Man könnte einen schönen Film darüber drehen, wie der Niederländer Emile Van der Staak zum Koch wurde, scherzt der Sternekoch (1-Michelin-Stern) aus den Niederlanden im Gespräch mit dem Tageblatt: „Ich saß in einer riesigen Sporthalle und schrieb Klausuren. Als ich mich umschaute und auf die anderen Studenten, die konzentriert schrieben, blickte, wurde mir klar, dass ich für den Rest meines Lebens niemals etwas mit Bauingenieurwesen machen würde. Ich stand auf und ging, ohne jemals meinen Abschluss gemacht zu haben. Ab da wusste ich, dass ich Koch werden wollte. Natürlich, ohne mir bewusst zu sein, was das wirklich bedeutet“, erinnert sich Van der Staak heute, mit einem breiten Lächeln auf den Lippen.
Keine Frage, dieser Schritt sei eine radikale Entscheidung. Seine Eltern seien darüber „ein wenig besorgt“ gewesen, schmunzelt Van der Staak: „Mein Vater ist Lehrer und konnte meinen Entschluss gar nicht nachvollziehen.“
Dennoch hat sein Ingenieurstudium auch seine guten Seiten, sagt der Sternekoch. Es helfe ihm beim Kochen insofern, als er es noch stärker als einen analytischen Prozess begreift: „Ich hatte schon immer ein Talent für Mathe und Physik. In meiner Art zu kochen und über Ernährung nachzudenken, kann ich den Ingenieur in mir nicht verbergen“, lacht er laut.
„Weniger Tiere, mehr Pflanzen“
„Wir sind kein typisches Restaurant“, sagt Chefkoch Emile Van der Staak. Im September holte der Niederländer mit seiner Küchenmannschaft den zweiten Platz in den Top 100 der besten Gemüse-Restaurants weltweit. Sein Restaurant „De Nieuwe Winkel“ in Nijmegen musste sich nur René Mathieu mit seiner „La Distillerie“ in Bourglinster geschlagen geben.
Vergeben wurden die viel beachteten jährlichen Auszeichnungen von der Plattform „We’re smart World“. Ihr Gründer – Frank Fol –, Sternekoch aus Belgien, setzt sich seit mehr als 30 Jahren für eine Ernährung auf pflanzlicher Basis ein, die Fleisch zum Beiwerk macht.
„Mir war schon als junger Mensch klar, dass die Welt viele Herausforderungen zu meistern hatte: unsere Gesundheit, die Artenvielfalt, die Klimakrise.“ Vor diesem Hintergrund, als Van der Staak als Koch zu arbeiten begann, entschied er, einen „(Lösungs-)Weg zu finden, der besser funktionierte“.
Beim Einlesen in die Thematik habe er begriffen, dass der Umgang mit den Herausforderungen, vor denen unsere Welt heute stünde, unweigerlich die Menschen vor eine Wahl auf ihrem Teller stelle. Und so startete Emile Van der Staak vor zehn Jahren sein Restaurant mit der Prämisse, dort eine Küche anzubieten, die „weniger Tiere, mehr Pflanzen“ in die Praxis umsetzt. Anfangs enthielten seine Gerichte noch etwas Fisch und Fleisch, heute sind sie rein vegetarisch, sagt der Chef.
„Wir sind nicht gegen Fleisch. Aber wir sind inzwischen so darin trainiert, Gemüse auf viele verschiedene Arten zuzubereiten, um all die darin enthaltenen Geschmacksrichtungen herauszuarbeiten, sodass wir Fleisch nicht vermissen.“ Mit Fleisch zu kochen, erklärt der Küchenchef, sei sehr einfach – das Rib-Eye-Steak anbraten, schon ist in ein paar Minuten ein leckeres Gericht fertig. „Das gleiche Ergebnis kann man auch mit Gemüse haben, man muss sich nur etwas mehr anstrengen.“
Laut dem Gründer der Plattform „We’re Smart World“ Frank Fol lässt sich Gemüse auf insgesamt 51 verschiedene Arten zubereiten. „Wir können heute aus einem großen Erfahrungsschatz schöpfen und ein Menü mit neun oder zehn Gängen nur aus Gemüse zuzubereiten – ohne Fisch- oder Fleischkomponenten“, pflichtet auch Van der Staak bei. Und das alles, weil er am Anfang seiner Gastronomiekarriere Entscheidungen getroffen habe, die ihm helfen würden, die Welt ein klein bisschen zu verbessern, betont er.
Sich der pflanzlichen Küche in diesem Maße zu widmen, erfordert Mut. Auch heute, obwohl sie immer populärer wird und auf eine breitere Akzeptanz als früher stößt. Doch der Anfang war schwer: Emile Van der Staak erinnert sich an ein Weihnachtsmenü, das er im zweiten Jahr nach der Eröffnung kochte. „Es war komplett vegetarisch und die Gäste waren wütend und wollten nicht zahlen.“ Aber für den Koch bedeutete diese Erfahrung keinesfalls, seine Marschroute zu verlassen. Im Gegenteil: „In der kurzen Zeit seit damals hat sich bei vielen Menschen das Bewusstsein für ihre Ernährung grundlegend verändert.“
Nahrungswald als neue Landwirtschaft
Eine Ursache dieser Veränderung, schildert Emile Van der Staak, sei die Tatsache, dass die Art der Ernährung sehr eng mit der Art der Landwirtschaft verknüpft sei. Seit sechs Jahren arbeite er mit dem „ältesten Nahrungswald“ in Europa. Nach Ansicht des Sternekochs stelle „das Waldgärtnern eine revolutionäre Art, Landwirtschaft zu betreiben“, dar.
Vereinfacht ausgedrückt, gehe der „Nahrungswald“ (aus dem Englischen: „Food forest“, A.d.R.) weg von den einjährigen Pflanzen wie Zwiebeln oder Weizen, stattdessen hin zu mehrjährigen Kulturen wie Bäume und Sträucher. Ein gut durchdachtes System, bei dem man jedes Jahr ein bestimmtes Volumen an Pflanzen anbaut und diese Menge aberntet. „Dabei müssen Sie nichts machen, nur warten.“ So wie es unter natürlichen Bedingungen im Wald geschehe, fasst Van der Staak zusammen. In dem „Nahrungswald“ von Pionier Wouter van Eck, in der Provinz Gelderland, mit dem der Koch zusammenarbeitet, wachsen mehr als 400 verschiedene Pflanzenarten aus der ganzen Welt – ohne Maschinenpflege, Pestizide und Wachstumsförderung.
Sodass der nächste logische Schritt nach der Entscheidung „weniger Tiere, mehr Pflanzen“ für Emile Van der Staak war, sich damit auseinanderzusetzen, wie die Pflanzen, die er in der Küche benötigte, angebaut werden. „Es ist sinnlos, mit einem leeren Feld zu starten, schwere Maschinen, Pflanzenvernichtungsmittel und Dünger einzusetzen, um am Ende der Saison wieder mit einem leeren Feld dazustehen.“ Das möge in der Landwirtschaft klappen, in der Natur funktioniere das aber nicht, unterstreicht der Koch.
Deshalb geht Emile Van der Staak in seinen Überlegungen weiter und denkt jetzt schon an die Pflanzen, die er morgen benötigt und die er idealerweise in einem Permakultursystem aufwachsen sieht. „Wenn wir so vorgehen, setzen wir voraus, dass wir unsere Ernährungsgewohnheiten dahingehend beeinflussen, dass wir lernen, Kastanien statt Kartoffeln und Bambusschoten statt Salat zu essen.“ Der Sternekoch hoffe, dass im Laufe der Zeit immer mehr Menschen beginnen würden, über den Tellerrand hinauszuschauen. Denn Szechuan-Pfeffer und koreanischer Bergspargel wachsen auch in unseren Breitengraden. Und würden wir mehr Waldgärten statt konventioneller Landwirtschaft nutzen, sagt van der Staak, würde es keine leeren Felder mit Gras am Ende der Saison geben, wie es heutzutage der Fall sei. „Denn seien wir ehrlich“, sagt er, „das einzig Grüne an unserer Landschaft heute ist die Farbe.“ Gras werde als Futter für die Tiere benötigt, für sonst nichts. Eine neue Art der Landwirtschaft, ist Emile Van der Staak überzeugt, werde die Abgasmengen senken und für mehr biologische Vielfalt sorgen.
„Ich bin kein Visionär“
Wenn man dem Sternekoch bei seinen Gedanken an die Zukunft folgt, drängt sich die Frage nach seiner Vision auf. „Nein, ich bin kein Visionär“, verneint er prompt. Aber es sei jetzt der Moment, die eigene Ernährung grundlegend zu überdenken. „Wer weiß, vielleicht werde ich mit meinen heutigen Ideen in zwanzig Jahren als konservativer Chef durchgehen und die Menschen werden in ihren Überlegungen viel weiter sein als ich“, wünscht er sich.
In der Zukunft sieht van der Staak viel mehr Lebensmittel aus Permakulturanbau – wie im Nahrungswald – auf dem Teller. „Und wer weiß, mit dieser Evolution unserer Ernährung werden wir womöglich ein veganes Restaurant“, lächelt er. Ob er in zehn Jahren tatsächlich mehr Gäste in seinem Restaurant bekochen wird, die eher auf der Suche nach einem Geschmackskitzel sind, oder tatsächlich Menschen, die Ernährung anders denken, so wie Van der Staak selbst, darüber hat er eine klare Meinung. „Die Menschen werden nach einer Überraschung suchen, nach schmackhaften Gerichten und echter Gastlichkeit. Daran wird sich nichts ändern. Was anders sein wird, ist das, was auf dem Teller präsentiert wird.“
Wohin die Reise für den Sternekoch selbst führt, da lässt sich Van der Staak alle Optionen offen: „Vielleicht wechsele ich nochmal den Beruf, wer weiß. Dann werde vielleicht Architekt“, sagt Emile van der Staak. „Ich möchte frei im Geiste bleiben.“
Na dann ist's ja gut dass der gute Mann nicht Van der Steak heißt.