Headlines

Theater„It’s the end of the world as we know it, and I feel fine“: Arno Schmidts „Schwarze Spiegel“ im TNL

Theater / „It’s the end of the world as we know it, and I feel fine“: Arno Schmidts „Schwarze Spiegel“ im TNL
„Das Experiment Mensch, das stinkige, hat aufgehört“: „Schwarze Spiegel“ ist ein dunkles, postapokalyptisches Stück, dessen Weltuntergangsszenario aktueller denn je wirkt Fotos: Bohumil Kostohryz

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

In „Schwarze Spiegel“ zeichnet der avantgardistische Menschheitsverweigerer Arno Schmidt eine postapokalyptische, vom Menschen verlassene Welt, in der ein letzter Überlebender die Schönheit der Ruinen betrachtet. Kathrin Herms postdramatische Inszenierung besticht durch so radikale wie sinnliche Regieeinfälle – und die schlichtweg beeindruckende schauspielerische Leistung von Aleksandra Ćorović.

Das muss man sich erst mal trauen. Einsiedler Arno Schmidt, unter anderem bekannt für das avantgardistische Meisterwerk „Zettel’s Traum“, dessen typografische Idiosynkrasien vielleicht Pate standen für „House of Leaves“ vom US-amerikanischen Schriftsteller Mark Danielewski, steht wahrlich nicht für leicht verdauliche Prosa.

Im Vergleich zum 1.334-seitigen Opus Magnum mag „Schwarze Spiegel“ fast schon zugänglich wirken, trotzdem ist auch dieser Text alles andere als leichte Kost, stellt er doch eine nach dem Dritten Weltkrieg von einem Atomschlag verwüstete Welt dar, in der ein letzter Überlebender auf einem Fahrrad durch Trümmerlandschaften fährt und in einer Art Chronik Bilder der Verwüstung festhält: „Atombomben und Bakterien haben ganze Arbeit geleistet.“

Dieser in Reaktion auf einen ersten Höhepunkt des Kalten Krieges verfasste Text fällt dabei äußerst wandlungsfähig aus – man stellt sich ja gerne vor, dass sich der letzte überlebende Mensch in Ermangelung der ganzen Palette an zwischenmenschlichen Dramen, die unserem Alltag Struktur, Chaos und Dramaturgie verleihen, einfach nur langweilt. Was anfangs wie ein postapokalyptischer Spaziergang durch die Ruinen anmutet, wird in einem zweiten Teil zur Robinsonade: Erst baut die Figur eine wackelige Hütte, dann dekoriert sie diese mit Restbeständen des Menschheitsrepertoires. Ein Grammofon, ein Schreibtisch, ein Telefon, ein Schädel und ein Topf stellen dabei ein Überlebens-Kit dar, dessen Zusammensetzung dem Pragmatismus des Pfadfinders Lautréamonts surreale Poesie bevorzugt.

Im dritten Teil begegnet der Protagonist, hier (Genderfluidität oblige) fast schon etwas voraussehbar von einer Schauspielerin verkörpert, einer weiteren Überlebenden. Diese Situation stellt den Autor, so Schmidt in einem Brief an seinen vom Ende des Textes enttäuschten Verleger, vor ein altes Rousseau’sches Problem: In einem solchen Setting fallen sich die beiden Überlebenden entweder in die Arme, sie murksen sich ab oder sie gehen gleichgültig aneinander vorbei.

Weil Schmidt im Gegensatz zu Rousseau weiß, dass zwischenmenschliche Beziehungen oftmals ein bisschen etwas von den drei Szenarien beinhalten, schießt Lisa (Jan Plewka) erst wild um sich, bevor sich die beiden annähern und im Schnelldurchlauf „in sämtliche Extremitäten versinken“ – und am Ende bricht Lisa auf, um weitere Überlebende aufzuspüren.

Das erzählerische Potenzial der Schneise

Das Topos des letzten Menschheitsüberlebenden kennen viele aus der Sci-Fi-Literatur – man denke an „I am Legend“ von Richard Matheson –, tatsächlich aber gibt es eine literaturgeschichtliche Tradition fiktionaler Welten, die von nur einer Figur besiedelt sind und bei denen sich auf literatursemantischer Ebene stets die Frage nach der Rezeption des Geschriebenen stellt – denn für wen erzählt man eigentlich, wenn niemand mehr da ist, um zuzuhören, und wieso überhaupt noch weiterschreiben?(*)

Jener Ausgangspunkt erlaubt es Schmidt, sich vom Anthropozentrismus herkömmlicher Prosatexte wegzubewegen: „Man müsste die Biografie jedes Körnchens schreiben“, meint die Protagonistin, bevor sie die Natur, die in den darstellenden Künsten meist bestenfalls als Kulisse dient, auf ihren narrativen Gehalt inspiziert: Von der „Lebensbeschreibung eines Wacholders“ (eine deutliche Referenz an Schmidts „Aus dem Leben eines Fauns“) bis hin zur Erforschung des erzählerischen Potenzials der Schneise wird die Endzeitstimmung des Textes durch die Fokussierung auf eine Welt jenseits der Spezies Mensch aufgewertet.

Jan Plewkas Gitarre spielendes Geschöpf wirkt wie einem magisch-realistischen Sci-Fi-Film entsprungen
Jan Plewkas Gitarre spielendes Geschöpf wirkt wie einem magisch-realistischen Sci-Fi-Film entsprungen

Der letzte Schandfleck

Schmidts Text fällt dabei radikal kritisch aus, das eigene Vaterland wird mitsamt kleinlicher Beamten, gewaltgeiler Soldaten und anderer Wiederholungstäter immer wieder als zerstörerisch und kriegstreibend beschrieben, die Protagonistin bezieht sich aber selbstkritisch in dieses pessimistische (Selbst-)Porträt einer Spezies mit ein – ihr Interesse an Wacholdern und Körnern ist somit stets auch eine Abwendung vom „stinkigen“ Experiment Mensch: „Und wenn ich erst weg bin, wird der letzte Schandfleck verschwunden sein.“

Im Laufe von Kathrin Herms mutiger Inszenierung stellt man immer wieder fest, wie visionär Schmidts Text aus dem Jahre 1951 eigentlich war: Die dreiteilige Aufgliederung des Narrativs hat Maren Ades Ehemann Ulrich Köhler in seinem schönen „In My Room“ quasi eins zu eins übernommen (auch hier stapft die Figur durch eine menschenleere Welt, baut sich ein Zuhause und begegnet einer weiteren Überlebenden), die Beschreibung einer leeren, von Leichen gepflasterten Welt erinnert stark an Cormac McCarthys „The Road“.

Diese zeitgenössischen Referenzräume werden in Herms Inszenierung umso legitimer, da die Regisseurin implizit andere Endzeittexte einflechtet und diese sich gegenseitig spiegeln lässt: Da wären die von Jan Plewka gespielten spröden Gitarrenakkorde, die so sehr nach Wüstenstaub und Leere klingen, dass man stets hofft, die vor kurzem tragisch verstorbene Mimi Parker würde auf der Bühne auftauchen und mit ihrem Ehemann Alan Sparhawk eines dieser melancholischen Postcore-Kleinode singen, für die ihre Band Low stand. Da wäre die Dekonstruktion zeitgenössischer Popklassiker, allen voran REMs unkaputtbares „It’s The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)“ oder die tollen Gesangseinlagen, die auf rezenten deutschen Indierock wie International Music verweisen.

Werkzeugkästen, Jack Daniels und Immos

Die Inszenierung beeindruckt aber nicht nur musikalisch: Zwischen zwei Leinwänden, dank deren sich die Protagonistin verdoppelt oder mitunter gar verdreifacht, sieht man, wie sich die Hauptdarstellerin Aleksandra Ćorović auf einem Hometrainer abrackert. Auf der vorderen Leinwand zoomt die Kamera ganz nah an ihr Gesicht heran – mit buschigen Augenbrauen und Hornbrille wird der Bogen zwischen lyrischem Ich und biografischem Autor geschlagen –, sodass die ausdrucksstarke Mimik der Darstellerin während der ersten 50 Minuten im Zentrum steht.

Diese trägt den starken, aber auch abstrakten, dichten Text quasi im Alleingang, während Bilder ihres vervielfältigten Ichs immer wieder durch Mapping-Effekte mit Zweigen und Ästen verschmelzen. Dank der ausgezeichneten Zusammenarbeit von Melting Pol (Video), René Nuss (Sounddesign), Zeljko Sestak (Licht) und Maria Binica (Live-Kamera) greifen Klang und Bild (fast) nahtlos ineinander und bilden ein sinnliches ästhetisches Experiment.

Postdramatische Dekonstruktion kann oft anstrengend und/oder aufgesetzt wirken, bei der österreichischen Regisseurin Kathrin Herm, die bereits voriges Jahr „Die Reise. Ein Trip“ im TNL inszenierte, nimmt jedoch meistens die Verspieltheit überhand: Um im zweiten Teil ihre Hütte zu konstruieren, sieht man die Schauspielerin erst backstage im Werkzeugarsenal des Theaters wühlen, dann einen Jack Daniels am Tresen im TNL-Foyer kippen – der „schnapsfeuchte“ Flaschenrand steht als Symbol für die Skepsis, mit der die Figur Menschen „ohne Laster“ gegenübertritt – um schließlich das TNL zu verlassen und draußen vor den Schaufenstern der Immobilienfirmen deutlich zu machen, wie verwüstet und kaputt auch die Welt abseits der Bühne ist.

Just vor dem dritten Teil kommt es zur vermeintlichen Panne, im Dunkeln regt sich Aleksandra Ćorović über den Stromausfall auf, der wegen des vielen technischen Schnickschnacks dieses Theaterabends zustande gekommen sein soll; ironisch unterstreicht sie, wie „improvisiert“ das hier alles sei und welch glücklicher „Zufall“ es doch wäre, dass die vorhandenen Requisiten – ein Streichholzkasten – es ihr dann doch noch erlauben, weiterzuspielen. Diese Panne wäre umso bedauerlicher, da man im dritten und besten Teil des Stücks eben auch vorhatte, richtiges Theater zu spielen – was schlussendlich dann doch noch getan wird. So wirkt es, als nutze Herm das apokalyptische Setting des Stücks, um vor dem (fiktiven) Aussterben der Menschheit noch mal alle Register zu ziehen und die verschiedenartigsten Formen des Bühnenspiels Revue passieren zu lassen.

Ihr gelingt es auf jeden Fall, trotz eines streckenweise etwas langatmigen Stückes, bei dem nicht jeder Regieeinfall gleich greift, die verkopft-sinnliche Dimension der Schmidt’schen Prosa gekonnt einzufangen. Und bei allen schrägen Regieeinfällen – Plewkas Gitarre spielendes Geschöpf, das einem magisch-realistischen Sci-Fi-Film entsprungen sein könnte, darf hier als Metonymie fungieren – bleibt der Fokus stets auf der schlicht beeindruckenden schauspielerischen Leistung von Aleksandra Ćorović.

(*) Siehe Lubomir Doležel, „Heterocosmica: Fiction and Possible Worlds“, 1998 John Hopkins University Press.

Info

„Schwarze Spiegel“ läuft noch heute Abend um 20.00 Uhr im TNL