Die Debatte war streckenweise ein Rückblick auf die während der heißen Phase der Pandemie getroffenen Maßnahmen und eine Wiederholung der OECD-Empfehlungen, wobei je nach Parteifarbe das Positive oder das weniger Lobenswerte hervorgehoben wurde. Sie bot jedoch auch dem ehemaligen Gesundheitsminister und LSAP-Abgeordneten Mars di Bartolomeo die Gelegenheit, das Gesundheitssystem vor Angriffen einzelner Interessengruppen in Schutz zu nehmen.
Seit anderthalb Jahren hatte die CSV diese Interpellation gefordert. Dabei ging es ihr insbesondere um eine konkrete Auswertung der Wirksamkeit der getroffenen Covid-Maßnahmen. Ein weiterer Dauerbrenner der CSV: die Forderung nach einem Pandemiegesetz. Claude Wiseler (CSV) erinnerte daran, dass man stets auf Widerstand der Regierung stieß. So hieß es, die Wirkung einzelner Maßnahmen könne nicht bewertet werden, da ein ganzes Maßnahmenpaket vorliege. Dann wurde man auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet. Schließlich wurde eine Studie der OECD in Aussicht gestellt.
Wiseler gab sich überzeugt, dass eine Bewertung der einzelnen Anti-Covid-Maßnahmen durchaus möglich war. Das hätten entsprechende Studien im Ausland gezeigt. Was brachte etwa Maskenpflicht und Lockdown, die Ausgangssperren, 3G auf der Arbeitsstelle und in der Schule, die Sperrstunde im Gaststättenbereich? Auch die OECD fordere derlei Analyse, so Wiseler.
Zu viel Hektik beim Gesetzemachen
Laut OECD habe die Regierung zu Beginn der Krise schnell und wirksam reagiert. Als Opposition habe man die Ausrufung des Krisenzustands und das sich anschließende Covid-Gesetz unterstützt, so Wiseler weiter. Nicht einverstanden sein konnte eine breite Parlamentsmehrheit jedoch mit dem Vorschlag der Regierung, weitere Maßnahmen nur über großherzogliche Reglements einzuführen. Die Folge war, dass das Parlament weiterhin stets einbezogen wurde. Und dafür bekomme die Regierung eine gute OECD-Benotung.
Wiseler beklagte sich über die Hektik beim parlamentarischen Werdegang der Covid-Gesetze. Sehr oft mussten Texte innerhalb weniger Tage überstürzt verabschiedet werden. Das Parlament sollte sich die notwendigen Mittel geben, um bei einem Notfall wie einer Pandemie schnell arbeiten zu können. Auch diesen Zweck soll ein spezielles Pandemiegesetz erfüllen. Es sollte der Regierung ermöglichen, in einer Krisensituation schnell zu reagieren. Gleichzeitig müsste es deren Befugnisse klar begrenzen. Die parlamentarische Kontrolle müsse erhalten bleiben. Definiert werden müssten des Weiteren die Aufgaben von Gemeinden und Polizei.
Die Regierung habe vor einem Jahr die Entscheidung getroffen, eine Studie bei der OECD in Auftrag zu geben, um Lehren für zukünftige Krisen zu ziehen, so Premierminister Xavier Bettel (DP).
Die Regierung habe schnell reagieren müssen. Zum damaligen Zeitpunkt und mit dem damaligen Wissensstand habe man richtig reagiert, so Bettel. Damals wusste niemand, ob Masken helfen würden oder nicht. Heute, wo man das Virus besser versteht, sage man sich, man hätte anders handeln können. „Wir wollten keine Gefälligkeitsstudie“, betonte Bettel. Die OECD stellte Luxemburg keine schlechten Noten aus – „keng Daz“. Vielmehr hätten Regierung und Chamber zusammen die richtigen Entscheidungen getroffen. Zu Beginn konnte er nichts anderes tun, als den Krisenzustand auszurufen. Die Freiheitsbeschneidungen gehörten zu den schwierigsten Entscheidungen, die getroffen werden mussten.
Übersterblichkeit in Seniorenheimen
Laut Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) habe man oftmals improvisieren müssen. Einen perfekten Plan gab es nicht. Mit der Analyse seitens der OECD wollte man einen Blick von außen bekommen. Man arbeite bereits an Verbesserungen. Der Bericht gebe Anregungen und lege Schwachstellen offen, die man zum Teil selbst erkannt habe. Lenert nannte dabei die mangelhafte Digitalisierung des Gesundheitssektors, insbesondere bei der zentralen Erfassung medizinischer Daten. Weitere Schwachstellen sind die große Abhängigkeit von Fachkräften aus der Grenzregion und das Fehlen einer gemeinsamen Einkaufszentrale für pharmazeutische Produkte. Anfang 2023 werde man einen entsprechenden Vorschlag vorlegen, versprach Lenert. Sie betonte die Notwendigkeit eines Pandemiegesetzes. Man sollte jedoch nichts überstürzen.
Marc Spautz (CSV) lobte die Unterstützung der Beschäftigten und Unternehmen. Die Kurzarbeit habe viele Arbeitsplätze gerettet. Überlegen sollte man sich, wie in Zukunft auch Selbstständige unterstützt werden könnten. Weniger positiv äußerte er sich zur Situation in den Altersheimen. Laut OECD-Bericht seien die Senioreneinrichtungen nicht richtig vorbereitet gewesen. Man sollte seine Fehler eingestehen, forderte Spautz.
Spautz war nicht der Einzige, der auf die Problematik der Übersterblichkeit in Seniorenheimen hinwies. Die Situation dort sei lamentabel gewesen, sagte Sven Clement (Piratepartei). In Luxemburg wurden doppelt so viele Tote verzeichnet als im Ausland. Schwerwiegende Vorwürfe, die Familienministerin Corinne Cahen (DP) am Ende der Debatte zurückwies. Warum starben mehr Leute in den Luxemburger Heimen, fragte sie. Weil Luxemburg ein performantes Netz für Pflege zu Hause habe. Wenn Menschen in Luxemburg in ein Pflegeheim umziehen, seien sie älter als im Ausland. Auch das stehe im OECD-Bericht.
Die Regierung und das Parlament hätten während der Pandemie ihre Verantwortung übernommen, lobte DP-Fraktionschef Gilles Baum. Seine Lehren aus der Pandemiezeit: die Telearbeit implementieren, die Selbstständigen besser schützen, den Gesundheitssektor verstärkt informatisieren, allen Kindern hochwertige Bildung dank digitaler Mittel ermöglichen, mehr lokal produzieren und konsumieren.
Parlamentarische Kontrolle gewahrt
Der Berichterstatter sämtlicher Covid-19-Gesetze, Mars di Bartolomeo, unterstrich, dass Luxemburg im Vergleich zu anderen Ländern, die sich ebenfalls von der OECD durchleuchten ließen, gut abschnitten habe. Die Krisenbewältigung sei durchwegs gut gewesen. Das Gesundheitssystem sei gut und leistungsfähig. Erstaunt sei er über die Schwarzmalerei einzelner Akteure des Gesundheitswesens. Luxemburg könne keineswegs mit einem Entwicklungsland verglichen werden. Laut dem Umfrageinstitut TNS-Ilres ist eine Mehrheit der Ansicht, sie würden im Luxemburger Gesundheitssystem gut versorgt. Zwar nannte di Bartolomeo die Ärztevereinigung AMMD nicht, doch war sie wohl gemeint, als er davor warnte, den Spitalsektor gegen eine medizinische Betreuung außerhalb und die stationäre gegen die ambulante Behandlung auszuspielen. Statt Konkurrenten zu sein, sollten die einzelnen Dienste sich besser vernetzen. Polemik sei kein Zeichen von Stärke, sondern fehlender Argumente. Schwachstellen wie lange Wartezeiten sollten gemeinsam beseitigt werden. Fehlen Geräte, sollen neue gekauft werden.
Josée Lorsché („déi gréng“) unterstrich den demokratischen Werdegang der Covid-19-Gesetze. Bei der Bekämpfung der Pandemie schlug Luxemburg seinen eigenen Weg ein – den der parlamentarischen Kontrolle. Das zeichnet das Land gegenüber anderen Ländern aus, in denen diese Kontrolle fast vollständig fehlte. Lorsché erinnerte an Angriffe von Impfgegnern auf Politiker und Journalisten. Luxemburg dürfe nicht zum Nährboden extremistischer Bewegungen werden. Auf diese Vorfälle sei die OECD nicht eingegangen, was aber nicht bedeute, dass sie irrelevant sind.
ADR-Sprecher Jeff Engelen stellte die Befähigung der OECD zur Erstellung einer Studie zu Luxemburgs Covid-Politik infrage. Den entsprechenden Bericht bezeichnete er als eine Gefälligkeitsstudie. Er forderte weiterhin eine neutrale Bewertung der Anti-Covid-19-Maßnahmen. Ein Seitenhieb auf die CSV: Diese wollte noch strengere Maßnahmen.
Auch Nathalie Oberweis („déi Lénk“) kritisierte die Wahl der OECD bei der Studienvergabe. Die OECD sei als zwischenstaatliche Organisation nicht wirklich unabhängig, betrachte die Angelegenheiten durch eine entsprechende ideologische Brille. Sie sehe nicht alles und beleuchte nicht alle Aspekte der Covid-Krise. Ein weiterer Kritikpunkt der Abgeordneten: die Auslagerung der Tests und des Contact Tracing an große Privatunternehmen. Diese Aufgaben müssten in Zukunft vom Staat übernommen werden.
Ob das Thema Covid-19 für das Parlament nach der fast vierstündigen Debatte gestern abgeschlossen ist – diese Aussage wagte keiner der Redner. Das Virus sei noch immer vorhanden und es sei ungewiss, wie es sich weiter entwickeln werde, hieß es mehrmals.
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