Populär war er schon immer. Umtriebig auch. Das gefiel in seiner Partei nicht jedermann. Heute wird der Sozialist Marcel Schlechter, Ex-Deputierter und Ex-Minister, 90 Jahre alt.
Der Spitzbart und die Haare sind weiß worden, das Gesicht breiter, die Boxer-Nase ragt weniger stark hervor – trotz seiner 90 Jahre bleibt Marcel Schlechter unverkennbar. Aufrecht, im rotweißen Polo-Hemd sitzt der ehemalige sozialistische Politiker am kleinen Tisch in seinem Lieblingsrestaurant in Hesperingen, das er für unser Gespräch ausgesucht hat.
Körperlich und geistig geht es dem in den 1980er Jahren äußerst beliebten Politiker ausgezeichnet. Zum Lesen müsse er eine stärkere Brille bekommen, ärgert er sich. Denn das Lesen luxemburgischer und ausländischer Zeitungen – als E-Paper auf dem Tablet, bitte schön – ist für ihn ein Muss. Dass er auf dem Laufenden ist, merkt man spätestens, wenn man über aktuelle Themen zu reden beginnt, insbesondere über die Regierungspolitik, internationale Themen oder über seine Partei. Gekoppelt mit einem phänomenalen Erinnerungsvermögen ergibt das eine unversiegbare Quelle an Informationen und Anekdoten über sein Leben in und außerhalb der Politik.
Höhepunkt seiner politischen Laufbahn war die Beteiligung an der CSV-LSAP-Regierung 1984-1989, wo Schlechter die Ressorts Transport, öffentliche Bauten und Energie verantwortete. «Wenn du als Abgeordneter irgendwo hinkamst, wurdest du kaum beachtet. Als Minister aber bist du jemand. Du wirst empfangen, dir wird ein Parkplatz reserviert», schildert er anschaulich den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen Volksvertreter und Regierungsmitglied.
«Jeder Minister hat etwas vorzuweisen», sagt er. Für ihn sind das u.a. die Elektrifizierung und die Modernisierung der Nordstrecke, die Einführung der Jumbokarte, die Jugendlichen die unentgeltliche Nutzung der öffentlichen Nahverkehrsmittel erlaubte, die Fertigstellung der Autobahn Luxemburg-Trier, der Bau der «Collectrice du Sud», die Unterführung von Waldhof und der «Contournement» der Hauptstadt. Als Energieminister setzte er die Erweiterung des Erdgasnetzes durch, insbesondere in den Osten des Landes, um dort Industriebetriebe an die billigere Energiequelle anschließen zu können.
Fraktionsinterne Widerstände
Oft musste er sich gegen die eigenen Parteikollegen durchsetzen, bedauert er etwas verbittert. Seinen Ausführungen ist zu entnehmen, dass einige Kameraden ihn wohl an der kurzen Leine halten wollten. «Ich sollte an jenem Tag dem Ministerrat die Vorschläge für den Bau des ‚Contournement‘ vorlegen», erinnert sich Schlechter. Doch mehrere Fraktionskollegen wollen ihn davon abbringen, wollten sie doch die Vorschläge eingehender studieren. Dennoch legt er der Ministerrunde das Projekt vor und bekommt dabei ausgerechnet vom damaligen Budgetminister Jean-Claude Juncker Sukkurs. Er habe Marcel die notwendigen Mittel bereitgestellt, sagt dieser. Also wurde die Entlastungsstraße für die Hauptstadt gebaut.
Überhaupt habe es bei den Ministerkollegen aus seiner Partei oft Widerstände gegen seine Vorhaben gegeben, sagt Schlechter und senkt dabei den Blick, so als schmerze ihn die Erinnerung daran noch heute.
Dass er zwar bei den Wählern punkten konnte, aber nicht bei Teilen der Parteiführung, erklärt nur teilweise Schlechters kurze Laufbahn im Kabinett. «Ich bin wohl der einzige Minister, der hinauskomplimentiert wurde, obwohl er die meisten Stimmen bekam», sagt er lächelnd. Er kandidierte im Bezirk Osten. Auch sein allzu lascher Umgang mit den ungeschriebenen Regeln der Ministerfunktion dürften ihres dazu beigetragen haben.
Dazu gehörte auch der Fauxpas beim Verschicken von Briefen an Privatunternehmen kurz vor den Wahlen. Schlechters Problem: Er hatte offizielles Briefpapier des Ministeriums benutzt, um sich bei den Partnern für die gute Zusammenarbeit zu bedanken und auf eine Fortsetzung derselben zu hoffen. «Mehr war nicht», sagt der Betroffene.
Affäre um Geldspende
Wie ein unbedeutender Zwischenfall klingt aus Schlechters Mund auch die Affäre um die Geldspende des Franklin Jurado, eines in Luxemburg wohnenden Kolumbianers, respektierter Vermögensverwalter und, wie sich später herausstellt, Finanzexperte des kolumbianischen Cali-Kartells, für das dieser Narkodollars weißwusch. Bei einem Treffen in einem Hotel in Anwesenheit anderer Eingeladener übergab Jurado dem damaligen Transportminister einen Briefumschlag mit 50.000 Luxemburger Franken als Wahlkampfspende. Jurado wurde 1992 zu 54 Monaten Gefängnis wegen Geldwäsche verurteilt und wenig später an die USA ausgeliefert.
Überrascht sei er über das Ausmaß, das diesem Ereignis beigemessen wurde. Dabei habe er auch Briefumschläge mit Tausenden Franken von anderen Leuten bekommen, sagt Schlechter. Dank seiner Popularität konnte er Millionen Franken für den Wahlkampf seiner Partei sammeln.
Seine politische Karriere beendet er in Straßburg. Nach dem Tod von Robert Krieps wechselt er ins Europaparlament, in das er 1994 wiedergewählt wurde. Anstrengend sei die Arbeit dort gewesen, meint er, der sich dort u.a. mit Transportfragen beschäftigte. «Wenn du dort über die Flure eilende Personen siehst, dann sind das Deputierte, die zur nächsten Sitzung laufen. Spaziert jemand gemütlich mit Akten unter dem Arm daher, handelt es sich um einen Mitarbeiter oder Beamten», sagt er und lacht dabei.
«Aus mit dem schönen Leben»
Den Ministerehren waren lange Jahre auf der Abgeordnetenbank vorausgegangen. 1967 war Schlechter für Victor Bodson ins Parlament nachgerutscht, nachdem dieser nach Brüssel in die Kommission der Europäischen Gemeinschaften berufen worden war. Die Freude währte nur ein Jahr. 1968 wird er nicht mehr wiedergewählt. «Aus mit dem schönen Leben», scherzt Schlechter. Ab sofort muss er seinen Lebensunterhalt erneut als Busfahrer bei der CFL verdingen. Man gibt ihm gleich eine lange Tour, für die er täglich mehr
als 230 Kilometer zurücklegen muss. Ein Racheakt ehemaliger Berufskollegen, mutmaßt er. 1974 schafft er erneut den Sprung ins Parlament, wo er bis zur Nominierung in die Regierung blieb.
Ob Schlechter denselben beruflichen Parcours auch heute hinlegen könnte? Tatsächlich gelang auch in den Nachkriegsjahren wenigen Frauen und Männern ohne Hochschulausbildung, aber mit großen sozialen Kompetenzen ausgestattet der Sprung bis an die obersten Schaltstellen der Macht.
Dass es für Schlechter zum Studium nicht reichte, lag an den äußeren Umständen. Als die Wehrmacht im Mai 1940 Luxemburg besetzt, lebt er bei seinem Onkel, bekennender Kommunist, der wenig später verhaftet wird. Dieses familiäre Umfeld versperrt ihm den Weg aufs Gymnasium, sagt er. Denn das Zeug zum Studieren hätte er gehabt. Stattdessen macht er eine Gärtnerlehre, arbeitet im Walzwerk von Arbed Schifflingen, liefert Wein an Kunden, bis er schließlich Berufsfahrer bei der CFL wird. Die Mitgliedschaft im LAV, der Vorläuferorganisation des OGBL, bereitet ihm den Weg in die LSAP vor, die er mehrere Jahre auch im Echternacher Gemeinderat vertreten wird.
Mit Gegnern versöhnt, kritisch zur Partei
Seiner Partei bleibt Marcel Schlechter trotz persönlicher Anfeindungen treu, auch wenn er längst nicht mehr aktiv dabei ist. Mit seinen damaligen Gegnern hat er sich in der Zwischenzeit ausgesöhnt. Doch die Partei heute gefällt ihm nicht. «Zu wenig sozial», sagt er.
Für die Wahlen im Oktober schwant ihm nichts Gutes. Unverständlich ist, wieso die Partei nicht ihren populärsten Kopf, Außenminister Jean Asselborn, als Spitzenkandidaten ins Rennen schickt, auch wenn man dann nach den Wahlen über die Postenverteilung reden könne – wenn die LSAP es denn erneut zu Regierungsehren schaffen sollte.
Aber vielleicht fehlt es seiner Partei an dem, was laut Schlechter einen guten Boxer ausmacht: «Alles spielt sich im Kopf ab: Du musst gewinnen wollen.» Er selbst hat das erstmals vorgelebt, als er 1951 Box-Landesmeister im Leichtgewicht und 1953 Landesmeister im Weltergewicht wurde. Den Rest kennen wir.
Bravo! De Marcel huet scheinbar alles gemat, just keng Mass gelies. Awer wee wees ?
An en huet matt mengem Papp zesumme geboxt , alles guddes Herr Schlechter
@Tanti Aguri Marcel; Dem Här Boden autofueren beibruecht! Och net schlecht wir et gewiescht wann en him Politik machen beibruecht hätt, souguer wann et nemmen d'Basis gewiescht wir.
De Marcel war an ass e Sozialist, deen de Numm nach verdéngt. Alles Guddes !
Mit der Neugestaltung der Kreuzung Waldhaff entschärfte er eine sehr gefährliche Gefahrenstelle im Verkehr.
Sehr gut gedacht und gemacht.
...und Busfahrer der auf der Strecke nach Echternach einen Stein in die Windschutzscheibe bekam und den vollbesetzten Studentenbus trotz "explodierender" Windschutzscheibe in der Gewalt halten konnte und einen größeren Unfall vermied. Der mittlerweile 63-jährige Ex-Student bedankt sich und gratuliert zum 90.
Ein Teufelskerl dieser Marcel, uns wurde immer ezählt er wäre ein guter Busfahrer gewesen. Ausserdem wurde ihm nachgesagt er hätte Fernand Boden das Autofahren beigebracht
Exakt och meng Meenung ! Ech wönschen him alles Guddes !!
Als Politiker; éierlech an richt raus. Eng Spezie det haut um ausstierwen as. Meng Gleckwensch an weider eng gut Gesondheet.
Es freut mich wahnsinnig zu lesen, dass es ihm nicht nur gesundheitlich so gut geht und wünsche ihm, dass es so bleibt! Er half, wo er konnte - auf ihn war Verlass, kein Dampfplauderer, sondern volksnah, ehrlich und selbstlos! Schon längst findet man keinen mehr wie ihn, denn jeder ist sich selbst der Nächste. Ich kenne niemanden, der ihm auch nur annähernd das Wasser reicht. Von ganzem Herzen das Allerbeste für den besten Ex-Politiker und Mensch!!!
Herzliche Glückwünsche, Marcel, und ad multos annos!