersetzungen zugenommen, aber es kommen dabei immer weniger Menschen ums Leben. Im Verhältnis zur Bevölkerung gerechnet ist die Anzahl Kriegstoter in den vergangenen Jahrhunderten um den Faktor 1000 gesunken. Im 19. Jahrhundert starben in Frankreich in einer durchschnittlichen Schlacht 70 Menschen auf 100.000 Einwohner. Im 20. Jahrhundert sank diese Zahl trotz Weltkriegen und Völkermorden auf 60 Menschen. Inzwischen beträgt sie 0,3 Menschen. Vergewaltigungen sind in den USA seit 1973 um 80 Prozent gesunken, während Lynchmorde völlig verschwunden sind. Früher waren es rund 150 pro Jahr.

Wem Statistiken zu abstrakt sind, ruft Pinker einige Kapitel aus der grausamen Menschheitsgeschichte in Erinnerung: «Man vergisst gern, wie gefährlich und brutal der Alltag früher war», schreibt er und zitiert aus der Bibel, wo Mord, Vergewaltigung und Sklaverei allgegenwärtig sind. In den 39 Büchern des Alten Testaments sterben schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen einen gewaltsamen Tod. Er beschreibt die Foltermethoden des Mittelalters und wie sich die Brutalität in volkstümlichen Märchen wie Schneewittchen niederschlug.

Dass die Öffentlichkeit seinen Thesen mit Skepsis begegnet, begründet Pinker mit den Medien: «Gleichgültig wie klein der prozentuale Anteil gewaltsamer Todesfälle ist, in absoluten Zahlen wird es immer genügend davon geben, um die Abendnachrichten zu füllen», schreibt er. Anders gesagt: Wer die ganze Zeit Gewalt sieht, hält die Welt automatisch für gewalttätig. Selbst der Terrorismus – mit der Ausnahme von 9/11 – führe zu vergleichweise wenigen Toten, verursache aber große Angst.

Bei den Gründen herrscht Uneinigkeit

Als Hauptgrund für die abnehmende Gewalt sieht Pinker die steigende Intelligenz des Menschen. IQ-Tests haben gezeigt, dass ein durchschnittlicher Teenager mit jeder Generation klüger wird. «Höhere Intelligenz führt zu einer freundlicheren, sanfteren Welt», schreibt er. Es gibt aber auch andere Erklärungen: UNO-Mitarbeiter verweisen auf den positiven Effekt von Friedensmissionen, NGOs und Weltbankkrediten. Andere betonen die militärische Macht der USA und der Nato, die auf potentielle Kriegstreiber abschreckend wirke.

Pinker betont allerdings, dass die Fortschritte nicht unumkehrbar sind. Oder wie sein Kollege Joshua Goldstein, Professor für internationale Beziehungen an der American University in Washington D.C. festhält: Eine einzige Atomwaffe könnte den Trend wieder umkehren.