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Atomkraftwerk RemerschenLuxemburgs nuklearer (Alb-)Traum: Vor 50 Jahren wurde der Vertrag mit RWE unterschrieben

Atomkraftwerk Remerschen / Luxemburgs nuklearer (Alb-)Traum: Vor 50 Jahren wurde der Vertrag mit RWE unterschrieben
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Aus heutiger Sicht ist es fast unvorstellbar: In Remerschen sollte ein Luxemburger Atomkraftwerk entstehen. Am 16. Juli 1973 hatte die damalige CSV-DP-Regierung eine diesbezügliche Vereinbarung mit dem deutschen Energiekonzern RWE unterzeichnet.

Ein Jahrhundertprojekt hätte es werden sollen. 60 Milliarden Luxemburger Franken sollte es kosten und dem Land nicht nur eine jahrzehntelange Sicherheit bei der Stromversorgung, sondern auch zusätzliche Einnahmen durch Stromexport sowie neue Jobs garantieren. 

Heute sieht es so im Naturreservat Remerschen aus – geplant war etwas ganz anderes
Heute sieht es so im Naturreservat Remerschen aus – geplant war etwas ganz anderes Foto: Editpress/Claude Lenert

Die Idee, an der Mosel ein AKW zu bauen, war nicht ganz neu. Bereits in den Jahren zuvor war sie mehrfach diskutiert worden. Interessant erschien sie vor allem, nachdem der Plan zur Errichtung eines Kraftwerks, das zur Stromerzeugung Erdölprodukte verfeuern sollte, wegen der Ölkrise fallen gelassen wurde. Atomstrom schien die wirtschaftlich bessere Alternative für den steigenden Energieverbrauch zu sein.

Am 16. Juli 1973 unterzeichneten Staatsminister Pierre Werner, Energieminister Marcel Mart und der deutsche Energiekonzern RWE die betreffende Vereinbarung. Es ging um „die Planung, die Errichtung und den Betrieb einer ersten Ausbaustufe eines Kernkraftwerks in Luxemburg“. Viele Details wurden in dem Abkommen bereits festgehalten. Der Luxemburger Druckwasserreaktor, mit einer Leistung von 1.300 Megawatt, sollte an das Verbundnetz der RWE angeschlossen werden. Die deutschen Standards und Sicherheitsbestimmungen sollten übernommen werden – sie galten als die besten.

Jobs für Luxemburger Staatsbürger

Ziel war es, durch langfristige Verträge mit den Luxemburger Energieanbietern dem Land „eine sichere Stromversorgung (…) zu günstigen Bedingungen“ zu ermöglichen. Luxemburg und RWE kannten sich bereits, da das Energieunternehmen das Land seit Jahren mit Strom versorgte.

Bereits im Januar 1973 berichtete die „Revue“ über die Pläne
Bereits im Januar 1973 berichtete die „Revue“ über die Pläne Foto: Revue

Der Grundsatzvertrag sah vor, dass RWE „das volle Betriebsrisiko der Anlage“ übernimmt und „die gegebenenfalls später anfallenden Abbruchkosten“ trägt. Das Personal sollte, soweit möglich, „luxemburgischer Staatsangehörigkeit“ sein. Selbst „eine ausreichende Vorsorge für eine angemessene Regelung etwaiger Ansprüche Dritter aus Schadenersatzverpflichtungen“ war angedacht.

Nach erfolgreich abgeschlossenen Machbarkeitsstudien und Analysen sollte mit dem Bau begonnen werden. Remerschen galt als idealer Standort, weil die Gegend nicht dicht besiedelt war – und durch die Mosel die Versorgung mit Kühlwasser garantiert und die Transportwege gegeben waren. Ein Reaktorblock sollte für den Anfang reichen. Weitere wären im Erfolgsfall wohl gefolgt.

Schnell wurden die ersten Schritte umgesetzt. Bereits Anfang 1974 kam es zur Gründung der „Société luxembourgeoise d’énergie nucléaire S.A.“ (SENU). Jeweils die Hälfte der Aktien hielten RWE und der Luxemburger Staat. Der Geschäftsplan war bereits durchdacht, die notwendigen Investitionen für den Bau sollten mit Krediten gestemmt werden.

Eine Erlaubnis für zwei Reaktoren

Ende 1976 gaben Gutachten schließlich grünes Licht für den Standort. Mit großer Mehrheit gab auch der „Conseil économique et social“ sein prinzipielles Einverständnis. 1977 folgte die „Commission internationale de la Moselle“ mit ihrer Zustimmung zur Errichtung von zwei Reaktoren in Remerschen.

In einem Abkommen mit der deutschen Regierung wurden im November 1977 weitere Details geregelt. Luxemburg verpflichtete sich, der internationalen Konvention zur Haftung bei grenzüberschreitenden Atomunfällen beizutreten. Deutschland sicherte dem Großherzogtum zu, „das Kernkraftwerk Remerschen den Kernkraftwerken in der Bundesrepublik hinsichtlich der Wiederaufbereitung der Brennelemente sowie der Endlagerung der aus dem Kernkraftwerk stammenden radioaktiven Abfälle gleichzustellen“.

Schnell war jedoch auch lokaler Widerstand entstanden. Bereits im Herbst 1973 wurde die „Biergerinitiativ Museldall“ gegründet. Als im Jahr danach bekannt wurde, dass Frankreich – dessen Technik und Vorschriften als weniger gut galten – auch ein Kernkraftwerk in der Gegend bauen wollte, wuchsen die Zweifel und die Zahl der Proteste. Immer mehr Bürger aus den drei Ländern begannen sich Sorgen um mögliche gesundheitliche Folgen für die in der Nachbarschaft lebenden Menschen zu machen. Die Angst vor den unberechenbaren Gefahren eines Unfalls stieg. 1976 fanden sich unterschiedliche Protestbewegungen zum „Comité national d’action pour un moratoire“ zusammen. Ihr Ziel: eine Aussetzung der Pläne um fünf Jahre.

Ein Moratorium als Anfang vom Ende

Als Reaktion verstärkte die Regierung ihre Anstrengungen, um für das Projekt zu werben. Energieminister Marcel Mart warnte, dass nach 1980 die Lichter in Luxemburg ausgehen könnten, wenn das Werk nicht gebaut würde. SENU und Energieministerium verteilten eine Broschüre mit dem Titel „Braucht unser Land ein Atomkraftwerk?“ Die Antwort der Publikation war klar.

Als Quelle für diesen Bericht diente vor allem das Buch „La centrale nucléaire de Remerschen“ von Paul Kayser
Als Quelle für diesen Bericht diente vor allem das Buch „La centrale nucléaire de Remerschen“ von Paul Kayser  

Weniger klar war die Antwort jedoch, als es 1974 zu einem Regierungswechsel kam. Koalitionspartner der DP war nun nicht mehr die CSV, sondern die LSAP. Und bei Letzterer herrschte eine gespaltene Meinung zum Thema. Um gemeinsam mit der Parteibasis eine feste Entscheidung zu treffen, entschied die Partei, einen Sonderkongress einzuberufen. Mit einer hauchdünnen Mehrheit stimmten am 11. Dezember 1977 schließlich 156 für ein Moratorium – und 153 dagegen. Es war der Anfang vom Ende des Milliardenprojekts.

Diese Abstimmung sollte das Projekt vorerst aber nur bremsen. Es wurde weiter daran gearbeitet. Erst im folgenden Jahr entschied die Regierung, das Vorhaben erst einmal ruhen zu lassen. Als Nachfolger von Marcel Mart, der zum Europäischen Rechnungshof gewechselt war, kündigte Josy Barthel an, die in der Vereinbarung vorgesehenen Zeiträume seien mittlerweile überschritten. RWE habe das Interesse verloren. Zusätzlich benötigter Strom würde nun durch mehr Importe abgedeckt.

Bis heute abhängig von Importen

Als im selben Jahr 1978 der französische Energiekonzern EDF mit den ersten Arbeiten in Cattenom begann, mauserte sich die Gesamtheit der Luxemburger Politik zum entschlossenen Atomkraftgegner. Die partielle Kernschmelze im AKW Three Mile Island bei Harrisburg in den USA am 28. März 1979 half nicht, dem Vertrauen in diese Technologie neuen Aufwind zu geben. Das Projekt in Remerschen wurde begraben. Durch die verheerenden Nuklearkatastrophen von Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) kam es in der Luxemburger Politik zu keiner erneuten Welle der Begeisterung für Atomkraft.

Letztendlich gingen die Lichter hierzulande nach 1980 nicht aus. Luxemburg ist jedoch, was sein Stromverbrauch angeht, nach wie vor sehr abhängig von Importen. Im Jahr 2022 musste das Großherzogtum satte 81 Prozent des hierzulande verbrauchten Stroms im Ausland einkaufen. Erst mit dem nun gestarteten Ausbau der Solarenergie gibt es heute, Jahrzehnte später, wieder einen konkreten Ansatz für mehr Selbstversorgung: Mittelfristig (bis 2030) will Luxemburg 40 Prozent seines Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen selber herstellen. Die Politik des Ausbaus der Erneuerbaren „macht uns unabhängiger von Stromimporten, als wir es je waren“, so Energieminister Claude Turmes vor kurzem im Rahmen von Projektausschreibungen für neue Anlagen. 

Heute ein Zwischenlager für Nuklearabfälle?

Sicherheit vor nuklearen Unfällen hat die Entscheidung gegen Remerschen allerdings keine gebracht: Sowohl im nahen Frankreich als auch in Belgien wurden, trotz aller Proteste, Kraftwerke gebaut. Zankäpfel waren sie damals und sind es auch heute noch.

Ein Kühlturm in Cattenom
Ein Kühlturm in Cattenom Foto: Tageblatt-Archiv

Doch selbst wenn das Luxemburger AKW gebaut worden wäre und jahrzehntelang einwandfrei funktioniert hätte, wäre der Reaktor mittlerweile längst am Ende seiner Lebenszeit angekommen und das Land hätte sich erneut Gedanken um die Stromversorgung machen müssen. Spätestens mit der Entscheidung Deutschlands, aus der Atomkraft auszusteigen, wäre das Großherzogtum dem wohl gefolgt. Das Werk in Remerschen wäre dann heute wahrscheinlich dabei, abgebaut zu werden.

Streiten würde die Luxemburger Politik heute vermutlich über die Hinterlassenschaft des längst verbrauchten Stroms: den angefallenen radioaktiven Müll. Da dieser genau so behandelt hätte werden müssen wie der deutsche – und das Thema im Nachbarland alles andere als geregelt ist – sind die Chancen hoch, dass auch Remerschen aktuell als „Zwischenlager“ genutzt würde.

Ob sich das Projekt finanziell gelohnt hätte, darf auch bezweifelt werden. Immerhin musste der Vorzeige-AKW-Betreiber EDF vor kurzem verstaatlicht werden, da er sonst unter einem milliardenschweren Schuldenberg zusammengebrochen wäre und die vielen neuen angedachten Projekte wohl ohne Steuergelder nicht zu stemmen gewesen wären.

Letzten Endes ist Luxemburg durch die Nicht-Umsetzung der vor 50 Jahren unterzeichneten Vereinbarung viel Ärger und Geld erspart geblieben. Das heutige Naherholungsgebiet mit den Baggerweihern gäbe es mit Sicherheit nicht. Rund um Remerschen wäre heute alles mit Stacheldraht abgeriegelt.


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Die erste Seite des Vertrages zwischen Luxemburg und RWE
Die erste Seite des Vertrages zwischen Luxemburg und RWE  
Ein Protestplakat der LSAP-Sektion Remerschen 
Ein Protestplakat der LSAP-Sektion Remerschen  Quelle: Sammlung Claude Wehenkel / Buch: „Das gescheiterte Jahrhundertprojekt“ von Sacha Pulli
Remerschen heute
Remerschen heute Foto: Editpress/Claude Lenert
Stacheldraht vor dem AKW Cattenom
Stacheldraht vor dem AKW Cattenom Foto: Tageblatt-Archiv

Grober J-P.
18. Juli 2023 - 9.29

Nur, der Klimawandel wird auch unser Cattenom einmal erreichen. Man munkelt Nestlé würde schon Vittelwasser bunkern wenn die Mosel einmal versiegt! :-)

Bux /
18. Juli 2023 - 8.28

@ JJ/ Wir sind bisher sehr gut damit gefahren, unsere eigene Stromversorgung nicht aufzubauen. Nur 18 % unseres Bedarfs werden hier erzeugt, der Rest wird aus Belgien und Deutschland importiert, und trotzdem zahlen wir hier für die Kw/h Strom nur halb so viel wie in den Ländern, aus denen wir unseren Strom beziehen. Warum sollten wir uns unseren eigenen teuren Kuchen backen, wenn wir uns mit den Krümeln begnügen können??

JJ
17. Juli 2023 - 16.40

@cmuller, Ok.Wie dem auch sei. ".. und dem Land nicht nur eine jahrzehntelange Sicherheit bei der Stromversorgung, sondern auch zusätzliche Einnahmen durch Stromexport sowie neue Jobs garantieren." So ein Satz tut heute richtig weh,oder? Aber damals gab es ja noch keinen Putin .

cmuller
17. Juli 2023 - 14.53

@JJ - Nein, das ist nicht richtig. Wenn das AKW Remerschen gebaut worden wäre, dann würuden nun zwei AKWs nebeneinander stehen ... Wie im Artikel zu lesen ist, gab es für den Bau der beiden Anlagen bereits grünes Licht

JJ
17. Juli 2023 - 8.54

Und dann haben wir uns gewehrt und,ähnlich wie IKEA an der belgischen Grenze,jetzt steht das Ding an der französischen Grenze und wir haben nichts davon. Und weil wir ja grün und umweltbewusst sind bauen wir Solarzellen und Windräder und kaufen Strom aus Frankreich (Cattenom),weil Wind nicht immer bläst und Sonne nicht immer scheint. Wir haben ein gutes Gewissen und gehen nach Cattenom um zu demonstrieren.