Ein nasskalter Novembermorgen, die Passanten in der Escher Fußgängerzone haben es eilig, dem Schmuddelwetter ins Warme zu entfliehen. In der Patisserie von Gérard Cayotte in der Escher rue de la Libération herrscht hingegen noch andächtige Ruhe. Vereinzelt kommen Kunden, die Brot und Feingebäck mit nach Hause nehmen. Im Salon ist es noch dunkel, in weniger als einer Stunde wird langsam das Mittagsgeschäft anlaufen.
Nach der freundlichen Begrüßung und dem obligatorischen Covid-Check darf ich in die heiligen Hallen der Patisserie eintreten. Hindurch durch einen schmalen Korridor, vorbei an Menschen, in typischer Bäcker- und Patissier-Berufsbekleidung – in weißen T-Shirts und karierten Hosen –, die in mehreren Räumen entlang meines Weges geschäftig Teige rühren, Plätzchen ausstechen und Kuchen einstreichen, führt eine steile Treppe zum Büro des Chefs.
Gérard Cayotte ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit dem Morgengrauen auf den Beinen. Den morgendlichen Verkehr und der Stau an der Autobahnbaustelle kennt er zu gut, bremste er auch seine Mitarbeiter beim Ausliefern aus.
Von Paris nach Esch
„Seit 1997 bin ich in Esch“, erzählt Cayotte. Bevor sich der gebürtige Franzose aus Metz im Süden Luxemburgs beruflich und privat niederließ, lebte und arbeitete er in Paris, in den Küchen von Luxushäusern wie dem Hotel „Le Crillion“, das damals zur Champagner-Dynastie Taittinger gehörte. „Zu dieser Zeit hatte ich das Pariser Leben ein wenig satt – und gleichzeitig eine neue Stelle in Aussicht.“ Damals war seine Frau, die auch aus der Region um Metz kommt, gerade dabei, Karriere im Finanzbereich zu machen. Doch den Patissier zog es in Richtung Heimat und die Familie kehrte zurück. „Ich bevorzugte das ruhigere Leben hier“, sagt Cayotte.
Er nahm eine Stelle im Hotel „Le Royal“ in Luxemburg an – die sei toll, schwärmt er rückblickend. „Aber nach fünf Jahren wollte ich etwas Eigenes. Ich wollte mich niederlassen.“ Seine Frau etablierte sich im Finanzplatz in Luxemburg.
Also machte sich der Patissier an seinen Meisterbrief, um einen eigenen Betrieb eröffnen zu können. Die Suche nach einem passenden Lokal führte ihn nach Esch. Dort, wo sich heute Gérard Cayottes Patisserie befindet, betrieb damals Feinbäcker Marc Robert eine Konditorei. Bevor Letzterer in Rente ging, suchte er einen Nachfolger. Für Gérard Cayotte war es die ideale Gelegenheit.
Esch ist die zweitgrößte Stadt Luxemburgs und der Preis des Unternehmens sei damals annehmbar gewesen, erklärt Cayotte. „Ich war ‚geflashed’ von diesem gesunden Unternehmen und ich spürte, welches Potenzial darin steckt, um es weiterzuentwickeln.“ Heute arbeiten dort 23 Menschen.
Am 1. November 1997 übernahm der Metzer offiziell die Patisserie in Esch. Die Anfangszeit sei hart gewesen. „Wir waren neun Leute und setzten die Tradition von Marc Robert fort.“ Behutsam führte der Nachfolger Neuerungen ein – „wir wollten die Kunden ja nicht erschrecken“. Seine Kundschaft zufriedenstellen, das ist seine Maxime – und die befolgt er bis heute. „Wir sind hier, um den Menschen eine Freude zu bereiten, sie zu bedienen. Veränderungen sind gut, wenn sie positiv ankommen“, ist der Chef überzeugt.
Privat aber stand die Familie vor der Entscheidung, ob seine Frau ihre Karriere beenden würde oder nicht. Doch so weit sollte es nicht kommen. Pragmatisch löste die Familie dieses Dilemma, sodass Cayottes Frau im Finanzbereich tätig blieb und „wir es trotzdem schafften, ein solides Familienleben aufzubauen“, berichtet der Patissier. Mehr noch: „Ohne meine Frau, die mich immer unterstützt hat, hätte ich es alleine nicht geschafft.“
„Alles, was wir hatten, steckten wir in die Firma“, sagt Cayotte rückblickend. „Es war nicht leicht.“ Aber so sei das im Leben eines Unternehmers. Er beschreibt es als „ein gemäßigtes Risiko“, das man eingehe. „Ich bin sicher in dem, was ich kann“, sagt der Feinbäcker und unterstreicht auch das Können seiner Mitarbeiter. „Das ist auch ihr Erfolg, denn ohne sie bin ich nichts.“
Seit kurzem ist die Patisserie auch in Petingen ansässig. Dort betreibt Gérard Cayotte in einem Geschäft des Familienunternehmens Steffen ein „Espace gourmand“. Den Professionalismus, die Leistung von Vater und Sohn – Frank und Tom Steffen aus Steinfort –, in deren DNA das Metzger- und das Feinkosthandwerk geschrieben sei, beeindruckt den Patissier.
„Esch2022“ als Chance
„Beeindruckend“ sei auch die Entwicklung der Stadt Esch in den vergangenen 24 Jahren, seit er sich dort niedergelassen hat, fasst Gérard Cayotte zusammen: die Infrastruktur, die Lebensqualität und jetzt auch die Kulturhauptstadt „Esch2022“. „Umso mehr schmerzt es mich, wenn es für Esch Kritik hagelt.“ Denn die Minettemetropole habe nicht mehr Probleme als Luxemburg-Stadt. Und man sei dabei, sie zu lösen.
Zuversichtlich stimme ihn auch das kommende Jahr, wenn die Stadt zur Europäischen Kulturhauptstadt avanciert: „Esch2022 wird es uns ermöglichen, alle Vorteile unserer Stadt ins rechte Licht zu rücken.“ Die Geschäftsleute sollten sich am Vorhaben Kulturhauptstadt beteiligen, ebenso wie jeder der inzwischen rund 37.000 Anwohner, deren zahlreiche Nationalitäten einen „beeindruckenden Reichtum“ für Esch darstellten.
Mit einem „Augenzwinkern“ wird auch die Patisserie Cayotte die Kulturhauptstadt Esch 2022 feiern. Ohne zu viel im Vorfeld zu verraten, erklärt der Chef, dass es neue Gerichte auf der wöchentlich wechselnden Mittagskarte geben wird und entsprechende Logos manch eines Feingebäcks zieren. Eines der Projekte, das gerade entsteht, ist ein gemeinsamer Präsentkorb mit Spezialitäten eines Jungunternehmers und Gérard Cayottes Erzeugnisse.
Nicht zuletzt sieht der Feinbäcker in der Kulturhauptstadt eine Möglichkeit, neue Einnahmequellen zu erschließen, die es den Geschäftsleuten ermöglichen würden, die Lücken, die die Pandemie im vergangenen Jahr in ihren Kassen hinterlassen hat, ein wenig zu schließen.
Die nächste Unternehmergeneration
Seine Hoffnungen für eine bessere Zukunft setzt der erfahrene Unternehmer auf die junge Generation Geschäftsleute in Esch. Ob die Kaffeerösterei „Babbocafé“ von Saro Pica und die Weinbar „Drupi’s“ von Saros Bruder Salvatore, die Chocolatier Lola Valerius oder die beiden Schwestern Estelle und Déborah Sidoni, die die Escher Traditionsadresse „La Maison Lefèvre“ seit 2012 führen und seitdem immer wieder die vordersten Plätze der internationalen Gastronomieführer belegen: „Eine Generation von jungen und motivierten Unternehmern kommt nach“, freut sich Cayotte.
Was die Zukunft der Patisserie Cayotte betrifft, so werden die Kinder des Patissiers nicht in die Fußstapfen des Vaters treten. Cayottes Sohn arbeitet als Lehrer, seine Tochter studiert Psychologie. „Man muss diese Lebenswege akzeptieren“, sagt der Patissier in seiner gewohnt pragmatischen Art. „Ich bin sehr stolz auf den Weg, den meine Kinder gewählt haben.“ Manchmal müsse er schmunzeln, wenn Kunden in die Patisserie kämen und berichteten, sein Sohn unterrichte ihre Kinder.
„Für mich ist die Nachfolge Ehrensache“, sagt Gérard Cayotte ernst. Darüber habe er lange nachgedacht: „Ich möchte jemanden finden, der den Fortbestand der Patisserie weiterhin in meiner Unternehmensgruppe, unter dem Namen Gérard Cayotte, sichert.“
Es stehe außer Frage, dass Patisserie Cayotte nicht schließen werde, wenn sich der Chef aus dem Geschäft zurückziehe. „Ich bin noch zu jung, um angeln zu gehen“, sagt Cayotte lachend. Er trage eine Verantwortung: „Für mich ist es enorm wichtig, da zu sein – für mein Team, für meine Kunden und für Esch.“
Und da ist wieder einer dieser Momente, in denen man spürt, wie fremd es für Cayotte ist, im Mittelpunkt zu stehen. Lieber sei er Teil eines Teams. Teil eines Teams aus zahlreichen Geschäftsleuten in Esch, die für neue Dynamik in der Stadt sorgen, die dort einen Mehrwert schaffen. Und Teil seines Patisserie-Teams, das in den vergangenen 24 Jahren auch Durststrecken überwinden musste. „Aber wir meisterten sie gemeinsam“, betont er. Das sei die Handelsmaxime eines jedes Unternehmers, glaubt Gérard Cayotte – die Verantwortung, die er gegenüber den Menschen hat, die mit ihm arbeiten, auch wahrzunehmen. „Covid hat das erst recht begreifbar gemacht.“
Nach so viel Pathos zeigt der Feinbäcker auch seine humorvolle Seite, als er erklärt, warum er sich (noch) mit dem Luxemburgischen schwertut. „Mein Sohn sagte zu mir, du bist jetzt 24 Jahre hier und du sprichst kein Luxemburgisch.“ Er höre gerne Luxemburgisch und schätze Menschen, die drei oder vier Sprachen sprechen, sagt der Patissier anerkennend. „Deshalb entschuldige ich mich jedes Mal, dass ich kein Luxemburgisch spreche, weil ich mir nie die Zeit dafür genommen habe. Aber ich liebe Luxemburg und ich glaube, dass ich hier bis zum Ende meiner Tage bleiben werde.“
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