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Im «Sonderzug für Frauen» zur Arbeit

Im «Sonderzug für Frauen» zur Arbeit

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Der Zug fährt in Jakarta ein, und Wiwit Wahyuningsih lässt sich auf den rosa gepolsterten Sitz fallen - in einem Wagen nur für Frauen. Ein tolles Gefühl, findet die Studentin: nicht befürchten zu müssen, angestarrt, gekniffen oder gar begrapscht zu werden.

«Die Züge sind immer so überfüllt, da sind Tausende Leute zusammengedrängt», sagt die 19-Jährige beim Aussteigen. «Besonders in der Hauptverkehrszeit morgens und abends kommt es ständig vor, dass man von Männern bedrängt oder angefasst wird, absichtlich oder nicht.»

Da sollen die «Sonderzüge für Frauen» Abhilfe schaffen, die nach einem vorangegangenen Probelauf am Freitag regulär in Betrieb gingen. Indonesien ist das Land mit der zahlenmäßig stärksten muslimischen Bevölkerung der Welt, aber durchaus weltlich. Frauen mit Kopftuch – ob aus religiösen oder modischen Gründen – spazieren mit lässig in Shorts und knappe Tops gekleideten Freundinnen durch die Einkaufsmeilen, in den Cafés flirten die Teenager, und Arbeitskollegen und -kolleginnen gehen gemeinsam Mittagessen. Von Moscheen und religiös orientierten Schulen abgesehen, findet Geschlechtertrennung nur selten statt.

Spottlied über schleimigen Lustgreis

Doch nach bergeweise Beschwerdebriefen von Frauen beschloss die staatliche Bahngesellschaft PT Kereta Api Indonesia, zwei der acht Wagen aller Pendlerzüge zwischen der Hauptstadt und den Vororten für weibliche Fahrgäste zu reservieren. Immer mehr Frauen stehen im Arbeitsleben, und sie stellen inzwischen die Hälfte der täglich 500.000 Fahrgäste im Großraum Jakarta. «Wir müssen sie schützen», erklärt Bahnsprecher Makmur Syaheran. Wenn das Angebot angenommen werde, könne es später auf weitere Strecken ausgeweitet werden.

Berichte über sexuelle Belästigung machten in den vergangenen Monaten Schlagzeilen in den Lokalblättern und waren Gegenstand zahlreicher Kommentare. Auch in Blogs und Netzwerken wie Facebook und Twitter sind sie ein vieldiskutiertes Thema. Auf dem Höhepunkt der Debatte wurde auf YouTube ein Video zweier Teenager mit einem Liedchen über «Keong Racon» (giftige Schnecke) ein Hit, über einen schleimigen Lustgreis, der hartnäckig einem jungen Mädchen nachsteigt. Mit über 3,6 Millionen Klicks wurde das Video über Nacht zur Sensation.

Kein Stress, keine Belästigung

Die männerfreie Zone im Zug wurde rasch erobert; alle 58 Plätze in jedem der beiden Wagen waren im Nu besetzt, viele Pendlerinnen mussten stehen. Manche griffen gleich zum Handy, andere unterhielten sich angeregt. Die Akupunkteurin Asmawati, die seit 15 Jahren jeden Tag nach Jakarta zur Arbeit fährt, ist angetan von dem neuen Angebot. «Das ist so stressfrei, ich liebe es», sagt die 41-Jährige. «Sauber, klimatisiert, keiner macht dich an… Ich hoffe, sie behalten das bei.» Das findet auch Yanti Sumarni. Die 28-Jährige berichtet, wie ein Mann sich einmal an sie drängte und seinen Kopf an ihre Schulter lehnte: «Ich hab’s gehasst!» Ihre Freundin Helena findet, dass zwei Wagen gar nicht nicht genug sind. «Schauen Sie! Hier sind über 200 Frauen. Das ist ein guter Anfang, aber wir brauchen wirklich mehr.»

«Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun»

Die Behörden legen Wert auf die Feststellung, dass keine Frau den Extrawagen nehmen muss und gerne weiterhin in die anderen Abteile mit männlichen Fahrgästen steigen darf, wenn sie denn will. Jegliche Trennung, besonders im öffentlichen Raum, könne als Rückschlag für eine moderne, demokratische Gesellschaft betrachtet werden, sagt der Soziologe Imam Prasodjo. Doch die Frauen-Züge müssten im Zusammenhang mit der geltenden Tradition der Gleichberechtigung gesehen werden. «In diesem Fall hat es wirklich nichts mit Diskriminierung zu tun», findet er. Es gebe zwar zweifellos Sexismus, doch arbeiteten Frauen Seite an Seite mit Männern auf dem Reisfeld wie im Bürohochhaus.

«Es geht darum, ihre Fahrt sicherer zu machen. Ich glaube, die meisten werden das begrüßen.» Indonesien ist nicht das erste asiatische Land, das weiblichen Fahrgästen Schutzraum bietet. In Malaysia wurden kürzlich mehrere rosa Bahnwagen eigens für Frauen in Dienst gestellt. In Japan gibt es ein solches Angebot im morgendlichen Berufsverkehr schon seit Jahren. In Indien haben Frauen sogar ganze Züge nur für sich.

apn