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Klangwelten Politpop: „Chris Black Changed My Life“ von Portugal. The Man und ein Blick auf frühere Alben

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Chris Black Changed My Life – 7/10

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Das Album nach der Mainstreamanbiederung wäre wegen eines Sterbefalls, eines Kieferbruchs und Unstimmigkeiten in der Band fast nie erschienen. Auch wenn die Platte vom Tod und politischen Aufruhr geprägt ist, klingt das neunte Album von Portugal. The Man lichtdurchflutet, hat ordentlich viele Hits und Melodien – und fällt streckenweise etwas platt aus.

Ganze sechs Jahre verstrichen seit der Erfolgsplatte „Woodstock“ – eine Zeit, in der Portugal. The Man früher wahrscheinlich sechs Platten geschrieben und veröffentlicht hätten. Aber die Zeit der Genreexperimente und -mutationen ist vorbei, seit „Feel It Still“ ist das Quartett aus Alaska längst kein Geheimtipp mehr, das Gespür für tolle Melodien, das die Band seit dem Debut „Waiter: ‚You Vultures!’“ kennzeichnet und auf „Evil Friends“ mit dem Popappeal eines Danger Mouse verband, führte seit jener Single zu beachtlichem Mainstream-Erfolg.

Grund für die lange Wartezeit war aber nicht nur Frontmann und Sänger John Gourleys mittlerweile akribischer Hang zum Perfektionismus oder das Beiseitelegen der Experimentierfreudigkeit, sondern, ein wenig wie vor kurzem auch bei Josh Homme, eine Reihe an Schicksalsschlägen: Wegen eines Kieferbruchs wusste Gourley eine Zeitlang nicht, ob er überhaupt wieder singen werden könnte, bei seiner zwölfjährigen Tochter, die er mit Ehefrau und Bandmitglied Zoe Manville hat, wurde die seltene degenerative Krankheit DHDDS diagnostiziert.

Zudem erreichte die Band die Nachricht, dass der Filmemacher Chris Black, der die Band auf ihrer letzten Tour als MC begleitete und dessen Funktion es hauptsächlich war, durch seinen Humor und seine Unbeschwertheit das anstrengende Tourleben erträglich zu machen, verstorben war. Dass ein Herzfehler seine Lebenserwartungen reduzierte, hatte Black der Band nie verraten. Für sein Begräbnis ließen sich die Trauernden T-Shirts mit der Aufschrift „Chris Black Changed My Life“ drucken – schnell wurde klar, dass die nächste Platte diesen Titel tragen musste.

Take back what’s yours

 Foto: Wikipedia

Nach dem Tod von Black drohte auch das Bandgefüge zu zerfallen, weswegen die Platte eigentlich, wie zuvor „In the Mountain in the Cloud“, eine Schwergeburt war. Das hört man ihr aber nicht an: Nach „Heavy Games II“, einem kurzen Intro mit Klavier und Gesang, das dem Zuhörer zu verstehen gibt, dass „Chris Black Changed My Life“ weder produktionstechnisch noch kompositorisch ein zweites „Woodstock“ sein will und dessen schöne Melodie im bedrohlicheren „Time’s A Fantasy“ sowie im ausschweifenden Finale „Anxiety:Clarity“ erneut aufgenommen wird, folgen mit dem gospeligen „Grim Generation“, dem makellosen Indiepop „Thunderdome“ und dem groovigen „Dummy“, das gekonnt Hip-Hop-Dynamik mit Akustikgitarren und einem dieser Refrains für die Ewigkeit, die John Gourley seit der ersten Platte mühelos aus dem Ärmel schüttelt, verbindet, gleich drei Tracks, die in die Fußstapfen von „Feel It Still“ treten möchten. Und die trotz melancholischer und politisch engagierter Texte über die Vergänglichkeit und die geschichtlichen Verbrechen US-Amerikas an seinen indigenen Völkern ordentlich Licht in diese Platte lassen.

Auf „Sommer of Love“, das mit seinen Bläsern so sommerlich wie der Titel klingt, dürfen die befreundeten Unknown Mortal Orchestra mitwirken, überhaupt gibt es mit Edgar Winter, dem Rapper Black Thought, Jeff Bhasker, Edgar Winter und Paul Williams eine ganze Menge an Gästen, ganz so, als wolle man das Leben des verstorbenen engen Bandfreundes nicht im kleinen Kreise, sondern mit anderen Mitmusikern würdigen und der Platte zeitgleich eine größere Vielfalt verleihen.

Einigen Tracks wie „Ghost Town“ oder „Sommer of Love“ fehlt es vielleicht ein wenig an Tiefgang, was auch an der etwas eindimensionalen Produktion liegt, andere wie „Doubt“ plätschern etwas gefällig dahin, sodass man sich fragt, wieso es die ausgezeichnete, vor gut einem Jahr erschienene Single „What Me Worry“, die zudem stilistisch zum Klangbild der Platte gepasst hätte, nicht auf das Album geschafft hat.

Diese Durchhänger werden aber durch ein starkes Albumende wieder wettgemacht – auf das eingängige „Plastic Island“ folgt das anfangs ebenso gemütliche „Champ“, an dessen Ende nicht nur Edgar Winters Einlage, sondern ein wildes Finale zwischen Metal, Elektro und Jazz steht, in dem in bester Rage-Against-The-Machine-Manier ein aufgebrachter Sprechgesang die einheimischen Bevölkerungen auffordert, „to take back what’s yours“.

Auch wenn „Chris Black Changed My Life“ es nicht mit Großtaten wie „Waiter: ‚You Vultures!‘“ oder „In The Mountain In The Cloud“ aufnehmen kann, fällt diese eklektische Songsammlung nicht nur überzeugender aus als die schwache Vorgängerplatte, sondern fügt dem Portugal.-The Man-Songkatalog ein paar weitere Highlights hinzu.

Die Diskografie in der Übersicht

Waiter: „You Vultures!“ (2006) 10/10
Waiter: „You Vultures!“ (2006) 10/10

Das Debüt ist gleichzeitig Portugal. The Mans Meisterwerk – wer Album und Bandnamen richtig zitieren will, muss auf Satzzeichen achtgeben, die Platte selbst hört sich im Vergleich dazu geradlinig an. Auf „Waiter: ‚You Vultures!’“ praktiziert das Quintett um John Gourley eine Art Mischung zwischen Postcore, Prog und Indierock, die sich durch das Falsetto des Sängers, die himmlischen Melodien und die Dramaturgie stets nervös zappelnder Songs, die trotz spannender Brüche immer stringent bleiben, charakterisiert. Während 13 perfekt durchdachter Songs scheint die Band stets wie eine fokussierte, weniger streberhafte Version von The Mars Volta zu klingen – und schreibt eine Platte für die Ewigkeit, die auch 17 Jahre später noch revolutionär, eindringlich und frisch klingt.

Church Mouth (2007) 8/10
Church Mouth (2007) 8/10

Wer hoffte, „Church Mouth“ würde noch mehr vom Indie-Postcore-Mix des Debüts bieten, wurde schnell eines Besseren belehrt: Auf der zweiten Platte huldigt die Band dem Blues und Heavy-Rock der 70er, verschiedene Arpeggios und Riffs erinnern an Led Zeppelin, an die White Stripes oder gar an die Black Keys. Ganz gleich, welches stilistische Gewand die Songs umgibt, Tracks wie „Curch Mouth“, „My Mind“ oder „Sleeping Sleepers Sleep“ sind einfach toll komponiert, auch wenn die Hitdichte im Vergleich zum Vorgänger etwas spärlicher ist. Das mag vielleicht daran liegen, dass die Band hier weniger ein Genre erfindet als bereits existierende beansprucht.

Censored Colours (2008) 8/10
Censored Colours (2008) 8/10

„Censoured Colours“ stellt einen erneuten Kurswechsel dar: Zwar werden hier, wie es der tolle Opener „Lay Me Back“ zeigt, die Blueseinflüsse des 70er-inspirierten Vorgängers nicht ganz abgelegt, mit der schönen Ballade „Colors“ geht die Band aber Richtung Gospel und Psychedelia. Ganz gleich, ob in akustischen Kleinoden wie „Created“ oder im vielschichtigen „Salt“ – akustische Gitarren, Orgel und Synthies ergeben eine warme, lebensbejahende Platte, die existenzielle Zweifel mit der Schönheit ihrer Musik erstaunlich pathosfrei hinwegfegt: „I’m not afraid to die/Cause all these colours will change.“ Leider verzettelt sich die zweite Hälfte etwas in Experimenten und verliert mitunter die Songs aus den Augen.

The Satanic Satanist (2009) 7/10
The Satanic Satanist (2009) 7/10

Ab Platte Nummer vier schält sich ein neues Klangbild heraus, das im Laufe der beiden Nachfolgerplatten geschliffen und perfektioniert wird und der Band, die auf ihren ersten drei Alben viel herumexperimentiert hat, eine klarer definierte Identität verleiht. Bei hymnischen Songs wie „People Say“, „Lovers In Love“ oder „The Sun“ stehen die Gesangsharmonien mehr denn je im Vordergrund, die Experimente und stilistische Diversität werden weitgehend zurückgeschraubt, dafür sind die Platte und ihre Tracks fokussierter, klingen wie aus einem Guss und werden von leicht psychedelischen Gitarren, warmen Fender Rhodes und Dream-Pop-Ambiente getragen. Für die einen war es ein erster Wink Richtung Mainstream, für andere ein wichtiger Schritt zur Selbstbestimmung.

American Ghetto (2010) 6/10
American Ghetto (2010) 6/10

Das Heimatland im Titel, die Flagge auf dem Cover: Ab der fünften Platte werden die Herkunft der Band, die man ja aus dem Titel nur bedingt herauslesen kann, oft thematisiert (die Nachfolgerplatte eröffnet mit „So American“), das Land und seine Politik kritisch belichtet. Klanglich ähnelt die Platte dem Vorgänger, die Produktion ist allerdings schmutziger, der Dreampop wurde zum Teil durch Hip-Hop-Beats ersetzt. Aufgrund der ungewohnt niedrigen Hitdichte wirkt „American Ghetto“ ein wenig wie ein etwas vorschnell veröffentlichtes Bindeglied zwischen „The Satanic Satanist“ und dem darauffolgenden Mainstreamdebüt. Während „1000 Years“ oder „All My People“ beweisen Portugal. The Man jedoch, dass sie nach wie vor vermögen, tolle Songs zu schreiben.

In The Mountain In The Cloud (2011) 8/10
In The Mountain In The Cloud (2011) 8/10

Auf „In The Mountain In The Cloud“ perfektionieren Portugal. The Man eine Stilwandlung, die mit „The Satanic Satanist“ begonnen hat – und wechseln zum Label Atlantic Records. Dass die Bandmitglieder während des Schreibprozesses mit einer (nicht nur) geografischen Distanz zu hadern hatten, hört man dieser ersten Platte beim Majorlabel nicht an. Sie ist ausgeklügelter – einerseits, weil die elf Songs durch und durch stark sind, andererseits, weil die Klangpalette hier diskret, aber effizient durch feine Details – die Marimba auf „So American“, die Streicher auf „Got It All“, die flirrenden Synthies auf „You Carried Us“, die Bläser auf „Everything You See“ – vervielfältigt wird und den Bubblegum-Popmelodien mehr Tiefe verleiht

Evil Friends (2013) 8/10
Evil Friends (2013) 8/10

Ab hier ändert sich erneut alles: Nicht nur hören Portugal. The Man mit „Evil Friends“ definitiv auf, ihre Platten im Jahrestakt zu veröffentlichen, mit Danger Mouse nimmt man zudem einen Produzenten an Bord, der Platten stets seinen stilistischen Stempel aufdrückt. Dass diese Entscheidung goldrichtig war, merkt man nach den starken ersten vier Tracks („Plastic Soldier“, „Creep In A T-Shirt“ „Evil Friends“ und Modern Jesus“): Nach drei Platten, die Portugal. The Man brauchten, um inmitten aller Einflüsse ihre stilistische Identität zu festigen, trauen sich John Gourley und Co. wieder mehr Vielfalt – das alles aber im Rahmen lupenreiner Popmusik. Die Songs sind dabei so eingängig und dringlich wie lange nicht mehr.

Woodstock (2017) 6/10
Woodstock (2017) 6/10

Die definitive Durchbruchsplatte ist vielleicht auch eines der schwächsten Alben der Band: Klar ist „Feel It Still“ ein Übersong, der alles richtig macht. Er überschattet aber zeitweilig eine an sich sehr kurze Songsammlung (zehn Tracks in 37 Minuten), auf der die Anbiederung an den Mainstream manchmal überhandnimmt und der Qualität des Songwritings, die bisher stets im Zentrum stand, schadet. Das spiegelt sich auch in der Produktion wider, bei der Bässe und Beats Gitarren und Vocals schon mal in den Hintergrund stellen. Dabei zeigen die besseren Songs wie „Rich Friends“ oder „Keep On“, dass der eingeschlagene Pop-EDM-Weg für die Chamäleons von Portugal. The Man vielleicht auch nur eine weitere, wenn auch nicht ihre interessanteste, Metamorphose ist.