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„Nicht im Interesse Russlands“

„Nicht im Interesse Russlands“

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Vermeintliche Beeinflussung des US-Wahlkampfs, Hackerangriffe auf den Bundestag und nun die Vergiftung des russisch-britischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und Tochter Julia in London die Hand Moskaus scheint omnipräsent. Die Gelassenheit der russischen Diplomatie kontrastiert mit der Hektik in einigen westlichen Kanzleien. Nicht aus der Ruhe bringen lässt sich auch Russlands Botschafter in Luxemburg Viktor Sorokin.

Tageblatt: Als Botschafter Russlands haben Sie wohl angenehmere Tage erlebt als derzeit. Konnten Sie der Luxemburger Seite bereits die russische Haltung in der Skripal-Affäre darlegen?

Viktor Sorokin: Wir werden in den kommenden Tagen die Gelegenheit haben, unsere Position zu erklären, sowohl dem Außenministerium als auch anderen Strukturen. Es gibt keine chemischen Waffen mehr auf unserem Territorium. Alle Bestände wurden zerstört, dies unter internationaler Beobachtung. Auch britische und US-Vertreter haben an der Zeremonie zur Schließung der letzten Vernichtungsinstallation in Udmurtien (westlich des Ural im europäischen Teil Russlands) teilgenommen. Dieser Prozess wurde 2017 abgeschlossen. Zerstört wurden insgesamt rund 40.000 Tonnen. Russland war übrigens das erste Land, das die Abmachung zur Vernichtung der Kampfstoffbestände integral erfüllt hat. Dies wurde auch von der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) mit Sitz in Den Haag bestätigt. Andere Länder haben ihre Bestände noch nicht ganz zerstört. Wir sind daher erstaunt zu hören, dass noch irgendwelche Waffen in Russland vorhanden sein sollen.

Es könnten ja aber noch Überreste in Labors vorhanden sein?

Es gibt keine Bestände mehr auf russischem Gebiet. Wissen Sie, in den 1990er-Jahren haben westliche Geheimdienste russische Spezialisten, die auf diesem Gebiet arbeiteten, in den Westen geführt. U.a. Wil Mirsajanow, der heute in den USA eine politische Kampagne im Zusammenhang mit der Krim führt. Forschungen wurden in mehreren Ländern weitergeführt. Die positiven Resultate bei der Entwicklung neuer toxischer Stoffe in diesen Ländern, u.a. solche, die als «Nowitschok» klassifiziert werden, wurden in mehr als 200 offenen Quellen in NATO-Ländern bestätigt. Diese Forschungsergebnisse wurden aufgrund der Arbeiten ehemaliger sowjetischer Wissenschaftler erzielt, die, weil sie arbeitslos geworden waren, in den Westen emigrierten. Unser Außenminister hat darum gebeten, das Wissenschaftliche und Technische Zentrum des britischen Verteidigungsministeriums Porton Down in Südengland besichtigen zu können. Dort wurde der beim Zwischenfall eingesetzte Stoff identifiziert. Man kann also davon ausgehen, dass dort Proben besagter Substanz vorhanden sind.

Was ja aber nicht ausschließt, dass Proben besagter Kampfstoffe auch noch in russischen Einrichtungen zu finden sind?

Wenn es Zweifel gibt, muss man die russische Seite offiziell bitten, sich zu erklären. Was übrigens in der Konvention über das C-Waffen-Verbot vorgesehen ist. Unsere britischen Freunde hätten sich gleich an die russische Seite wenden müssen, um Erklärungen zu fordern. Diesem Abkommen zufolge müssen diese Erklärungen innerhalb von zehn Tagen geliefert werden. Aber nicht morgen Abend spätestens, wie das «foreign office» dies forderte. Nun hat sich die britische Seite an die OPCW gewandt. Deren Experten sollen sich in Großbritannien das Dossier anschauen. Aber wir sind überzeugt, dass diese Ermittlungen ohne die Beteiligung russischer Experten unzureichend sein werden. Nur unter Teilnahme aller betroffenen Länder kann man eine objektive Ermittlung durchführen.

Aber die britische Premierminister Theresa May hat sich doch gleich an Moskau gewandt.

Die Konvention schreibt das genaue Prozedere vor. Ohne russische Spezialisten wird es keine objektiven Ergebnisse geben. Mit Russland kann man nicht in Ultimaten reden. So wird man niemals Ergebnisse erzielen. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn jemand eine objektive Ermittlung möchte, muss man korrekt arbeiten, ohne viel Lärm in der Presse. Ich habe die gestrige Erklärung Großbritanniens in Brüssel gehört (das Gespräch fand am Dienstag, 20.3.2018 statt; d.Red.). Derzeit entwickelt sich eine neue internationale Sprache. Bezüglich Russland spricht man von «hoher Wahrscheinlichkeit», von «eventuell» . Das war schon der Fall beim Doping-Skandal, als man sagte, wahrscheinlich sei der Staat verantwortlich, dass sich einige Sportler gedopt hätten (lacht). Übrigens widerspricht es dem internationalen Recht, wenn man uns sagt: Ihr müsst eure Unschuld beweisen. Für uns ist das alles bloß eine Provokation. Sie zielt auf Russland und die bilateralen Beziehungen ab. Vielleicht möchte jemand die Wiederherstellung normaler Beziehungen Russlands zu anderen Ländern insbesondere Europas verhindern.

Denken Sie dabei an jemanden Bestimmten?

Ich habe so meinen Verdacht, aber ich kann nicht mehr sagen.

Die Skripal-Affäre ist bloß eine weitere Folge einer Serie von Anschuldigungen gegenüber Russland, die mit dem von Ihnen erwähnten Sportlerdoping begann, sich fortsetzte mit der Einmischung in die USA-Wahlen, die Hackerangriffe auf den Bundestag…

Ja, sicher. Mich würde es nicht wundern, wenn man vor der Fußballweltmeisterschaft noch etwas finden würde. Wir unsererseits sind an der Wahrheit interessiert. Wir wollen mit der Tochter von Sergej Skripal reden. Julia ist russische Staatsbürgerin. Dem russischen Konsul haben die britischen Behörden aber den Zugang zu ihr verweigert. Obwohl das für den Konsul obligatorisch ist. Es ist im Interesse Russlands, diesen beiden Personen Hilfe zu gewähren. Wir bewahren einen kühlen Kopf. Wir wollen im Rahmen des internationalen Rechtes handeln. Wir wollen nicht öffentlich polemisieren. Aber das muss auf Gegenseitigkeit beruhen. Deshalb haben wir entsprechende Maßnahmen ergriffen.

London hat 23 russische Diplomaten ausgewiesen, Moskau 23 britische. Ist das viel?

Natürlich ist das viel. Ich kenne die genaue Zahl britischer Diplomaten in Moskau nicht. Aber es müsste wohl eine ähnlich hohe wie für uns in London sein. Die Leidtragenden werden die Menschen sein, die Visa brauchen. Wem nützt diese ganze Kampagne?

Bleibt dann nach wie vor die Frage nach den Hintergründen, oder wie die Franzosen sagen: «A qui profite le crime?»

Russland nutzt das auf jeden Fall nicht. Insbesondere am Vorabend der Wahlen (Präsidentschaftswahlen; d.Red.). An den Politikern, diese Analyse zu machen?

Sollte man das Ganze nicht in einen größeren Kontext setzen? Etwa auch mit dem Konflikt in Syrien, dem Engagement Russlands in diesem Krieg?

Nein, ich sehe keine direkte Verbindung zu Syrien. Aber im Prinzip besteht gegenüber Russland immer die Haltung: Das Land führt eine Politik gegen demokratische Prozesse. Das ist Quatsch. In Syrien bekämpfen wir Terroristen. Wir kämpfen nicht im Interesse einzelner Personen. Übrigens liegt seit 2016 ein Vorschlag Russlands auf dem Tisch, eine internationale Konvention zur Bekämpfung von chemischem und biologischem Terror auszuarbeiten. Die britische Seite blockiert unsere Vorschläge.

Russland wirft man regelmäßig vor, einen Cyberkrieg zu führen. Russische Hacker haben sich im US-Wahlkampf eingemischt, dringen in die Datennetze staatlicher Institutionen ein, etwa im deutschen Bundestag…

… und es gibt Hacker, die versucht haben, die Arbeit der zentralen Wahlkommission zu stören. Es habe Dutzende Angriffe gegeben, sagte die Kommissionsvorsitzende Ella Pamfilowa. Die Angriffe kamen aus verschiedenen Teilen der Welt. Es ist schwer, die Verantwortlichen zu identifizieren. Es gab übrigens vor einem Jahr auch Angriffe auf das russische Außenministerium und andere staatliche Stellen.

International rutschen wir in einen neuen Kalten Krieg. Die Menschen machen sich Sorgen…

In Russland sagen wir: Man muss die Mücken von der Suppe fernhalten. Der Kalte Krieg, ja der ist da, aber nicht zwischen den Bevölkerungen. Ich begegne vielen Menschen, nicht nur in Luxemburg. Die einfachen Menschen sind müde, morgens beim Aufstehen und abends beim Schlafengehen die schlechten Nachrichten aus der Presse zu hören oder zu lesen. Sie wollen friedlich leben. Ich glaube, dass diese Basis die Politiker und die Militärs dazu bringen wird, zurück zu normalen Beziehungen zu Russland zu kommen.

Man kann diese Ängste doch verstehen, wenn einerseits die USA eine Modernisierung ihrer Atomwaffen ankündigen, Russlands Präsident neueste Militärtechnik vorstellt …

Was sollen wir tun? Wir müssen doch die Mittel haben, um unser Land zu verteidigen. Sie wissen doch, dass wir keine Militärbasis außerhalb des Landes haben …

… in Syrien …

Das ist keine richtige Basis. Aber umgekehrt gibt es US-Militärstützpunkte in Europa, unweit der russischen Grenze. Wichtig ist: Wir ändern unsere außenpolitische Ausrichtung nicht. Wir wollen unsere Beziehungen zu allen Staaten entwickeln, sowohl in Asien als auch in Europa. Russland ist ja schließlich noch immer Teil Europas.

Mephisto
22. März 2018 - 11.17

Unfreiwillig witzig Tageblatt ? Oder gewollte Meinungsvielfalt ?

Auf Seite 4 der Printausgabe ein Interview mit dem russischen Botschafter. " His masters voice " bejammert die Unfairness gegenüber dem ach so guten Russland dessen Sportler nicht dopen und dessen Armee in Syrien nur Terroristen bekämpft und keine Zivilisten massakriert um Assad zu unterstützen.

Auf Seite 5 hingegen ein Interview mit Pussy Riot in welchem man ganz andere Dinge liest über das russische Regime.
Danke für Seite 5; auf Seite 4 hätte ich gerne verzichtet.