Zu Hause arbeiten und digitales Lernen gleichzeitig meistern ist eine Höchstleistung. Für alle. Die vergangene Woche war allein in diesem Jahr die zweite Homeschooling-Etappe. Kinder, Lehrer und Eltern haben beides wieder erfolgreich gemeistert. Verglichen mit dem Anfangsstadium der Pandemie verfügen sie jetzt über einen Erfahrungsschatz, der ihnen hilft, auch spontan, auf das Lernen auf Distanz adäquat zu reagieren.
Marc Weber, Christian Schwarz und Ronny Rommes sind ausgebildete Lehrer und arbeiten als „Instituteurs spécialisés en développement scolaire“ beim Script. Die Abkürzung steht für „Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques“. Seit 2017 unterstützt dieser Dienst alle Schulen im Land, wenn es um Fragen der Unterrichts- und Schulentwicklung, auch im Sinne des „Plan de développement scolaire“ (Schulentwicklungsplan, kurz PDS), geht.
Verabredet sind wir mit den Fachleuten stilecht über Teams. Und bekommen zu Beginn unserer Konferenz die Tücken der Technik zu spüren. Das heimische WLAN-Netz wirft mich aus der Besprechung, beim zweiten Anlauf klappt es besser. Diese kleine Anekdote am Rande steht stellvertretend für die Weiterentwicklung der Schule in all ihren Facetten in Zeiten der Pandemie.
Reicher an Erfahrungen
„Als am 15. März 2020 klar war, dass die Schulen schließen würden, änderte sich unsere Rolle“, erzählt Marc Weber. Plötzlich trat die reine Begleitung im Sinne der Schulentwicklungspläne in den Hintergrund. Vom Stillstand in diesem Bereich war jedoch keine Rede: „Gerade die Schule musste notgedrungen nach Antworten und Wegen suchen, wie das Lernen auf Distanz gut und sinnvoll funktionieren konnte“, sagt Weber. Ein Papier „mit den großen Orientierungspunkten, das sich an die Lehrer richtete, wie die Unterrichtssituation auf Distanz möglichst effizient zu gestalten war“, bildete die erste Etappe in dem (Lern-)Prozess, der bis heute andauert.
„Wir dürfen nicht vergessen, dass seit den ersten Erfahrungen, die die Schulen in der neuen Situation gesammelt haben, alle Beteiligten sehr viel dazugelernt haben“, sagt Christian Schwarz. Heute, unterstreicht der Pädagoge, sei die Situation ganz anders als vor einem Jahr. „Die Erfahrungen, die wir alle – Lehrer, Kinder, Eltern – im ersten Lockdown machten, nutzen wir jetzt“, sagt auch Ronny Rommes.
Schulalltag lässt sich zu Hause nicht kopieren
Stichwort „Struktur im Homeschooling-Alltag“. „Einen geregelten Ablauf zu haben, gibt Kindern Sicherheit“, sagt Ronny Rommes. Rituale beim Lernen zu Hause helfen ihnen, sich leichter in der neuen Situation zurechtzufinden, so der Experte.
„Der größte Denkfehler, der im Zusammenhang mit dem digitalen Lernen passieren kann, ist, den Unterricht aus der Schule eins zu eins aufs Zuhause zu übertragen. Das klappt nicht“, betont Pädagoge Weber. Die Mitschüler fehlen, die Kontakte untereinander, der Lehrer als Bezugsperson ist in seiner Rolle nur aus der Distanz präsent. Vielmehr geht es im Sinne der Strukturierung beim Homeschooling um das „Schaffen einer Lernsituation, bei der Eltern die Kinder beim Lernen unterstützen“, so Weber. Ein Rhythmus nach Schulstunden wie im Regulärbetrieb sei zu Hause nicht praktikabel. Erst diese Erkenntnis schaffe den Raum für die Organisation der Schule zu Hause, die am besten zum Kind und zur individuellen Situation passt.
Die andere nicht zu unterschätzende Seite der Medaille „Schule im Wohnzimmer“ sei die Isolation, sagt Schwarz. Die gewohnten sozialen Kontakte mit den Mitschülern fehlen. Pädagoge Schwarz rät, zu überlegen, Kontakte mit Klassenkameraden als Bestandteil des digitalen Lernens einzubauen. So kann ein Videoanruf helfen, die Hausaufgaben gemeinsam zu meistern und gleichzeitig die physische Distanz zu überbrücken.
Stille statt Spiel
Ob es sich zu Hause am Küchentisch besser lernt als im Klassenzimmer, dies lässt sich so nicht unterschreiben, sagen die Fachleute. „Im Klassenzimmer arbeitet der Schüler nicht nur allein für sich. Die Phasen der individuellen und gemeinschaftlichen Arbeit wechseln sich ab“, sagt Ronny Rommes. Genauso sollte es auch zu Hause sein. „Lernen passiert im Austausch mit anderen.“ Wissen vermitteln funktioniere auch beim gemeinsamen Backen, indem man Maßeinheiten erklärt.
Und wenn das Kind sich zurückziehen möchte, um bestimmte Aufgaben zu erledigen, sollte man ihm auch diese Möglichkeit bieten. „Eltern sollten sich nicht auf ein einziges Lernumfeld fokussieren. So funktionieren die Menschen nicht, auch nicht die Schule“, so Rommes. Für Eltern bedeutet das, immer wieder abzuwägen, was im jeweiligen Moment für das Kind und seinen Lernprozess sinnvoll sei.
„Inzwischen sind wir uns alle einig, dass Homeschooling keine bessere Alternative zur Schule ist“, sagt Christian Schwarz und schiebt nach: „Aber das digitale Lernen birgt einige Chancen, sich selbst besser kennenzulernen und zu erkunden, was es zum Lernen braucht.“ Diese gilt es, beim Ausprobieren gemeinsam mit dem Kind zu erkunden – ob es lieber alleine oder mit den Eltern lernt oder beides abwechselnd. Das gemeinsame Erkunden helfe dem Kind, so der Pädagoge, für sich selbst herauszufinden, welche Methode ihm am besten hilft. Gleichzeitig erlernt es Techniken, die es beim Lernen lebenslang begleiten.
„Den Druck (zu Hause) herausnehmen“
„Eltern sind keine ausgebildeten Lehrer. Dieses Bewusstsein gilt es, zu schärfen, um dort den Druck herauszunehmen“, rät Ronny Rommes. Und obwohl vielen Eltern das handwerkliche Rüstzeug der Lehrer fehle, verfügen sie über ein viel effizienteres Instrument. „Sie haben die stärkste Bindung, die je ein Kind zu einem Menschen aufbauen kann“, betont der Experte. Die Eltern seien kein Ersatz für die Lehrer und umgekehrt gehe die Gleichung auch nicht auf. Niemand verlange von ihnen, sagt der Pädagoge, das Fachwissen eines Lehrers zu Hause an den Tag zu legen. „Eltern sind Begleiter und Unterstützer“, unterstreicht Rommes. Und darauf sollten sie sich besinnen, wenn sie sich selbst im Homeschooling unter Druck gesetzt fühlen. Dieser übertrage sich aufs Kind und schaffe eine „ungesunde Situation“.
Zumal Eltern nicht völlig alleine gelassen mit der Situation sind. Auch wenn die Lehrer zu Hause nicht physisch präsent seien, kümmern sie sich auch auf Distanz um die Kinder. Alle drei Gesprächspartner betonen unisono, der erste und kompetenteste Ansprechpartner für Eltern und ihre Fragen in der neuen Situation seien und blieben die Lehrer. „Manche Lehrer berichten, dass es ihnen mittlerweile – auch unter diesen veränderten Umständen – gut gelingt, auf die Bedürfnisse der einzelnen Schüler einzugehen“, heißt es.
Offenbar schweißt die Pandemie zusammen. Viele Lehrer berichten von einer veränderten Beziehung zu den Eltern ihrer Schüler, schildern Rommes und Schwarz aus ihrer Zusammenarbeit mit den Pädagogen. Sie habe sich deutlich verbessert: Der Kontakt mit den Eltern sei „enger und präziser“ geworden, sagt Ronny Rommes. Das bedeute, dass Eltern willkommen sind, sollten sie eine Frage an die Lehrer haben. Diesbezüglich seien viele Eltern noch immer zurückhaltend im Umgang mit den Lehrkräften.
Gleichzeitig schätzen Lehrer das Feedback der Eltern sehr und sind verunsichert, wenn es ausbleibt, berichtet Schwarz. „Der Austausch ist von beiden Seiten ausdrücklich erwünscht. Auch vor Covid begriffen sich viele Lehrer und Eltern gegenseitig als Teil eines Teams, das den Lernprozess des Kindes unterstützt“, ergänzt Rommes. Nachfragen seitens der Eltern und ihre Berichte aus dem Homeschooling-Alltag geben dem Lehrer die Sicherheit, dass das Lernen zu Hause weiterhin stattfinde. „Schließlich geht es um das Beste fürs Kind“, betont der Pädagoge.
Zuhören und leise Töne ernst nehmen
Auf Augenhöhe miteinander sprechen, sich ernst nehmen, sich füreinander interessieren, zuhören. Das ist die Basis für eine enge Bindung und Vertrauen zwischen Eltern und Kindern, sagte einst der dänische Familientherapeut Jesper Juul. Und auch die viel beachtete Studie Covid-Kids (Universität Luxemburg), die das Wohlbefinden der Kinder in Luxemburg, Brasilien, der Schweiz und Deutschland während des ersten Lockdowns untersuchte, konnte aufzeigen, wie wichtig Zuhören und Ernst genommen zu werden für Kinder sind, wenn es darum geht, sich in der veränderten Corona-Umwelt zurechtzufinden.
„Kinder, die sich positiv darüber äußern, wie Erwachsene ihnen zuhören, sind zuversichtlicher im Hinblick auf ihre eigene Gesundheit und fühlen sich wohler“, sagte die Projektleiterin für Luxemburg, Erziehungswissenschaftlerin Claudine Kirsch, im Tageblatt-Interview im Dezember.
Niemand stelle die Existenzängste und Sorgen der Eltern gerade in einer solchen Situation infrage, so Pädagoge Schwarz. „Wie Eltern zuhören und ob sie für die leisen Zwischentöne ihrer Kinder offen sind – das ist hier der springende Punkt“, sagt Schwarz übereinstimmend mit den Erkenntnissen aus der Covid-Kids-Studie. „Es gilt, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern aufrechtzuerhalten und nicht durch eine künstlich geschaffene Rolle zusätzlich infrage zu stellen“, betont auch Rommes. Beide Lehrer raten von zu hochgesteckten Erwartungen der Eltern an sich selbst bei der Wissensvermittlung zu Hause dringend ab. Damit ließe sich die Spirale aus Druck und Angst für Kinder reduzieren.
„Auf keinen Fall sollten weder Eltern noch Kinder das Gefühl bekommen, das, was hier geschieht, ist meine Schuld“, wenn der Druck wieder steige, unterstreicht auch Christian Schwarz. „Viele Menschen schätzen die Konzentrationsspanne bei Kindern falsch ein“, so Ronny Rommes. Da die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder altersbedingt sowie individuell unterschiedlich ist, sollten Eltern darauf achten, eine Pause oder Abwechslung einzubauen.
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