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Der tägliche Kampf

Der tägliche Kampf
(Felipe Dana)

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Der verarmte Nordosten Brasiliens leidet besonders unter dem Zika-Virus. Zu den mutmaßlichen Opfern gehört die Familie Santos: Ihr Baby Pedro kam mit einem viel zu kleinen Kopf auf die Welt.

Im vierten Schwangerschaftsmonat bekam Daniele Ferreira dos Santos hohes Fieber. Auf ihrer Haut bildeten sich rote Flecken. Die junge Brasilianerin wurde schnell wieder gesund.

Doch ein paar Wochen später erwartete sie bei einer Vorsorgeuntersuchung eine Schocknachricht: Ihr ungeborenes Baby hatte eine schwere Hirnverletzung erlitten. Als der kleine Juan Pedro Campos dos Santos im Dezember zur Welt kam, hatte sein Schädel einen Umfang von nur 26 Zentimetern, etwa 20 Prozent weniger als normal.

Bei der Mutter wurde niemals offiziell eine Zika-Infektion diagnostiziert. Doch Santos macht das Virus für die Fehlbildung ihres Sohnes verantwortlich. Ihre Heimatstadt Recife im nordöstlichen Staat Pernambuco liegt im Zentrum der Verbreitung des Zika-Virus. Pedro gehört zu 3700 bestätigten oder mutmaßlichen Fällen von Mikrozephalie in Brasilien, die mit dem Virus in Verbindung stehen könnten. Der Zusammenhang konnte allerdings noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden.

Das aus ursprünglich aus Afrika stammende Virus breitete sich nach Asien aus und wurde Mitte vergangenen Jahres erstmals in Brasilien festgestellt. Schnell verbreitete es sich im verarmten Nordosten des Landes. Die äquatoriale Hitze und das häufige Vorkommen der Mückenart Aedes aegypti, die auch das Dengue- und das Chikungunya-Fieber überträgt, begünstigten die Ausbreitung.

«Es ist der sprichwörtliche perfekte Sturm»

«Es ist der sprichwörtliche perfekte Sturm», sagt der Epidemiologie-Professor Albert Ko von der medizinischen Fakultät der renommierten Yale-Universität. Wahrscheinlich sei das Zika-Virus sogar im Nordosten Brasiliens erstmals ins Land gelangt. Forscher vermuten, dass es von ausländischen Touristen eingeschleppt wurde, etwa von Besuchern der Fußball-Weltmeisterschaft 2014.

Auch für die Familie Santos und ihre Nachbarn gehören Mücken unweigerlich zum Leben dazu. Sie wohnen im Armenviertel Apipucos, wo das Abwasser durch die Straßen rinnt, der Regen sich in stinkenden Pfützen sammelt und sich am Ufer eines Teichs der Müll türmt. Jede alte Limonadenflasche, jeder Joghurt-Becher und jede Margarine-Schachtel bieten den idealen Nährboden für die Stechmücken.

«Ganz Recife ist voll von Moskitos», sagt Santos, die als Rezeptionistin arbeitet. «Wenn ich mich nicht zu Hause angesteckt habe, dann auf der Arbeit. Wir wissen alle, dass das Risiko hoch ist.»

Schon einmal erfolgreich ausgerottet

Doch die Gefahr war nicht immer so groß. Brasilien hatte die Aedes-Mücke in den 1940er und 50er Jahren schon einmal erfolgreich ausgerottet. 1958 war das Land für moskitofrei erklärt worden. Im Laufe der Jahrzehnte kehrte das Insekt aber zurück, das sich gut an Menschen anpassen kann, in Häusern lebt und dem schon eine Flaschenkapsel mit stehendem Wasser als Brutstätte genügt. Vermutlich kam es durch Nachbarländer wieder nach Brasilien.

In den dort ungeplant aus dem Boden schießenden Städten mit ihren mangelhaften Gewässersystemen und schlecht funktionierender Müllabfuhr fanden die Mücken für sie günstige Bedingungen vor, wie die Infektologin Ceuci Nunes erklärt. «Wegen der unzuverlässigen Wasserverteilung sammeln vor allem in ärmeren Gebieten viele Menschen Wasser in Tanks», sagt die Ärztin vom Couto-Maia-Krankenhaus in der Stadt Salvador im Nordosten des Landes. «Das schafft ein ideales Brutgebiet für die Mücken. Das gleiche gilt für Müll, der oft nicht eingesammelt wird.» Zudem unternahmen die Behörden nach Ansicht der Expertin zu wenig gegen die Ausbreitung der Mücken, die zu einer Rekordzahl an Fällen von Dengue-Fieber in den vergangenen Jahren führte.

Eine Aufklärungskampagne

Angesichts der sich zuspitzenden Gesundheitskrise hat Präsidentin Dilma Rousseff der Aedes-Mücke den Krieg erklärt. Ihre Regierung sagte zu, 220 000 Soldaten für eine Aufklärungskampagne vor Ort abzustellen. Doch die Betroffenen befürchten, dass sich das als hohles Versprechen herausstellen könnte.

Recife bat die Bundesregierung nach Angaben des städtischen Gesundheitsdezernenten Jailson Correia schon im November um umgerechnet 6,4 Millionen Euro für die Bekämpfung der Aedes-Mücken. Damals kam ein erster Verdacht auf, dass ein Zusammenhang zwischen Zika-Virus und Mikrozephalie bestehen könnte. Die Zahlung kam schließlich im Januar und entsprach nicht einmal 300 000 Euro.

So beschränken sich die Maßnahmen in Recife bisher weitgehend auf Appelle an die Bevölkerung, Mückenstiche möglichst zu vermeiden – fast ein Ding der Unmöglichkeit. Die Sorge vor dem Zika-Virus löste in der Stadt einen Ansturm auf Mückenschutzmittel aus. An den wenigen Orten, an denen die ohnehin teuren Mittel noch erhältlich sind, werden dafür inzwischen astronomische Preise verlangt. Am Flughafen von Recife kostet eine kleine Flasche umgerechnet fast acht Euro – ein Vermögen in einer Region, in der das Pro-Kopf-Einkommen im Monat nicht einmal 150 Euro entspricht.

Die Regierung verspricht inzwischen, an ärmere Schwangere kostenlos Mückenschutzmittel zu verteilen. Für die junge Mutter Santos ist das ein schwacher Trost. Auf die Frage, ob sie einen Insektenschutz habe, lacht sie nur.