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KolumneWer fest an sich glaubt, kann Berge versetzen: Pogacar dominiert das Zeitfahren und gewinnt als erster Slowene die Tour de France

Kolumne / Wer fest an sich glaubt, kann Berge versetzen: Pogacar dominiert das Zeitfahren und gewinnt als erster Slowene die Tour de France
Tadej Pogacar konnte das Gelbe Trikot auf der 20. Etappe erobern – gestern feierte der 21-Jährige den Gesamtsieg bei der Tour de France Foto: AFP/Stephan Mahe

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Primoz Roglic war dem Tour-de-France-Sieg bis zur vorletzten Etappe sehr nahe. Im entscheidenden Zeitfahren über 36 km zur „Planche des Belles Filles“ aber scheiterte er an seinem Landsmann Tadej Pogacar, der sich als erster Slowene und zweitjüngster Sieger überhaupt ins Palmarès der Rundfahrt einschrieb.

„Ich glaub’, ich träume.“ Diese paar Worte stammelte Tadej Pogacar auf dem Scheitel der „Planche des Belles Filles“ in die Mikrofone, als sein slowenischer Landsmann Primoz Roglic, bis dahin Gesamtführender der Tour de France, die vorletzte Etappe, ein 36 km langes Einzelzeitfahren in den Vogesen, beendet hatte. Die Uhren für Roglic blieben bei 57’51“ stehen. Er war damit zwar Etappenfünfter, aber weit entfernt von seinem jungen Rivalen, der für die schwere Strecke nur 55’55“ benötigt hatte. Der Abstand zwischen den beiden betrug 1’56“, eine gefühlte Ewigkeit.

Der erste Slowene

Die Rechnung war schnell gemacht. Pogacar, mit 57“ Rückstand auf Roglic gestartet, lag plötzlich 59 Sekunden vor seinem Kontrahenten. Damit hatte er die Tour de France gewonnen, denn für den Schlusstag gilt unter denjenigen, die es bis dorthin schaffen, seit vielen Jahren ein Nichtangriffspakt. Warum eigentlich?

Tadej Pogacar, der Sohn einer Französisch-Professorin, wurde also gleich bei seinem ersten Versuch Tour-de-France-Laureat. Er ist mit 21 Jahren und 365 Tagen der zweitjüngste Sieger aller Zeiten nach Henri Cornet, der sich im Jahr 1904 mit nur 19 Jahren und 352 Tagen ins Palmarès einschrieb. Pogacar, der heute Montag seinen 22. Geburtstag feiert (geb. am 21.9.1998 in Komenda) gewann nicht nur das Schlussklassement der Tour („Maillot jaune“), sondern auch die Wertungen des besten Jungfahrers („Maillot blanc“) und des besten Bergfahrers („Maillot à pois“). Gleichzeitig bescherte er seinem Land, der „Republika Slovenija“ und ihren zwei Millionen Einwohnern den ersten Tour-de-France-Sieg in der fast 30-jährigen Geschichte. Slowenien, das nach dem Zweiten Weltkrieg Teilrepublik im sozialistischen Jugoslawien war, ist seit dem 25. Juni 1991 unabhängig. Es gilt als das wohlhabendste Land der früheren Föderativen Republik.

Keine Erfahrung

Tadej Pogacar ist genau wie vor ihm Felice Gimondi (1964), Joop Zoetemelk (1969), Greg LeMond (1982), Laurent Fignon (1988) und Egan Arley Bernal Gomez (2017) ein ehemaliger Tour-de-l’Avenir-Sieger. Er gewann die „kleine“ Tour im Spätsommer 2018. Letztes Jahr gab er sein Grand-Tour-Debüt in der Vuelta und holte sich neben drei Etappen auch gleich die Nachwuchswertung.

Erfahrung in der Tour de France hatte er keine. Wie man Windkanten erahnen kann, war ihm bis zur siebten Etappe ein Rätsel. Ansonsten er zwischen Millau und Lavaur ausgangs eines Kreisverkehrs nicht in die Falle getappt wäre, als der polnische Ex-Weltmeister Michal Kwiatkowski und das Ineos-Grenadier-Team zum Angriff bliesen.

Vorne blieben 42 Fahrer, den guten Zug aber verpassten neben Tadej Pogacar auch Richie Porte und Mikel Landa. Sie trafen in Lavaur mit 1’21“ Rückstand ein, sodass Pogacar am Abend des 4. September 1’25“ Rückstand auf Primoz Roglic aufwies. Innerhalb von zehn Tagen reduzierte er diesen Abstand um 45“ auf nur mehr 40 Sekunden. Auf der schweren Königsetappe zum Col de la Loze wuchs der Vorsprung Roglics wieder auf 57“ an. Es schien, als ob der damalige Tour-Leader und sein gelb-schwarzer Jumbo-Visma-Zug die schwerste Arbeit hinter sich hätten.

Jumbos Fehler

Weit gefehlt, denn spätestens am Samstagabend stellte sich heraus, dass der holländischen Mannschaft auf ihrem Weg zu Tour-de-France-Ruhm mehrere unverzeihliche Fehler unterliefen. Zum Ersten erlaubte sie es Pogacar auf der achten Etappe nach Loudenvielle, sich im Schlussteil abzusetzen und 40 Sekunden des Gesamtrückstands aufzuholen. Zum Zweiten führte sie den (lange Zeit unterschätzten) jungen Mann im Weißen Trikot tagelang über die Berge und durch die Täler, ohne dass dieser sich sonderlich anzustrengen brauchte.

Roglic fehlte auf den Bergetappen der Killerinstinkt, der große Fahrer auszeichnet. Er, der mit 30 Jahren (geb. am 29.10.1989 in Zagorje) Lehren aus seinem Debakel vom Giro 2019 hätte ziehen müssen (Schlusssieger Richard Carapaz profitierte als lachender Dritter von der Rivalität zwischen Roglic und Nibali), begnügte sich damit, den Leaderplatz zu verwalten, anstatt den Vorsprung über geschicktes Taktieren zu vergrößern. Erst im Col de la Loze realisierte er, dass der Abstand bei der Schlussabrechnung eventuell nicht reichen könnte. Doch in dem Augenblick war es längst zu spät.

Der Unterschied

Pogacar und seine Teamleitung waren schlau genug, bis zur Vorschlussetappe keine Spekulationen aufs Gelbe Trikot anzustellen, sodass das UAE Team Emirates die Last des Rennens nicht zu tragen brauchte. Dazu wäre die Mannschaft, die durch die relativ frühen Ausfälle der Italiener Fabio Aru und Davide Formolo geschwächt war, in den Bergen auch gar nicht imstande gewesen.

Der knapp 22-jährige Pogacar konnte sich in den Anstiegen höchstens auf den Spanier David De la Cruz als Helfer verlassen, meistens aber war er auf sich alleine gestellt. Womit bewiesen wurde, dass man für einen Tour-Erfolg erstens nicht unbedingt ein starkes Team um sich haben muss und zweitens das Alter des Siegers keine Rolle spielt. Ein Fahrer kann am Ende der Tour also auch ganz oben stehen, wenn er nicht, wie vielfach angenommen, alle Lehrjahre durchgemacht hat. Vorausgesetzt natürlich, dass neben der natürlichen Begabung auch Wille, Ehrgeiz, Kampfkraft und Können in seinem Gepäck sind.

Dass Pogacar, der immerhin drei Etappen gewann, ein Ausnahmetalent ist, wurde beim „Contre-la-montre“ nach „La Planche des Belles Filles“ deutlich. Schön gestreckt saß er auf seiner Maschine, und die Beine drehten regelmäßig wie ein Uhrwerk. Pogacars Fahrstil erinnerte an den des unvergleichlichen französischen Stundenweltrekordlers Roger Rivière, der bei der Tour 1960 im Col du Perjuret so schwer stürzte, dass er sich nie mehr von den Verletzungen erholte.

Primoz Roglic dagegen wirkte äußerst verkrampft, er machte einen Katzenbuckel, der gelbe Helm wippte auf dem Kopf wie eine Karnevalsmütze. Der Unterschied zwischen den beiden Fahrern wurde am besten ersichtlich beim Maschinenwechsel vor dem Anstieg zur „Planche“: Ruhe und Besonnenheit bei Pogacar, Hetze und Nervosität bei Roglic.

Jahrhundertturner Stukelj

Der Riesenvorsprung Pogacars im Etappenziel (1’21“ auf den Zweiten Tom Dumoulin und den Dritten Richie Porte) ruft jetzt wieder die Zweifler auf den Plan. Ist wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen? Hat der Tour-Sieger eventuell zu verbotenen Mitteln gegriffen? Solche und ähnliche Diskussionen wird es in Zukunft immer wieder geben. Nicht nur in Radsportkreisen. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte mahnen zur Vorsicht. Man kann daher nichts anderes tun, als abzuwarten und Vertrauen in die Kontrollinstanzen zu haben.

Eines steht auf jeden Fall fest: Tadej Pogacar und Primoz Roglic (übrigens ein sehr fairer Verlierer) rückten Slowenien auf der internationalen Sportbühne weit in den Vordergrund. Dank dieser Corona-Tour, die Amaury Sport Organisation (ASO) mit Unterstützung des französischen Präsidenten und seiner Regierung glatt über die Distanz brachte, ist das Land nun im Radsport allererste Sahne. Schon zuvor hatte es in anderen Disziplinen hervorragende Athleten hervorgebracht. Vielleicht sagen Ihnen die Namen Bojan Krizaj, Jure Franko, Rok Petrovic, Jure Kozir, Tina Maze (alle Ski alpin), Gora Dragic, Luka Doncic (Basketball), Peter Prevc (Skispringen), Borut Petric (Schwimmen) oder Branko Oblak (Fußball) etwas?

Der bekannteste Sportler des Landes ist „little big“ Jahrhundert-Turner Leon Stukelj, der als erster slowenischer Turner in die „International Gymnastics Hall of Fame“ aufgenommen wurde. Ihm folgte der Stützkünstler am Pauschenpferd der 1960er Jahre Miroslav Cerar, den Ihr Kolumnist als jugendlicher Turnfan bei den Europameisterschaften 1961 in den Ausstellungshallen auf Limpertsberg bewundern durfte. Daran wird wohl auch der doppelte Luxemburger Sportler des Jahres Josy Stoffel (1957, 1960) sich mit viel Freude erinnern. Er wurde damals Sechster im Mehrkampf und am Barren.

titi
22. September 2020 - 9.50

Das allein " an sich glauben " reicht nicht aus. Es sei denn, man weiss weshalb. Armstrong lässt grüssen.

Grober J-P.
21. September 2020 - 11.58

Sogar Lance war verblüfft über Pogacar.