Als „erschreckend“ beschreibt Dr. Anik Sax, Generalsekretärin der luxemburgischen Anti-Doping-Agentur (ALAD), die Meldung von vergangener Woche, dass in Haarproben von drei Radprofis aus dem Team Bahrain Victorious Spuren von Tizanidin gefunden wurden. Namen wurden nicht genannt. Bei dem Team wurde während der Tour de France in diesem Sommer eine Razzia durchgeführt, während der die Haarproben entnommen wurden sowie Schachteln des gleichen Medikaments beim Team-Arzt gefunden wurden.
Der Rennstall war in diesem Jahr vor allem durch die überraschenden Siege von Mark Padun auf den Bergetappen des Critérium du Dauphiné sowie die zwei Etappensiege von Matej Mohoric bei der Tour aufgefallen. Sein zweiter Tagessieg folgte einen Tag nach der Razzia und Mohoric hielt sich auf der Zielgeraden in bester Lance-Armstrong-Manier den Finger vor die Lippen, bevor er seinen Mund wie einen Reißverschluss zuzog. Eine Geste, die nach den Haarproben noch verstörender erscheint.
Dass ein Arzt einem Radsportler dennoch Tizanidin verabreicht, ist unverantwortlich
Es ist die erneute Bestätigung, dass im Radsport immer noch Medikamente missbraucht werden. Auch wenn man in diesem Fall nicht von einem Dopingvergehen sprechen kann, da Tizanidin nicht auf der Liste verbotener Substanzen steht. In erster Linie hat es damit zu tun, dass bislang relativ unbekannt war, dass Tizanidin im Sport verwendet wird. Das Medikament gehört zu den Muskelrelaxantien und wird bei schweren Muskelverkrampfungen, Verletzungen des Rückenmarks oder Multipler Sklerose eingesetzt, wie Anik Sax erklärt. Auch bei der Anästhesie kann Tizanidin zum Einsatz kommen.
Die möglichen Nebenwirkungen sind allerdings nicht gerade harmlos, sagt die Ärztin. Sie gehen von Übelkeit über Schläfrigkeit bis hin zu Halluzinationen. „Dass ein Arzt einem Radsportler dennoch Tizanidin verabreicht, ist unverantwortlich. Sogar bei medizinischer Verabreichung wird bei Tizanidin erst abgewägt, ob der Nutzen wirklich größer ist als die Nebenwirkungen“, so die ALAD-Verantwortliche. Im Radsport kommt dann noch hinzu, dass die Nebenwirkungen zu schweren Stürzen führen können. Dass Athleten und ihr Umfeld so fahrlässig schwere Nebenwirkungen in Kauf nehmen oder gar auf nicht oder nur wenig getestete Mittel zurückgreifen, erschreckt die erfahrene Anti-Doping-Kämpferin immer wieder aufs Neue. Sax erinnert unter anderem an den kroatischen Radsportler Matija Kvasina, der der ALAD nach seinem Sieg bei der Flèche du Sud ins Netz ging. Es war der erste Dopingfall mit Molidustat, einer Substanz, die die körpereigene EPO-Produktion anregen soll.
Haarproben führen zu weit
Ob Tizanidin eine leistungssteigernde Wirkung hat, ist für Sax schwer zu beantworten. Dafür fehle es an Studien. Allerdings ist die Leistungssteigerung nur eines von drei Kriterien, die im Anti-Doping-Code festgehalten sind. „Meines Erachtens gefährdet Tizanidin die Gesundheit des Sportlers und verstößt auch gegen die Ethik des Sports. So wären zwei der drei Kriterien erfüllt.“ Das würde für eine Aufnahme auf die Dopingliste ausreichen.
Die Angelegenheit um Bahrain Victorious wirft allerdings nicht nur die Frage nach einem Verbot von Tizanidin auf, sondern auch die, ob Haarproben nicht eine effizientere Waffe im Kampf gegen Doping sind als Urinproben. Immerhin sind Substanzen in den Haaren länger nachweisbar und dass solche Analysen eine abschreckende Wirkung haben, zeigte sich 2008. Damals hatte die französische Anti-Doping-Agentur im Vorfeld der Tour de France angekündigt, Nagel- und Haarproben nehmen zu wollen. Ein Großteil des Pelotons reiste damals mit sehr kurzen, beziehungsweise gefärbten oder gebleichten Haaren nach Frankreich.
Für Dr. Anik Sax sind regelmäßige Haarproben allerdings nicht durchführbar und würden zu weit führen. „Sportler sind durch die Anti-Doping-Bestimmungen schon extrem eingeschränkt. Wir können Athleten nicht auch noch verbieten, kurze Haare zu haben oder sich die Haare färben zu lassen. Das wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatsphäre.“ In der alltäglichen Dopingbekämpfung sieht Sax also keine Zukunft für Haartests. Nützlich können sie aber bei laufenden Verfahren sein, da die Substanzen eben länger in den Haaren nachweisbar sind.
Es gibt ja noch die Finger- und Fussnägel.