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AnalyseHohe Inflation hilft, Europas Schuldenquoten schrumpfen zu lassen – nur nicht in Luxemburg

Analyse / Hohe Inflation hilft, Europas Schuldenquoten schrumpfen zu lassen – nur nicht in Luxemburg
Während einer Inflation verlieren Schulden genauso an Wert wie das Geld selbst Foto: AFP/Miguel Medina

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Die hohe Inflationsrate ist ein Segen für die hoch verschuldeten europäischen Länder. Europaweit geht die Verschuldungsquote spürbar zurück. Nicht jedoch in Luxemburg. Im Ranking der am wenigsten verschuldeten Mitgliedsstaaten riskiert das Land, weiter zurückzufallen. Klassenbester ist das Großherzogtum schon seit vielen Jahren nicht mehr.

Bereits seit Jahrzehnten ächzen Europas Staaten unter hohen Schuldenbergen. Die Verschuldungsquote von 60 Prozent zum BIP, wie sie die Euro-Stabilitätskriterien vorgesehen haben, wurde in der Eurozone noch nie eingehalten. Nach der Finanzkrise von 2008 war die Quote von rund 70 Prozent auf über 90 gestiegen. Mit dem Corona-Stillstand kratzte sie dann, Anfang 2021, an der 100-Prozent-Marke. Die Zeit dazwischen, als die Konjunktur dank Niedrigzinsen und Geldschwemme gut lief, war von kaum einem Land zur Besserung der Haushaltslage genutzt worden.

Eine radikale Wende hat nun die hohe Inflationsrate gebracht. Hohe Preissteigerungen sind für Verbraucher und Unternehmer zwar eine Qual, aus Sicht von Regierungen ist die Lage jedoch nicht so eindeutig: Mit höheren Preisen steigen automatisch die Steuereinnahmen. Die Entwertung des Geldes drückt zudem ganz von selbst die Verschuldungsquoten, berechnet in Bezug auf die Wirtschaftsleistung. Ohne dass Regierungen sparen müssen, schrumpft so der Verschuldungsgrad.

967 zusätzliche Milliarden geliehen

So hilft die hohe Geldentwertungsrate aktuell bei der Bewältigung der Rekordschulden. In den europäischen Zahlen macht sich das bereits seit Mitte 2021 bemerkbar. Damals, im April 2021, hatte die Inflationsrate die Marke von zwei Prozent überschritten. Im Oktober dann die Marke von drei Prozent, im November die von vier Prozent. Im Februar 2022 sprang sie über die Marke von sechs Prozent; im Oktober erreichte sie einen Höhepunkt bei über zehn Prozent.

Als Anteil der Wirtschaftsleistung (BIP) ist die Verschuldungsquote im Währungsraum, laut Eurostat, um deutliche 8,4 Prozentpunkte auf 91,2 Prozent geschrumpft. In fast jedem Land ist sie zurückgegangen. Dank der Geldentwertung wird so geschafft, was in der Zeit der „unorthodoxen Geldpolitik“ nicht erreicht wurde.
Besonders deutlich war der Rückgang der Schuldenquote in den beiden letzten Jahren in Griechenland (minus 41,2 Prozentpunkte), Zypern (minus 35,1 Prozentpunkte) und Portugal (minus 24,4 Prozentpunkte). Zurück ging sie jedoch auch in Italien (minus 15,4 Prozentpunkte) und in Frankreich (minus 5 Prozentpunkte). Nur in einem einzigen Euroland war die Quote in den beiden letzten Jahren nicht rückläufig: in Luxemburg.

Dabei wurden auch in den letzten beiden Jahren keine Schulden abgebaut. Im Gegenteil: Die Eurostaaten haben sich in dem Zeitraum 967 zusätzliche Milliarden geborgt. Wirklich Schulden zurückbezahlt haben nur sehr wenige Mitgliedsstaaten. Europaweit waren dies lediglich Schweden, Dänemark, Zypern und Irland.
Auf die schier unvorstellbare Summe von insgesamt 12.468 Milliarden Euro beläuft sich mittlerweile das Volumen der Gelder, die sich die Mitgliedsstaaten der Eurozone bei Geldgebern geliehen haben. Die beiden Länder mit den höchsten Schuldensummen sind Frankreich (3.013 Milliarden) und Italien (2.790 Milliarden). Verglichen mit der Wirtschaftsleistung (BIP) sind es Griechenland (168 Prozent) und Italien (143,5 Prozent).

Finanzkrise von 2008 als Wendepunkt

So wie im restlichen Europa war auch die Verschuldung Luxemburgs mit der Finanzkrise von 2008 deutlich gestiegen. Damals galt es, die Banken, und damit die gesamte Volkswirtschaft, zu retten. Auch Länder wie Dänemark und Schweden hatten sich damals Geld geliehen, um den Bankensektor zu stützen. In Dänemark war die Schuldenquote zwischen 2008 und 2010 von 27 auf 44 Prozent gestiegen; in Schweden zwischen 2008 und 2014 von 35 auf 45 Prozent.

Besonders stark verbessert haben sich in den letzten Jahren übrigens die Zahlen aus Irland. Als eines der einzigen Länder hat es das günstige Umfeld vor den beiden letzten Krisen genutzt: Von einer Schuldenquote von rund 30 Prozent vor der Finanzkrise von 2008 war die Quote im Zuge der Bankrettungen bis 2012 auf satte 120 Prozent des BIP angeschwollen. Seitdem hat sich die Regierung jedoch, vor allem durch starkes Wachstum, wieder mehr finanziellen Spielraum verschafft. Aktuell liegt die Quote nur noch bei 43,5 Prozent.

Doch während in Dänemark, Schweden und Irland seitdem eher vorsorglich gehaushaltet wurde, ist der Schuldenstand in Luxemburg seitdem mit jeder weiteren Krise sprunghaft weiter angestiegen. Dabei scheint jede Krise teurer als die vorherige zu werden. Zwischen den Krisen wurden die Schulden nicht abgebaut. Im Jahr 2013 hatte Luxemburg erstmals neue Schulden aufgenommen, um alte zu refinanzieren.

Allein in den letzten beiden Jahren hat die Luxemburger Regierung mehr als 3,8 Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen. Insgesamt hat sich der Staat damit heute 22,2 Milliarden bei Geldgebern geliehen. Die Verschuldungsquote liegt mittlerweile bei 28 Prozent des BIP. Die Summe ist damit bereits höher als in dem der EU-Kommission vorgelegten Mehrjahresplan „Programme de stabilité et de croissance“ von April 2023. Ihm zufolge dürfte das Land dieses Jahr mit 21,4 Milliarden beenden.

Zinszahlungen von mehr als 500 Millionen Euro

Langfristig sehen die Pläne für Luxemburg dabei auch nicht gut aus. Vorgesehen ist, zumindest bis 2027 jedes Jahr neue zusätzliche Schulden aufzunehmen. Ende 2027 sollen es dann über 29 Milliarden Euro sein. Doch die Schulden kosten Geld. Mit dem rasanten Wachstum der geliehenen Gelder und den zeitgleich steigenden Zinssätzen legt auch die Belastung des Staatshaushaltes durch das Bedienen der Zinsen spürbar zu.

Laut den Angaben im „Programme de stabilité et de croissance“ von April 2023 erwartet die Regierung, dass die Zinslast in den nächsten Jahren von 128 Millionen Euro im Jahr 2023 auf satte 510 Millionen Euro im Jahr 2027 steigen wird, was dem Vierfachen der derzeitigen Last entspricht.

Die Zeit der Negativzinsen auf Staatsanleihen ist bereits seit Februar 2022 vorbei. Mittlerweile (Juni 2023) muss auch ein Land wie Luxemburg, mit einem AAA, laut Zahlen der Zentralbank wieder mehr als drei Prozent auf seinen Schulden zahlen.

Dieser negative Trend ist nicht neu: So hatte beispielsweise der Luxemburger Rechnungshof die Regierung bereits nach Corona zu mehr Nachhaltigkeit bei den öffentlichen Finanzen aufgefordert. Die Behörde beklagte, dass Luxemburg – um die Auswirkungen jeglicher Krisen zu bewältigen – immer wieder auf neue, zusätzliche Schulden zurückgreift. Und auch wenn der Schuldenstand Luxemburgs immer noch deutlich unter der europäischen Norm von 60 Prozent liege, so „gibt es keine Garantie dafür, dass diese Grenze in mehr oder weniger naher Zukunft nicht überschritten wird“, so der Rechnungshof damals. Dieses Jahr hat auch der Internationale Währungsfonds der Regierung geraten, sie solle umsichtiger mit wiederkehrenden Ausgaben umgehen. Finanzielle Reserven sollen für Notfälle erhalten bleiben.

Trotz dieser negativen Entwicklung hat Luxemburg (mit 28 Prozent) immer noch eine der niedrigsten Verschuldungsquoten im Währungsraum. Es respektiert sogar die für den Euro wichtigen, wenn auch ausgesetzten, Stabilitätskriterien. Das EU-Land mit der geringsten Verschuldungsquote ist das Großherzogtum jedoch schon lange nicht mehr. Das sind mittlerweile Estland und Bulgarien. Und geht es mit der Verschlechterung der Luxemburger Zahlen weiter wie zuletzt, dann könnte das Land bald auf den fünften Platz zurückfallen. Aktuell haben Dänemark und Schweden Quoten von 29,4 resp. 31,7 Prozent.

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