Es ist ein Abschied, der Jahre dauert. Eine an Demenz erkrankte Person verliert Stück für Stück die Person, die sie früher war – und die Leere des Vergessens wird immer größer. Für Betroffene und Familienangehörige kann die Diagnose Demenz ein Schock sein.
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Oft wird die Krankheit in einem fortgeschrittenen Stadium festgestellt, wenn Therapien und Medikamente nur noch bedingt Wirkung zeigen. Das hat auch mit dem Stigma zu tun, mit der an Demenz erkrankte Personen und ihre Familien zu kämpfen haben.
Mit dem Aktionsplan Demenz versucht Luxemburg seit 2013 die Bevölkerung aufzuklären und das negative Bild auf die Erkrankung zu verändern. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet das „Info-Zenter Demenz“. Wir haben mit Dr. Isabelle Tournier vom Informationszentrum über die wichtigsten Aspekte rund um das Thema Demenz gesprochen.
Was ist Demenz?
Demenz ist eine chronische Erkrankung des Gehirns. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet sinngemäß „Weg vom Verstand“. Im Laufe der Erkrankung verändern sich Nervenzellen und Nervenzellverbindungen im Gehirn oder werden zerstört. Dadurch kommt es zu einer immer weiter fortschreitenden Beeinträchtigung der Gehirnfunktionen, insbesondere des Gedächtnisses und der Denkfähigkeit.
Bei Demenz handelt es sich nicht einzig um „Vergesslichkeit“, sondern es kommt in der Regel auch zu einer Wesensveränderung, zum Verlust der Orientierungsfähigkeit, des logischen Denkens und der Sprache sowie zu abrupten Stimmungswechseln. Die geistigen Fähigkeiten von Erkrankten nehmen über einen längeren Zeitraum hinweg ab, was zu immer größeren Schwierigkeiten im Alltag führt. Die durchschnittliche Dauer der Krankheit beträgt sechs bis zehn Jahre. Betroffene können aber bis zu 20 Jahre lang mit einer Demenzerkrankung leben. Die Krankheit wird allgemein in drei Schweregrade eingeteilt. Wie schnell Erkrankte den Schweregrad wechseln und welche Symptome sie wann und wie stark zeigen, variiert von Person zu Person.
Bei einer leichten Demenz ist ein selbstständiges Leben in der Regel noch möglich. Doch Erkrankte können bei schwierigeren oder komplexeren Situationen, etwa der Regelung von finanziellen Angelegenheiten, auf Hilfe angewiesen sein. Symptome wie das Vergessen von neuen Informationen, kurze Aussetzer beim Sprechen oder der Rückzug aus dem sozialen Leben sind leicht zu übersehen. Betroffene können diesen Schweregrad häufig gut vor Familienangehörigen und Freunden verstecken. Da viele Demenzerkrankungen mit ähnlichen Symptomen beginnen wie eine Depression, kann es hier auch zu Fehldiagnosen kommen.
„Die meisten an Demenz erkrankten Personen werden erst beim mittleren Schweregrad diagnostiziert“, sagt Dr. Isabelle Tournier, Mitarbeiterin des „Info-Zenter Demenz“. Denn bei einer mittelgradigen Demenz sind die Krankheitssymptome viel stärker ausgeprägt, sodass die Betroffenen selbst Schwierigkeiten haben ihren Alltag zu bewältigen und dies ihren Angehörigen oder Bekannten auffällt. Neue Informationen werden kaum mehr verarbeitet oder aufgenommen. Außerdem verliert sich die Orientierung in Raum und Zeit. Erkrankte vergessen beispielsweise den Weg zum Supermarkt oder versinken in Erinnerungen. Betroffene sind nun auch im Alltag immer mehr auf Hilfe angewiesen. Einkaufen, Putzen, Kochen, Waschen oder die eigene Pflege sind große Herausforderungen oder schlicht nicht mehr möglich.
Die schwere Demenz ist der letzte Grad. Betroffene können nun den Bekanntenkreis und die Familie meist nicht wiedererkennen und erinnern sich oft nur an früheste Ereignisse aus ihrer Leben. Inkontinenz und Bettlägerigkeit treten in diesem Stadium auf. Jetzt sind Erkrankte auf viel Hilfe angewiesen, besonders bei der Körperpflege und der Ernährung. An Demenz sterben Betroffene in der Regel nicht. „Sie sterben an den Folgeerscheinungen der Krankheit oder des Alters, beispielsweise an einem Herzinfarkt, einer Lungenentzündung oder einer anderen Infektion“, erklärt Tournier.
Was ist der Unterschied zwischen Alzheimer und Demenz?
„Ich habe keine Demenz, ich habe nur Alzheimer“, hört man immer Mal wieder. Diese Aussage ist allerdings falsch. Alzheimer ist eine Form der Demenz – und zwar die am häufigsten auftretende. Etwa 60 Prozent aller weltweit unter Demenz leidenden Personen haben Alzheimer. Alle drei Sekunden erkrankt eine Person auf der Welt an dieser Demenzform.
Eine Studie von 2018 schätzt die Zahl der von Alzheimer betroffenen Personen in Luxemburg auf 9.000. Dies teilt die Universität Luxemburg auf ihrer Webseite mit.
Alzheimer ist eine sogenannte neurodegenerative Demenz. Die Nervenzellen des Gehirns verkümmern, das Volumen des Organs verringert sich. Eine Ursache für eine Alzheimer-Erkrankung sind Eiweiße, sie sich innerhalb und zwischen den Nervenzellen des Gehirns ablagern. Forscher gehen allerdings mittlerweile davon aus, dass die Eiweißablagerungen nicht alleine für das Zellensterben verantwortlich sind. Die Hauptsymptome von Alzheimer sind das schleichende Vergessen sowie die Beeinträchtigung vom Erkennen und der Sprache.
Welche Formen von Demenz gibt es?
Weltweit wurden mittlerweile mehr als 50 verschiedene Formen der Krankheit ermittelt. Neben Alzheimer gehören die LewyBody- und die Frontotemporale Demenz zu den bekannteren. Bei der Lewy-Body- und der Alzheimer-Demenz kommt es zu Schädigungen im Gehirn durch Eiweißablagerungen. Diese Form kann auch im Rahmen einer bestehenden Parkinson-Erkrankung auftreten. Sie beginnt häufig in einem höheren Lebensalter.
„Die Frontotemporale Demenz, früher auch Pick-Krankheit genannt, gehört zu den sehr früh auftretenden Formen, ist aber eher selten“, erklärt Dr. Isabelle Tournier. Hierbei werden Stirn- und Schläfenlappen zerstört. Die Erkrankung macht sich in der Regel schon vor dem 65. Lebensjahr bemerkbar. Was sie auslöst, ist noch weitgehend unbekannt. Forscher vermuten, dass sie genetisch bedingt sein könnte. Betroffene leiden, anders als bei Alzheimer, weniger an Erinnerungsschwund, sondern durchleben drastische Persönlichkeitsveränderungen, erhebliche Störungen der Sprache, der Bewegungen und des Essverhaltens. Außerdem entwickeln sie sogenannte Ticks: immer wiederkehrende Bewegungen oder Handlungen.
Neben den neurodegenerativen Demenzen gibt es noch die vaskulären. Dabei werden die Nervenzellen durch Durchblutungsstörungen irreversibel beschädigt. Diese Form macht nach Alzheimer mit etwa 20 Prozent den größten Teil der Demenz-Erkrankungen aus. Symptome treten meist im höheren Alter und sehr plötzlich, etwa nach einem Hirnschlag, auf.
10 Prozent der in Luxemburg auftretenden Demenzen werden als Mischformen eingestuft. Sie sind sowohl neurodegenerativer wie auch vaskulärer Natur. Sie entstehen häufig als Folge anderer Krankheiten und können teilweise sogar heilbar sein.
Auch das Korsakow-Syndrom – eine Demenzform, die durch chronischen Alkoholismus ausgelöst werden kann– gehört zu den Mischformen.
Woher kommt Demenz?
Sind Demenzen genetisch bedingt, werden sie durch einen ungesunden Lebensstil begünstigt oder treten sie doch völlig willkürlich auf? Diese Frage ist von der Forschung noch nicht endgültig erklärt. Zwar könnten einige Gene für bestimmte Formen der Demenz hauptverantwortlich sein.
Andere Formen scheinen ohne erkennbare Vererbung aufzutreten. „Wir haben noch viel unerforschtes Terrain vor uns“, sagt Dr. Rejko Krüger vom „Luxembourg Centre for Systems Biomedicine“ (LCSB) der Uni Luxemburg und dem „Luxembourg Institute of Health“ (LIH).
Was sind die ersten Anzeichen?
„Das ist schwierig zu beantworten“, sagt Dr. Isabelle Tournier. „Oft wird Demenz und besonders Alzheimer rein auf das Vergessen begrenzt. Dieses Symptom tritt zwar auch auf, ist aber nur ein Teil der frühen Anzeichen.“ Und die können von Person zu Person unterschiedlich sein. Beispielsweise könnte ein Betroffener beginnen, öfter Termine zu vergessen oder ständig Habseligkeiten zu verlegen. Ein anderer muss plötzlich viel mehr auf Denkhilfen und Gedächtnisstützen zurückgreifen und tägliche Routinen ändern sich auf einmal.
Die Persönlichkeit des Erkrankten kann sich nach und nach verändern. Eine Person kann sich eventuell nicht mehr lange auf etwas konzentrieren oder hat mitten im Satz Probleme, sich an bestimmte Wörter zu erinnern.
Das Schwierige daran ist, die Probleme rechtzeitig zu erkennen und einzuordnen. Denn einerseits können die Veränderungen minimal sein. „Andererseits sind die Anzeichen auch leicht zu verwechseln. Einige Symptome sind typische Alterserscheinungen, besonders wenn man in einem Land wie Luxemburg mehrsprachig unterwegs ist“, sagt Dr. Tournier. Besonders häufig werden die Anzeichen von Demenz mit denen einer Altersdepression verwechselt. „Beide Krankheitsbilder ähneln sich zu Beginn sehr“, erklärt Dr. Tournier.
Was tun, wenn man den Verdacht hegt, dass man an Demenz erkrankt ist?
„Wer Informationen über Demenz braucht, ist bei uns goldrichtig“, sagt Dr. Tournier. Man sei dafür da, Betroffene, Familienangehörige oder Interessierte über die Krankheit aufzuklären und zur Not an die richtigen Hilfsstellen weiterzuleiten.
Aus medizinischer Sicht sollte zunächst der Hausarzt aufgesucht werden, um die ersten Tests durchzuführen. Bei einem Verdacht auf Demenz kann dieser Personen an Spezialisten weiterleiten. Zeigt ein Familienangehöriger oder Bekannter Anzeichen einer Demenz, kann man ihm raten, medizinische Hilfe zu suchen. „Es ist wichtig zu wissen, dass man niemanden zu einem solchen Schritt drängen kann.“
Man sollte Betroffene behutsam auf die Situation aufmerksam machen. Laut der „Association Luxembourg Alzheimer“ gehören zu den gängigen Verfahren der Demenzdiagnostik medizinische Blutuntersuchungen, neuropsychologische Tests und bildgebende Verfahren wie etwa Ultraschall, Scanner und Kernspintomografie.
Wie viele Menschen sind in Luxemburg betroffen?
In Luxemburg schätzt man die Zahl der Betroffenen auf 7.000 bis 9.000 Personen. In den nächsten Jahren wird sie jedoch stark wachsen. Bis 2050 geht man davon aus, dass es in Luxemburg rund 10.000 Personen mit einer Demenzerkrankung geben wird.
Diese erhöhte Anzahl kommt einerseits daher, dass die Menschen immer länger leben. Andererseits werden Demenzerkrankungen heute besser und schneller diagnostiziert, sagt Dr. Isabelle Tournier vom „Info-Zenter Demenz“.
Heißt Demenz haben automatisch, nicht mehr selbstständig leben zu können?
Wer an Demenz erkrankt, kann je nach Schweregrad und Verlauf mehrere Jahre weitestgehend autonom im eigenen Haus wohnen. Landesweit gibt es mehrere Dienstleister, die erkrankten Personen einen mobilen Hilfe- und Pflegeservice anbieten.
„Viele haben nach der Diagnose Demenz erst mal Angst, dass sie gleich in ein Heim gehen müssen. Deswegen ist es wichtig, den Betroffenen klarzumachen, dass sie nicht nur diese eine Möglichkeit haben“, sagt Dr. Isabelle Tournier.
Kann man sich davor schützen?
Nicht vollständig, aber man kann Risiken erkennen und durch konkrete Massnahmen beeinflussen, um das Auftreten der Demenz zu verhindern, oder zumindest hinauszuzögern.
Sowohl Dr. Tournier vom „Info-Zenter Demenz“ als auch Prof. Dr. Krüger von der Universität Luxemburg sind sich einig, dass eine gesunde Lebensweise, eine gute Bildung und mentales Training präventiv wirken. Aktiv bleiben und viele soziale Interaktionen helfen zusätzlich dabei, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen.
Das Luxemburger Bildungssystem könnte auch eine Rolle spielen. Wie die rezente „MemoVie“-Studie herausgefunden hat, seien Luxemburger wegen ihrer Mehrsprachigkeit seltener von der Krankheit betroffen als andere.
Eine Impfung oder ähnlichen Schutz gegen Demenz gibt es jedoch nicht.
Ist Demenz heilbar?
Bisher gibt es kein Medikament, das Erkrankte wieder komplett heilen oder den Verlauf der Krankheit verlangsamen können. Sogenannte Antidementiva können allerdings die Übertragung der Nervenzellensignale im Gehirn verbessern und Symptome wie Vergesslichkeit lindern.
„Es gibt kein allgemeines Medikament gegen alle Demenzarten. Was bei dem einen hilft, kann bei einem anderen Menschen mit einer anderen Form nichts bringen oder sogar schlimme Nebenwirkungen auslösen“, warnt Dr. Tournier. Deswegen sei es wichtig, dass die richtige Diagnose gestellt wird. Manche Symptome wie Schlafstörungen, Depressionen und Aggressionen können zusätzlich durch Psychopharmaka behandelt werden.
Prof. Dr. Rejko Krüger von der Universität Luxemburg äußert sich ähnlich vorsichtig. „Ich glaube, dass wir das Voranschreiten der Krankheit zumindest bei einigen Demenzformen stark verlangsamen oder komplett stoppen können.“
Zusätzlich versuchen Pflegedienste und -heime Betroffenen durch nicht-medikamentöse Therapie zu helfen. „Wer versucht, sich mental fit zu halten und weiter sozial aktiv ist, kann den Verlauf der Krankheit durchaus verlangsamen“, sagt Dr. Tournier. Dabei helfen können Angebote wie Orientierungstraining, Kunst-, Musik- und Tiertherapie, Gedächtnistraining und Ergotherapie.
Durch Informationen helfen
„Statt in Angst und Panik zu verfallen, sollte jeder, der mit Demenz zu tun hat, möglichst viel darüber wissen“, steht in der Broschüre des „Info-Zenter Demenz“. Das Zentrum, das im Rahmen des Aktionsplans Demenz entstanden ist und vom Familienministerium finanziert wird, soll genau das schaffen: ein Bewusstsein, dass es sich bei Demenzerkrankungen nicht um unbekannte, Furcht einflößende Diagnosen handelt. „Die Türen unseres Zentrum in Luxemburg-Stadt sind für jeden offen, der Fragen zum Thema hat, ob Betroffene, Angehörige oder Interessierte“, sagt Dr. Isabelle Tournier, die gemeinsam mit zwei Mitarbeitern im „Info-Zenter Demenz“ tätig ist.
Zusätzlich zu den Broschüren baut das Zentrum derzeit eine umfangreiche Bibliothek und Spielothek zum Thema auf. „Wir haben vor, mobile Zentren im Süden und Norden des Landes zu eröffnen, um näher bei den Bürgern zu sein. Außerdem reisen wir mit unseren Ständen quer durchs Land und versuchen so viele Menschen wie möglich zu erreichen.“
Die Vielsprachigkeit Luxemburgs macht es dem Dienst dabei nicht immer einfach. Die meisten Broschüren sind zumindest auf Französisch und Deutsch erhältlich, einige Informationen gibt es auch auf Luxemburgisch, Englisch und Portugiesisch. „Unser Zielpublikum sind aber nicht nur die älteren Generationen. Wir informieren auch in Schulen und Lyzeen über die Krankheit“, sagt Dr. Tournier.
Das Info-Zentrum organisiert außerdem Konferenzen und Diskussionsabende. Ein Highlight ist der Kinoabend mit anschließender Diskussionsrunde im Utopia am 7. November ab 18 Uhr bzw. am 21. November ab 19 Uhr im Alten Stadthaus in Differdingen. Gezeigt wird der Film „La finale“ von 2018. Weitere Details finden Sie auf der Webseite www.demenz.lu. oder beim „Info-Zenter Demenz“ unter der Telefonnummer 26 47 00.
Volle Zustimmung! Es dürfte nicht sein, dass das Recht auf ein selbstbestimmtes Lebensende nur auf todbringende Erkrankungen beschränkt ist.
Man müsste auch mehr die Ansicht jener respektieren, welche noch bei klarem Verstand schriftlich verfügt haben,nicht als Mensch so unwürdig endigen zu wollen, wie ein Alzheimerkranker nun mal in der Endphase seines Lebens sein wird. All das heutige Gefasel ist nur die scheinheilige Begründung dafür, an und mit diesem Kranken noch viel Geld zu verdienen. Es ist ein Tabuthema dass dann in vielen Fällen all das aufgebraucht wird, was sich der Kranke über Jahrzehnteangeschafft hat. Für Staatsbeamtenpensionen stellt sich diese Frage nicht. Also ihr Wissenschaftler seht auch mal die Realitäten.