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FechtenFlavio Giannotte: Mit dem Crossrad Richtung Olympia

Fechten / Flavio Giannotte: Mit dem Crossrad Richtung Olympia
Flavio Giannotte bereitet sich im Cyclocross auf die Fecht-Saison vor Fotos: Anouk Flesch/Tageblatt

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Neben Lis Fautsch, die ihren Degen vor einigen Monaten an den Nagel gehängt hat, ist Flavio Giannotte, vom Cercle d’Escrime Esch, das Aushängeschild des luxemburgischen Fechtverbandes. Nach der Corona-bedingten Pause und überstandenen Verletzungen will der 26-Jährige jetzt durchstarten. Zur Saisonvorbereitung hat der Sportlehrer eine für Fechter sehr unkonventionelle Disziplin für sich entdeckt: den Cyclocross.

Der Bewegungsdrang des Vorzeigeathleten äußerte sich bereits in jungen Jahren. „Als Kind war ich dauernd draußen. Ich bin aus der Schule gekommen, hab meinen Rucksack in die Ecke geworfen und spielte gleich Fußball mit den Freunden“, sagt Giannotte. „Früh habe ich Leichtathletik und Schwimmen im Verein betrieben. Jahrelang bin ich auch geritten. Im Alter von neun Jahren stand ich erstmals auf der „Planche“. Badminton und Tennis hatte ich auch ausprobiert. Von all diesen Sportarten war ich immer fasziniert. Ich habe das Glück, über gute motorische Fähigkeiten zu verfügen, sodass ich mich in sämtlichen Sportarten gut zurechtfand. Auch im Fernsehen habe den Sport mit großem Interesse verfolgt.“ 

Aktuell fährt er noch auf einem zu kleinen Rad eines Freundes 
Aktuell fährt er noch auf einem zu kleinen Rad eines Freundes 

In seiner Familie hat allerdings der Fechtsport Tradition. Flavio wollte seinem Großvater nacheifern und stand bei seinem ersten Wettkampf, einem internationalen Turnier in Luxemburg, gleich auf dem Podium. Im Alter von 14 Jahren war er als jüngster Teilnehmer bei der Europameisterschaft in Athen dabei und war derart beeindruckt, dass er diesen sportlichen Weg eingeschlagen hat. Mit seinem fünften Platz bei der U23-Europameisterschaft und Rang neun bei der Universiade stellte er sein Riesentalent unter Beweis. Es folgten der 14. Platz bei der EM 2018 und zwei Top-40-Ergebnisse bei der WM (2017 und 2019). Neben seinem Sieg gegen Park Sang-Young, den Olympiasieger von Rio, hatte der Degenspezialist auch das Kunststück fertiggebracht, der französischen Fechtikone Yannick Borel eine empfindliche Niederlage zuzufügen.

Lizenz beim Schüttringer Radsportverein

Sein letztes internationales Turnier bestritt Flavio Giannotte im März vergangenen Jahres in Budapest. Während des Lockdowns saß der Degenspezialist täglich auf seinem Rennrad. „Sechsmal die Woche bin ich jeweils rund 120 km gefahren. Mit meinem Freund Pierre Tanson wollten wir nach Turin fahren. Wegen der strengen Corona-Maßnahmen durften wir nicht über die italienische Grenze. Binnen einer Woche haben wir dennoch 1.000 km zurückgelegt.

Das Radfahren ist seit jeher meine Leidenschaft. Mit meinen Freunden war ich ständig auf dem Rad unterwegs. Wir sind Rennen gefahren, haben Schanzen gebaut. In Reckingen konnte ich die Coupe scolaire gewinnen. Im Alter von 15 Jahren bekam ich ein altes Rennrad geschenkt. Damit bin ich immer eine Stunde gefahren und hab mich dabei voll verausgabt. Bei jeder Ausfahrt wollte ich meine Bestzeit toppen“, so der COSL-Athlet, dessen Eifer sich mit seiner Teilnahme an der Cyclosportive Charly Gaul noch gesteigert hat. „Dort bin ich zum ersten Mal im Rennen mehr als 100 km gefahren, ein Meilensprung. Vorher waren es maximal 40 bis 45 km. Ich habe festgestellt, dass mir diese Distanzen liegen.“

Technisch müsse er noch einiges dazulernen, sagt Giannotte
Technisch müsse er noch einiges dazulernen, sagt Giannotte

Durch Pierre Tanson hat Giannotte den Verein Hirondelle Schüttringen kennengelernt. „Vor zwei Jahren hat er mich zum Night Cross nach Reckingen mitgenommen, wo er in der Altersklasse der Masters gestartet ist. Das hat mich derart fasziniert, dass ich mir vornahm, im darauffolgenden Jahr auch mitzufahren. Wegen Corona wurde daraus jedoch nichts“, erklärt Giannotte, der sich durch die Zwangspause jedoch nicht ausbremsen ließ. Den Anstoß, sich aufs Crossrad zu schwingen, gab ihm auch Pierre Tanson. Im Mai dieses Jahres schenkte ihm sein „Mentor“, zum Geburtstag, ein komplettes Outfit seines Vereins. Demnächst wird der zehnfache Landesmeister im Fechten seine erste Lizenz beim Schüttringer Radsportverein beantragen.

Seit Beginn dieser Cyclocross-Saison fährt Giannotte jede Strecke zum Training ab. „Mir wurde erst dort bewusst, wie brutal diese Disziplin eigentlich ist. Wegen meiner Morphologie, aber auch durch die Tatsache, dass ich gut durchtrainiert bin, habe ich Schwierigkeiten, meinen Puls auf über 180 Schläge pro Minute zu bringen. Auf meiner ersten Runde auf dem Crossrad kam ich dann aber gleich auf einen Durchschnittswert von 185.

Jede Strecke fahren wir fünf bis sechs Mal ab und sind rund eine Stunde unterwegs. Dabei mache ich regelmäßig mit dem Boden Bekanntschaft. Was die Technik anbelangt, muss ich noch viel hinzulernen. Ich habe keine Angst, hinzufallen, habe die Verletzungsgefahr aber dauernd im Hinterkopf. Ich gehe schon an meine Grenzen, versuche dabei aber nicht übermütig zu werden. Davor warnt mich auch mein Trainer, der mich nur allzu gut kennt. Die Genugtuung nach einem solchen Training ist enorm“, berichtet Giannotte über seine ersten Erfahrungen auf den Strecken von Reckingen, Brouch, Kayl, Schouweiler und Mondorf.

Der Reiz der Randsportarten

Wegen eines zweitägigen Fechtturniers im elsässischen Colmar fällt sein Training am Wochenende in Contern aus. Anfang kommenden Jahres will sich Flavio Giannotte, der seine Runden derzeit auf dem für ihn zu kleinen Reserverad seines Freundes dreht, ein Crossrad zulegen. „Beim Cyclocross reicht es nicht aus, sich aufs Rad zu setzen und loszufahren. Hinzu kommt die ganze Vorbereitung, von der Einstellung des Crossrads über die Reifenwahl bis zum Luftdruck. Was mich fasziniert, ist die Kunst, das Gleichgewicht zu finden zwischen der hohen physischen Belastung und den technischen Fähigkeiten. Auch wenn du am Limit fährst, musst du im Kopf klar bleiben, um die Kurven sauber zu erwischen. Das ist es auch, was einen guten Fechter ausmacht. Im Gegensatz zum Fechten bleibt der Puls beim Querfeldein allerdings permanent am Anschlag“, so der Hobbycrosser, der sich nicht mit Trainingsfahrten zufriedengeben wird: „Mein erstes Rennen will ich zum Auftakt der kommenden Saison in Reckingen bestreiten. Beim „Heimspiel“ will ich gut vorbereitet sein, um nicht überrundet zu werden, wohlwissend, dass dies ein schwieriges Unterfangen werden wird. Pierre ist dauernd an mir dran, damit ich bereits Ende dieser Saison einsteige. Bislang konnte er mich noch nicht überreden“, so der nimmermüde Sportler aus Roedgen, für den das Fechten natürlich absolute Priorität behält.

Flavio Giannotte arbeitet halbtags als Sportlehrer, was ihm erlaubt, sich aufs Fechten zu fokussieren. Auf dem Rad bereitet er sich physisch auf die Fechtsaison vor. Zeitlich passt das gut, da die Cyclocross-Saison im Januar endet – zu dem Zeitpunkt, wo die Fechtsaison Schwung aufnimmt. Für ihn liegt der Reiz der sogenannten Randsportarten darin, dass man dort die wahre Leidenschaft am Sport erlebt. „Die Leute sind sehr offen und geben dir Tipps, damit du dich weiterentwickeln kannst. Beim Cyclocross wird auch der letzte Fahrer, der das Ziel erreicht, noch angefeuert“.

In der anstehenden Fechtsaison möchte sich Giannotte in der Weltrangliste weiter verbessern und bei der EM und WM gut abschneiden. Sein großes Ziel ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris, wo er unbedingt dabei sein will. In seinem Beruf als Sportlehrer gibt Giannotte seine Sportbegeisterung an die Schüler weiter. „Für mich ist es wichtig, den Kindern den Spaß am Sport zu vermitteln. Der Schulsport ist in Luxemburg völlig unterbewertet. Wie sagte schon der römische Dichter Juvenal: „Mens sana in corpore sano“. Warum nicht jeden Tag Schulsport einplanen – und sei es auch nur für eine halbe Stunde.“

Großes Ziel von Giannotte sind die Olympischen Spiele 2024 in Paris – im Fechten, versteht sich 
Großes Ziel von Giannotte sind die Olympischen Spiele 2024 in Paris – im Fechten, versteht sich