Tadej Pogacar lächelte schelmisch auf dem großen Podium, nachdem er im Sekundenpoker der 110. Tour de France seinen großen Rivalen und Titelverteidiger Jonas Vingegaard gleich gehörig unter Druck gesetzt hatte. „Das war ein schöner Tag. Am Ende sind ein paar Sekunden vielleicht nicht entscheidend, es könnte aber auch sehr eng werden“, sagte der zweimalige Tour-Champion, der am Auftakt-Wochenende im Baskenland bereits elf Sekunden gegenüber Vingegaard gehamstert hatte.
Zwei dritte Plätze in Bilbao und San Sebastian, dazu der erfolgreiche Bergsprint auf dem Jaizkibel – für Pogacar läuft alles nach Plan. In der Gesamtwertung liegt er bereits auf dem zweiten Platz hinter seinem Teamkollegen und Auftaktsieger Adam Yates, der das Gelbe Trikot am Sonntag beim überraschenden Tagessieg des Franzosen Victor Lafay erfolgreich verteidigte. Wenn es jemals Zweifel an Pogacars Form nach der gut zweimonatigen Zwangspause gegeben hat, so konnte er diese eindrucksvoll beiseite wischen.
„Die Hand fühlte sich gut an. Mein Motor springt langsam an. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Form“, sagte der 24 Jahre alte Radprofi, der sein Handgelenk mit dem noch nicht ausgeheilten Kahnbeinbruch durch ein schwarzes Tape fixiert hatte. Behindert hat ihn die Verletzung, die er sich Ende April beim Frühjahrsklassiker Liège-Bastogne-Liège zugezogen hatte, aber offensichtlich nicht. Pogacar ist bei der Achterbahnfahrt durch die baskischen Berge gleich zur Abteilung Attacke übergangen, wenngleich Vingegaard auch an den steilsten Rampen noch keine Schwäche zeigte und immer am Hinterrad blieb.
Pogacar nutzt die Chance auf Sekunden
Entsprechend gelassen reagierte Vingegaard, der aufgrund seiner fehlenden Explosivität im direkten Duell mit Pogacar im Nachteil ist. „Die Tour wird wahrscheinlich nicht durch Sekunden entschieden. Wir sind auf Kurs. Man kann nicht immer gewinnen“, betonte der 26-Jährige noch zum Auftakt. Seine Chance sieht er auf den langen Anstiegen im Hochgebirge.
Bis dahin nutzt Pogacar jede Chance, etwas Zeit rauszuholen. Am Sonntag sicherte er sich auf der zweiten Etappe über 208,9 Kilometer von Vitoria-Gasteiz nach San Sebastian durch seinen dritten Platz hinter Lafay und dem Belgier Wout van Aert vier Sekunden, dazu gewann er den Bergsprint auf dem Jaizkibel vor Vingegaard, was ihm weitere drei Sekunden gegenüber dem Dänen einbrachte. Bereits am Samstag hatte Pogacar Platz drei in Bilbao belegt.
Die luxemburgischen Radprofis spielten bei der Radsport-Party im Baskenland indes eine Nebenrolle. Bob Jungels leistete am Sonntag lange Tempo- und Positionsarbeit für Kapitän Jai Hindley, der 22 Sekunden Rückstand auf Yates hat. Der Giro-Sieger von 2022 peilt in Paris das Podium an, unter normalen Umständen geht es dann um Platz drei. Für Kevin Geniets gilt ähnliches: Auch er schützte seinen Kapitän David Gaudu, der denselben Rückstand auf Yates wie Hindley hat. Für Lidl-Trek um Landesmeister Alex Kirsch und Sprinter Mads Pedersen hat sich am Wochenende noch keine Option auf einen Sieg geboten. Für die US-amerikanische Mannschaft wird sich am Montag eine Gelegenheit bieten, einen Etappensieg einzufahren. Sollten die Sprinterteams die Nachführarbeit gut organisieren, dürfte es zum ersten Massensprint der 110. Frankreich-Rundfahrt kommen. Dem Briten Mark Cavendish bietet sich dann die Chance auf den alleinigen Etappenrekord. Diesen teilt er sich noch mit Rad-Ikone Eddy Merckx (beide 34).
Carapaz und Mas schon out
Zwei Rivalen bei diesem Unterfangen haben sich bereits nach dem Auftakt-Wochenende verabschieden müssen. Olympiasieger Richard Carapaz (Ecuador) erlitt bei einem Sturz eine Fraktur der Kniescheibe, beim Vuelta-Zweiten Enric Mas (Spanien) brach das Schulterblatt.
Die befürchteten Massenstürze blieben aber aus. Nach dem Tod des Schweizers Gino Mäder, der bei der Tour de Suisse Mitte Juni in eine Schlucht gestürzt und einen Tag später gestorben war, hatten die Sicherheitsdebatten den Tour-Start begleitet.
Begleitet wurde die Tour bei ihrem Gastspiel aus Spanien auch von Hunderttausenden Radsport-Fans, die an den Anstiegen für Stimmung wie in Alpe d’Huez oder am Tourmalet sorgten. Am Montag nimmt die Tour dann auf der dritten Etappe über 193,5 Kilometer von Amorebieta-Etxano nach Bayonne Kurs auf Frankreich. Damit wachsen bei den Tour-Organisatoren auch die Sicherheitssorgen. Die Unruhen in Frankreich könnten spätestens bei der am Freitag in Bordeaux endenden siebten Etappe auch das wichtigste Sportereignis der „Grande Nation“ betreffen. „Wir verfolgen die Entwicklung genau und sind in ständigem Austausch mit dem Innenministerium“, sagte Tour-Direktor Christian Prudhomme. Die Sicherheitsvorkehrungen sollen dann während der Etappen erhöht werden. (dpa/pg)
Im Überblick
1. Etappe: Bilbao – Bilbao (182 km):
1. Adam Yates (Großbritannien/UAE Team Emirates) 4:22:49 Stunden, 2. Simon Yates (Großbritannien/Team Jayco AlUla) 0:04 Minuten zurück, 3. Tadej Pogacar (Slowenien/UAE Team Emirates) 0:12, 4. Thibaut Pinot (Frankreich/Groupama-FDJ), 5. Michael Woods (Kanada/Israel-Premier Tech), 6. Victor Lafay (Frankreich/Cofidis), 7. Jai Hindley (Australien/Bora-hansgrohe), 8. Mattias Skjelmose (Dänemark/Lidl-Trek), 9. Jonas Vingegaard (Dänemark/Jumbo-Visma), 10. David Gaudu (Frankreich/Groupama-FDJ) alle gleiche Zeit, … 59. Bob Jungels (Luxemburg/Bora-hansgrohe) 3:37, … 95. Kevin Geniets (Luxemburg/Groupama-FDJ) 11:03, … 130. Alex Kirsch (Luxemburg/Lidl-Trek) 13:53
2. Etappe: Vitoria-Gasteiz – San Sebastian (208,9 km):
1. Victor Lafay (Frankreich/Cofidis) 4:46:39 Stunden, 2. Wout van Aert (Belgien/Jumbo-Visma), 3. Pogacar, 4. Thomas Pidcock (Großbritannien/Ineos Grenadiers), 5. Pello Bilbao (Spanien/Bahrain-Victorious), 6. Mattias Skjelmose (Dänemark/Lidl-Trek), 7. Michael Woods (Kanada/Israel-Premier Tech), 8. Romain Bardet (Frankreich/Team dsm-firmenich), 9. Dylan Teuns (Belgien/Israel-Premier Tech), 10. Hindley alle gleiche Zeit, … 49. Jungels 5:00, … 64. Geniets 7:00 … 82. Kirsch 11:42
Gesamtwertung nach 2 von 21 Etappen:
1. Adam Yates 9:09:18 Stunden Stunden, 2. Pogacar 0:06 Minuten zurück, 3. Simon Yates 0:06, 4. Lafay 0:12, 5. Van Aert 0:16, 6. Vingegaard 0:17, 7. Woods 0:22, 8. Skjelmose, 9. Hindley, 10. Mikel Landa, 11. Carlos Rodriguez (beide Spanien), 12. Gaudu alle 0:22, … 45. Jungels 8:47, … 80. Geniets 18:13, … 109. Kirsch 25:45
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