Ein kleiner Junge begegnet einem Clown, Filmstudenten wollen eine Doku im Wald drehen, eine Familie zieht in ein neues Haus mit einer dunkeln Vorgeschichte, ein junges Mädchen hebt ab, wenn das Telefon klingelt …
Was harmlos beginnt, kann uns wenige Minuten später vor Angst aus dem Kinosessel springen lassen. Horrorfilme gibt es fast so lange wie das Medium selbst. 1910 flimmerte Mary Shelleys „Frankenstein“ als Stummfilm zum ersten Mal über die Leinwände. Mehr als 100 Jahre später ziehen Gruselstreifen immer noch Millionen Besucher in die Kinos. Gian Maria Tore von der Universität Luxemburg beschäftigt sich intensiv mit Filmgeschichte und erklärt, wieso Horrorfilme bis heute große Erfolge feiern.
Tageblatt: Was fasziniert uns an Horrorfilmen?
Gian Maria Tore: In einem Film sehen wir gerne das, was wir in unserem Alltagsleben nicht erleben. Wer möchte im richtigen Leben schon einen Mafioso treffen oder Zeuge eines Mordes werden? Aber im Kino sehen wir uns gerne einen Film noir oder Krimi an.
Beim Horrorfilm treibt uns zusätzlich eine Faszination am Ekel an und unsere körperlichen Reaktionen darauf. Es gibt eine Art voyeuristisches Vergnügen über das, was gerade auf der Leinwand passiert.
Gleichzeitig will man über den Film auch ein wenig lachen können, ihn ein wenig abstrus finden. Man bewundert bei einem guten Horrorfilm, wie echt alles wirkt und wie angsteinflößend sie sind – aber gleichzeitig will man wissen, dass es nur ein Film ist.
Nicht jeder verträgt Horrorfilme.
Das stimmt. Für einige ist die Idee, sich zu fürchten, unerträglich. Personen, die sehr sensibel auf Spannungsmacher, wie etwa Musik, reagieren, haben Schwierigkeiten, bei einem Horrorfilm Realität und Kunst auseinanderzuhalten.
Das Gezeigte wird für sie Wirklichkeit – und deswegen unerträglich. Jemand, dem ständig bewusst ist, dass der Film nur ein Film ist, erträgt sehr viel gruseligere Filme.
Horrorfilme sieht man sich allerdings nicht mit jedem an …
Tatsächlich haben Horrorfilme eine gewisse Intimität. Wenn man mit Bekannten oder einer größeren Freundesgruppe ins Kino geht, entschließt man sich eher dazu, eine Komödie oder einen Actionfilm anzusehen.
Horrorfilme besucht man mit guten Freunden. Es gibt interessanterweise eine innere Barriere. Man will nicht vor jedem zeigen, dass man Angst hat.
Du hast da was im Gesicht: «Alien» lässt nicht nur den Zuschauer schlucken.
Was macht einen Film zu einem Horrorfilm?
Das hat sich im Laufe der Zeit verändert. Ich wage zu behaupten, dass ein Western beispielsweise immer als Western zu erkennen ist. Aber vor was wir uns fürchten, verändert sich mit unserer Gesellschaft.
Die einzige Gemeinsamkeit, die alle Horrorfilme vereint, ist, dass sie uns Angst machen. Sonst kann man sie in etliche Unterkategorien einteilen, die dann einer engeren Definition unterliegen. Beispielsweise Slasher Filme, in denen immer ein Serienkiller sein Unwesen treibt, oft möglichst blutig und mit vielen Opfern. Es gibt Horrorfilme, die sich mit dem Paranormalen oder Fantastischen beschäftigen, in denen Albträume, Geister und Halluzinationen eine Hauptrolle spielen. Monster-Filme, Psycho-Horror, Found Footage … Man kann beliebig deklinieren.
Horrorfilme von früher und heute unterscheiden sich also stark voneinander?
Das Medium Film ist wie die Sprache: Es entwickelt sich ständig weiter. Wir sprechen heute auch nicht mehr wie unsere Vorfahren vor 100 Jahren.
Dazu kommt, dass das, was wir erleben, persönlich und gemeinsam als Gesellschaft, bestimmt, was wir als Horror wahrnehmen. Horrorfilme sind sehr eng mit Tabus und sozialen Verboten verknüpft. Horrorfilme wollen und sollen uns schockieren. Was also kann im Film gezeigt werden, das über die gesellschaftlichen Grenzen hinausgeht, das uns schockiert?
Wie jagt ein Horrorfilm Angst ein? Gibt es das perfekte Rezept?
Gute Horrorfilme machen mit wenig Aufwand viel Angst. Beispielsweise die berühmte Duschszene in „Psycho“. Sehen tun wir eigentlich nicht sehr viel, unsere Fantasie muss sich das Schlimmste der Szene dazu denken.
Es ist der Kamerawinkel, der uns den langsam herannahenden Mörder zeigt, der fragmentierte Schnitt, als er zusticht, die angsteinflößende und schrille Musik, die uns die Schauer über den Rücken treiben. Ohne dass man die tödlichen Stiche überhaupt sieht.
Die angewandten Techniken sind die Grundmechaniken des Filmemachens. Musik kann uns vor Nervosität zittern lassen. Licht spielt eine große Rolle: Ist ein Horrorfilm, der am helllichten Tag spielt, tatsächlich angsteinflößend?
Außerdem geht es um Kadrage und Einstellungsgröße. Es ist deutlich schwerer, einen Zuschauer zu erschrecken, wenn der ganze Horrorfilm in der Supertotalen oder Totalen gedreht ist und der Zuschauer jeden Protagonisten und die gesamte Szenerie herum sieht.
Irgendwas stimmt doch hier nicht: Moderne Schocker wie «Der Ring» spielen oft in einer unerklärlich-bedrohlichen Atmosphäre.
Sind die Horrorfilme heute besser als früher?
Ich glaube nicht. Horrorfilme sowie Filme im Allgemeinen werden zwar technisch immer versierter, aber das macht sie nicht unbedingt besser. Es macht sie allerdings auch nicht schlechter. Es gibt Klassiker aus den 50er und 60er, die Horrorfans heute noch verehren und die in modernen Filmen immer wieder referenziert werden.
Allerdings muss man feststellen, dass bei den Horrorfilmen, wie bei Filmen im Allgemeinen, die gleichen Geschichten immer wieder neu verpackt werden. Diese Filme sind sicherlich amüsant, aber wer das Original kennt, weiß, dass das meist besser ist. Es gibt heute kaum Filme, die nicht auf Vorgängerfilmen aufbauen.
Ich bin allerdings der Meinung, dass nur sehr wenige Filme, die heute erscheinen, später einmal zu den großen Klassikern gehören werden.
Ist der Horror zum Mainstream geworden?
Auf jeden Fall. Nehmen wir nur mal als Beispiel das Filmangebot in Luxemburg: Es werden gleich eine ganze Reihe Horrorfilme gezeigt, viele davon große Blockbuster. Mit Sicherheit ist es leichter, einen Horrorfilm im Kinoprogramm zu finden als beispielsweise einen koreanischen oder taiwanesischen Film.
Nägelkauen nicht vergessen:
Nosferatu von 1922 ist ein früher Klassiker des Genres.
In den letzten Jahren werden Horrorfilme und -serien besonders häufig in den Wochen vor Halloween veröffentlicht. Ist der Herbstanfang die perfekte Gruselzeit?
Das passiert aus rein kommerziellen Gründen, ist aber nicht verwunderlich. Halloween steht für das gleiche Gefühl, was Horrorfilme auslösen sollen: Wir wollen uns fürchten, aber es soll uns Spaß machen. Da passt das gut zusammen und die Leute gehen sich in diesen Wochen gerne einen Horrorstreifen ansehen.
Hat das Streaming dem Horror-Genre zum Erfolg verholfen? Ins Kino gehen möchte ja nicht jeder.
Mit Sicherheit. Historisch gesehen waren Horrorfilme oft Nischenfilme. Die waren zwar bei Fans absolut Kult und ihre Kinovorstellungen oft ein richtiges Event, aber sie wurden seltener gezeigt.Heute sind Horrorfilme überall vertreten. Das hat den Effekt, dass sich das Gezeigte banalisiert, es schwerer fällt, zu schockieren oder Neues zu erschaffen. Auf der anderen Seite finden viel mehr Zuschauer den Zugang zu Horrorfilmen.
Insgesamt scheint es so, als würde das Streaming dazu führen, dass das, was früher als Nischenfilm galt, heute viel mehr Menschen erreicht und begeistert.
Eigentlich ist das nicht lustig: Der kritische «Funny Games» (1997) macht den Zuschauer zum Komplizen bei einer nihilistischen Gewaltorgie.
Anfang der 2010er Jahren eroberten „The Walking Dead“ und „American Horror Story“ die TV-Landschaft. War das für das Horrorgenre eine Art Fernsehrevolution?
Die Serienqualität steckte schon vorher in Horrorgeschichten. Von „Halloween“ und „Scream“, über die „Saw“-Reihe, „Aliens“, „A Nightmare on Elm Street“… Es ist nicht ungewöhnlich, dass nach einem ersten erfolgreichen Film gleich mehrere Sequels entstehen. Der Schritt zum Serienformat war also nicht weit.
Wenn ich mich an Halloween so richtig fürchten möchte, wie sollte ich den Horrorfilm meiner Wahl ansehen?
Am besten in einem abgedunkelten Raum, wo man keine Möglichkeit hat, das Licht anzuschalten. Man sollte auch nicht aufstehen oder gar aus dem Zimmer gehen, sondern sich wirklich auf die Erfahrung einlassen.
Zu welchem Film würden Sie raten?
Bei „Blutgericht in Texas“ habe ich die meiste Abscheu empfunden. Aber „Rosso – Farbe des Todes“ ist eine echte Grenzerfahrung und meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
et gett fir vill saachen en "Markt", dofir sinn se nach laang net gutt zb drogen...
Hier steht das "Wir" natürlich etwas verallgemeinernd für den modernen Menschen. Tatsächlich ist ja die allgemeine Begeisterung für Horrorfilme doch so groß, dass es einen entsprechenden Markt gibt. Allerdings: Auch bei einer Umfrage in der Redaktion gab es Kollegen, die - wie Sie - überhaupt nicht nachvollziehen können, warum man sich grausame und angsteinflößende Filme freiwillig ansieht.
- Ihre Redaktion
"wir" ass eng domm verallgemengerung! "wir" heiheem mat family and friends lieben dén kabes net. eng journalist misst méi nuancéiert schreiwen!