Für Außenstehende ist die Entscheidung schnell getroffen. Wer als Sportler bei einem russischen Verein unter Vertrag steht, sollte als Protest gegen den Ukraine-Krieg sofort sein Arbeitsverhältnis auflösen. Ethisch gesehen ist an dieser Sichtweise eigentlich nichts falsch. Doch es ist komplizierter, als man denkt, und es gibt Argumente, doch in Russland zu bleiben.
Einer der ersten Topsportler, der das Land verließ, war der georgische Basketballer Tornike Shengelia. Drei Tage nach dem Ausbruch des Krieges kündigte er seinen Vertrag bei ZSKA, weil er nicht länger „für den Klub der russischen Armee spielen will“. Seine nicht weniger prominenten Teamkollegen folgten kurz danach. Sie alle haben etwas gemeinsam. Sie unterschrieben nur wenige Tage danach einen hochdotierten Vertrag bei einem neuen Verein. Virtus Bologna und Phoenix Suns heißen u.a. die neuen Arbeitgeber. Der Großteil der Sportler– ob Fußballer, Basketballer oder Volleyballspieler – blieben jedoch in Russland. Und das hat seinen Grund. Im Prinzip können es sich nämlich nur Topstars oder Sportler, die ausgesorgt haben, erlauben, ihren Vertrag einfach so zu kündigen. Shengelia und Co. gehören zu den besten Spielern, die der europäische Kontinent zu bieten hat, und fanden deshalb im Handumdrehen einen neuen Verein. Ihre Gehälter sind nach ihrem Wechsel nach Italien und in die NBA wohl auch nicht geschrumpft.
Der Luxemburger Profifußballer Christopher Martins gehört nicht zu dieser Kategorie. Erst im Januar unterschrieb er einen Vertrag bei Spartak Moskau. Für den Nationalspieler war es ein wichtiger Meilenstein in seiner Karriere. Und obwohl die FIFA für Spieler aus der Ukraine und Russland ein Transferfenster geöffnet hat, werden wohl die wenigsten Akteure einen neuen Verein finden. Man könnte Martins’ Verhalten als opportun abtun. Er schaut nach sich und seiner Karriere. Übel nehmen kann man es ihm aber nicht. Mitarbeiter russischer Unternehmen kündigen ihre Verträge nämlich auch nicht einfach so, wenn sie nicht bereits einen neuen Arbeitgeber gefunden haben. Die wenigsten Menschen können es sich leisten, arbeits- und perspektivlos zu sein. Auch Fußballer wollen und können das nicht – auch wenn sie sich finanziell in anderen Sphären bewegen.
Es ist derzeit unsere verdammte Verantwortung, der Ukraine und ihren Menschen zu helfen, aus dieser humanitären Katastrophe herauszukommen. Allerdings sollte nicht jeder, der weiterhin für russische Unternehmen und Klubs arbeitet, verteufelt werden. Denn es ist niemandem geholfen, wenn es neben der vielen ukrainischen Bürger ohne Zuhause auch noch eine wachsende Anzahl an Menschen ohne Arbeit gibt.
So ist es: Moral muss man sich leisten können.