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Das Corona-Tagebuch (6)Freitag, 20. März: #iwishicould

Das Corona-Tagebuch (6) / Freitag, 20. März: #iwishicould

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Das Coronavirus beherrscht das Leben in Luxemburg. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Eigentlich genau der richtige Zeitpunkt, um seine Gedanken mal wieder in einem Tagebuch niederzuschreiben. Was fällt uns auf, was empfinden wir und was erwarten wir? Das Corona-Tagebuch des Tageblatt gibt Einblick in diese Gedankenwelt.

Seit Jahren schreibe ich meine Artikel nicht im Redaktionsgebäude. Im fensterlosen Großraumbüro kann ich mich nicht konzentrieren, ich bewundere jene, denen es gelingt, eine Reportage zwischen zwei Anrufen, den Rauchpausen und den Gesprächen mit den Arbeitskollegen zu verfassen. Zu Hause sind Ablenkungsquellen wie das Sofa, das Klavier oder das Bett – zum Powernapping – zu verlockend, weshalb ich seit nunmehr einem Jahrzehnt mein Nomadenbüro – bestehend aus meinem Laptop und einigen Büchern – durch Espressobars, Kneipen und Cafés schleppe. Ich brauche den Minimalismus des Cafés, die Reduktion der Ablenkungsmöglichkeiten – hier bin ich alleine, soziale Kontakte sind aufs Minimum reduziert, die Möglichkeit der menschlichen Nähe ist zwar beruhigend, meine Kopfhörer erlauben es mir allerdings, mich vor schlechter Musik – leider dank Eldoradio und RTL omnipräsent – und unerwünschten, da zeitraubenden Gesprächen abzuschotten.

Nun ist es vorbei mit dem Nomadismus, ich arbeite zu Hause, verspüre wenig Druck beim Artikelschreiben – abends kann man ja eh nirgendwo hin –, weswegen ich tagsüber auch mal prokrastiniere. In Camus’ „La peste“ stellt sich eine Figur vor, wie es wäre, die Zeit in ihrer ganzen Langsamkeit zu erfahren. Tarrou gibt ein paar Tipps: im Wartezimmer eines Arztes verweilen, einer Konferenz in einer Sprache, die man nicht versteht, zuhören. In Zeiten des Coronavirus entspricht jeder einzelne Tag einer solchen Ausdehnung der Zeit. Die ich mir dann teilweise auf sozialen Netzwerken vertreibe – soziale Netzwerke, die momentan, wie der Rest der Welt, vom Coronavirus phagozytiert werden.

In den letzten Tagen sind mir dabei zwei Trends aufgefallen, die hoffentlich dem Delirium der Einsamkeit so mancher zu verschulden sind. Das erste ist der Aufruf, „the fuck“ zu Hause zu bleiben. So mancher behauptet, das Virus würde uns alle gleichmachen. Dem muss ich leider widersprechen: Die Menschheit ist mehr denn je ungleich. Wir unterscheiden zwischen denen, die von zu Hause arbeiten können – ich zähle mich zu diesem glücklichen Teil der Bevölkerung – und denen, die das nicht tun können.

Aus genau diesem Grund ist die Aufforderung, zu Hause zu bleiben, wohlgemeint, aber sehr selbstbezogen und daneben. Ich stelle mir eine Kassiererin vor, die den ganzen Tag die Waren hustender Kunden gescannt hat und die, auf dem Heimweg im Zug nach Longwy, ihr Handy aus der Tasche zieht, um dann auf Facebook den Post von jemand zu lesen, der meint, man solle doch jetzt in den eigenen vier Wänden über das Leben sinnieren – und hinzufügt, wie unverantwortlich es doch wäre, überhaupt vor die Tür zu gehen.

Womit ich bei der zweiten Art Fremdschäm-Post angekommen wäre: Die Aufforderung, in Zeiten des Virus das eigene Leben zu überdenken, und die Hoffnung, nach dem Virus würde eine bessere Welt starten. Das klingt schön, ist aber naiv – und wieder ein Schlag ins Gesicht für alle Betriebe, die nach der Krise in finanziellen Schwierigkeiten stecken werden.

Nach dem Coronavirus wird der Kapitalismus alles überrollen, er wird Opfer fordern, die Geldmaschine wird wieder angekurbelt, jeder von uns wird verreisen und konsumieren, will das Versäumte nachholen. Wir leben im Zeitalter des kapitalistischen Realismus. Wir haben die Chance auf ein anderes System vertan. Mittlerweile kam die Frage auf, ob das Internet die Auslastung durch die vielen Surfer überhaupt aushalten wird. Vielleicht muss ich mich im Falle des Kollapses nicht mehr so viel über Facebook-Einträge aufregen – und kann mehr Zeit damit verbringen, noch nicht gelesene Bücher in meiner Bibliothek zu lesen.   

Das Tageblatt-Tagebuch

Das Leben ist, wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit Montag (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.