Nach reibungslosem Start sorgt der Videobeweis auch bei der WM für heftige Diskussionen. Iran klagt über einen Superstar-Bonus für Cristiano Ronaldo. Ein Schiedsrichter zeigt sich uneinsichtig. In Spanien herrscht hingegen Jubel: «¡Viva el VAR!»
Promi-Bonus für Cristiano Ronaldo, Glück für das DFB-Team, dazu der erste Witz-Elfmeter: Kurz vor Beginn der heißen Turnierphase steht der Videobeweis nun auch bei der Fußball-WM voll im Brennpunkt der Diskussionen. Irans Trainer Carlos Queiroz redete sich in seinem Ärger über die neue Technik beim unglücklichen Aus gegen Portugal richtig in Rage. «Es wurden Zehntausende Dollar ausgegeben, da sitzen fünf Leute zusammen und sehen den Ellbogenschlag nicht», schimpfte der Coach nach dem 1:1 und klagte über eine Bevorzugung der Superstars im Fußball. «Es ist nicht wichtig, ob es Ronaldo war oder Messi – es steht in den Regeln!»
Der insgesamt völlig überforderte Schiedsrichter Enrique Caceres schaute sich am Montagabend das Vergehen Ronaldos auf Intervention der Video-Assistenten selbst noch einmal an – entschied aber überraschenderweise auf Gelb statt Rot. Dreimal machte sich der Paraguayer während der Partie auf den Weg an die Seitenlinie. «Eine Videobeweisorgie», witzelte ZDF-Experte Oliver Kahn.
Schiri sorgt für Erstaunen
Und auch der türkische Spitzen-Schiedsrichter Cüneyt Cakir aus der Türkei sorgte beim argentinischen Weiterkommen gegen Nigeria (2:1) für Erstaunen. Der Strafstoß für die Afrikaner nach Halten von Javier Mascherano war durchaus vertreten. Dem Team von Gernot Rohr trotz Studium der Videobilder nach klarem Handspiel von Marcos Rojo einen zweiten Elfmeter zu verwehren, überraschte jedoch.
Eigentlich schien der Einsatz des Videobeweises bei dieser WM zum Lehrstück für die Bundesliga zu werden, wie es richtig geht. Weniger Überprüfungen, Korrektur nur von klaren Fehlentscheidungen, eine einheitliche Linie. Dieses Rezept brachte zu Turnierbeginn für mehr Gerechtigkeit – und bereits jetzt die Rekordzahl von 22 Elfmetern. Mehr Strafstöße gab es noch nie bei einer WM. Doch je hitziger die Spiele werden und je mehr Referees zum Einsatz kommen, die nur wenig Erfahrung mit der Technik haben, desto mehr Probleme gibt es.
«Man ist gut ins Turnier gestartet, aber jetzt gab es doch einige Holperer – wichtige Szenen, in denen der Videobeweis nicht eingesetzt wurde», kritisierte der Schweizer Ex-Referee Urs Meier. «Es ist willkürlich geworden.»
Löw findet den Videobeweis gut
Ganz anders sieht es deutsche Bundestrainer Joachim Löw. «Ich bin ein Freund und Befürworter des Videobeweises und finde, dass das hier sehr gut gehandhabt wird», sagte Löw am Dienstag in Kasan und stellte fest: «Bislang waren alle Entscheidungen korrekt.»
Doch die Aufreger häufen sich: Wilmar Roldan verblüffte mit seinem zweiten Elfmeterpfiff zugunsten von Saudi-Arabien gegen Ägypten. Nach einem absolut harmlosen Kontakt entschied der Kolumbianer auf Strafstoß – und ließ sich auch durch die Intervention der Video-Assistenten und eine Überprüfung der Bilder nicht davon abbringen. Schon beim Confed Cup hatte Roldan sich eine peinliche Panne beim Spiel von Deutschland gegen Kamerun geleistet und durch eine Verwechslung mehrfach den Videobeweis benötigt.
Bei der WM konnte sich das deutsche Team nun in der Partie gegen Schweden glücklich schätzen, dass der Einsatz von Jérôme Boateng gegen den früheren Hamburger Marcus Berg nicht geahndet wurde. «Das ist einfach ein Elfmeter und eine Rote Karte», wertete Ex-Referee Meier im ZDF. «Da gibt es eigentlich keinen Zwischenraum, das versteht der normale Fan nicht mehr.» Auch Schwedens Coach Janne Andersson zeigte sich überrascht, dass nicht überprüft wurde: «Ich hoffe, dass es eine klarere Linie gibt, wann der Videobeweis benutzt wird und wann nicht.» Insgesamt überwiegen aber noch die positiven Aspekte.
Videogrüße aus Moskau
Die Unterlegenen wüten, die Begünstigen feiern hingegen die Videogrüße aus Moskau. «¡Viva el VAR!» («Es lebe der Videobeweis!»), titelte die Sportzeitung Marca am Dienstag nach dem 2:2 für Spanien gegen Marokko. Die Unparteiischen hatten vor dem Ausgleich in der Nachspielzeit zunächst auf Abseits entschieden. Da sie damit allerdings so lange warteten, bis der Ball im Tor war, ließ sich die Szene überprüfen und richtigstellen. Ein Musterbeispiel für den gelungenen Videobeweis.
Marokkos Coach Hervé Renard beklagte hingegen vehement, dass der Schiedsrichter den Eckball vor dem Ausgleich von der falschen Seite ausführen ließ. So ein kleinerer Regelverstoß wird jedoch nicht überprüft. Stattdessen kommt der Videobeweis nur bei offensichtlichen Fehlern der Unparteiischen bei Torentscheidungen, Abseitsstellungen, Platzverweisen oder bei der Verwechslung eines zu bestrafenden Spielers. «Die Technik hat uns das Unentschieden beschert», kommentierte die Zeitung As deshalb: «Gott schütze den Videobeweis.»
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