Zahlen die Bürger zu viel Steuern? Die meisten werden die Frage wohl klar bejahen. Zu ihrem Fürsprecher machte sich am Mittwoch der CSV-Kofraktionsvorsitzende Gilles Roth. Ein Hauch von Wahlkampf wehte damit durch die Chamber. „Die Mittelschicht ist die Milchkuh des Staats“, so Roth und verriet damit einen der Schwerpunkte des anstehenden Wahlkampfes seiner Partei im kommenden Jahr.
2013 sei die Regierung mit der Ambition angetreten, den CSV-Mief zu vertreiben. Damals habe man von einer katastrophalen Finanzsituation, von der Notwendigkeit einer kopernikanischen Revolution gesprochen. „Aber nur leere Worthülsen, leere Versprechen“, so Roth. Noch nie hätte der Staat so viele Schulden gehabt, noch nie sei das Armutsrisiko so groß, die Steuern und die Wohnungspreise so hoch und die Staus so lang gewesen. Und noch nie sei der Überschuss der Rentenkassen so niedrig gewesen. Ende 2026 werde die Staatsschuld 29,5 Prozent des BIP erreichen. Nächstes Jahr müsse der Staat 4,6 Milliarden Euro an Anleihen aufnehmen. Dabei dürften laut Gesetz Darlehen nur zur Finanzierung von Investitionen getätigt werden. Diese belaufen sich 2023 auf nur 1,8 Milliarden Euro.
Nicht im Budget berücksichtigt seien die Folgen einer dritten Indextranche. Diese müsse laut Tripartite-Abkommen aber kompensiert werden. Bei einer Lohnmasse von monatlich 3,5 Milliarden Euro würde eine Indextranche den Staat monatlich 82 Millionen Euro kosten, rechnete Roth vor. Seine Schlussfolgerung: Die Dreierkoalition hat keine Strategie, um die Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen.
Staatsfinanzen aus dem Ruder gelaufen
Zwar möchte auch die CSV an der 30-Prozent-Schuldenbremse festhalten. Sie ist aber auch gegen zusätzliche Steuerbelastungen der Bürger. Die Partei fordert im Gegenteil eine Inflationsbereinigung der Steuertarife. Was mit der DP jedoch nicht erfolgen werde, befürchtet Roth, denn mit dieser Finanzpolitik sei keine Besserung der Staatsfinanzen in Sicht. Diese seien aus dem Ruder gelaufen. Roth warf der Regierung vor, Geld für „Gadgetspolitik“ aufzuwenden. Die laufenden Ausgaben würden kontinuierlich steigen. Die Menschen sollten jedoch nicht für die explodierenden Konsumausgaben des Staates aufkommen. Bei den staatlichen Investitionsvorhaben forderte Roth Einsparungen. Des Weiteren wünschte er sich sofortige Anpassungen in der Steuerklasse 1A und einen höheren Steuersatz für Spitzenverdiener. Den vorliegenden Etatentwurf trage die CSV nicht mit, so Roth.
Die Chamber erlebte am Mittwoch einen ungewohnt polemischen liberalen Fraktionschef, der sogleich auf die Vorwürfe der CSV reagierte und die Steuervorschläge als Wahlpropaganda entlarvte. Die von der CSV unter anderem in Flyern geforderten Steuererleichterungen würden den Staatshaushalt jährlich um rund eine Milliarde Euro zusätzlich belasten, so Gilles Baum. Die CSV verschweige jedoch, wie sie die Mindereinnahmen gegenfinanzieren würde.
Die CSV verrate auch nicht, wo sie den Rotstift ansetzen würde. Sie habe den großen Investitionsprojekten zugestimmt und werde kaum Kürzungen in der Sozialpolitik zustimmen. Die CSV kritisiere die „Bling-Bling“-Maßnahmen, das heißt die Gratismaßnahmen, so Baum weiter. Das seien aber Sachleistungen, wie zum Beispiel kostenloses Schulmaterial und Gratis-Essen in den Schulen. Diese Initiativen würden die Familien direkt entlasten. Verschiedene Abgeordneten würden wohl die 5,5 Milliarden Euro ausblenden, die die Regierung aufgebracht habe, um Privathaushalte und Unternehmen während der Covid-19-Pandemie und der aktuellen Energiekrise zu unterstützen, so Baum. Sollten die Staatsfinanzen es ermöglichen, sei seine Partei für sozial gezielte Steuererleichterungen.
Gezielte Maßnahmen notwendig
Zwischen den Projektionen und den tatsächlichen Einnahmen des Staates gebe es immer Unterschiede, erinnerte LSAP-Fraktionschef Yves Cruchten. Diese beliefen sich in der Vergangenheit nicht selten auf rund eine Milliarde Euro und mehr. Den Staatsfinanzen ginge es demnach nicht mal so schlecht, anders als manchmal behauptet. Im Gegensatz zum liberalen Koalitionspartner sei die 30-Prozent-Schuldenbremse für die LSAP kein Tabuthema, wie aus den weiteren Äußerungen des sozialistischen Abgeordneten hervorging. Es handele sich dabei um eine selbst auferlegte, künstliche Grenze und sei kein unüberwindbares Hindernis, falls neue Krisen zusätzliche Maßnahmen notwendig machen würden. Wichtig seien die Maastricht-Kriterien, und die erlaubten eine doppelt so hohe Staatsverschuldung, so der Politiker.
Cruchten zufolge seien gezielte Maßnahmen zur Steuererleichterung notwendig. Er erinnerte an den Vorschlag seiner Partei, dank einer neuen Steuertabelle die unteren Klassen zu entlasten und Spitzenverdiener stärker zu belasten. Ein Großteil der Beschäftigten würde dabei weniger Steuern zahlen. Man sollte darüber diskutieren, so sein Appell, den er wohl vor allem an die Koalitionspartner richtete.
Für eine individuelle Besteuerung
Die im Zuge der Krisen ergriffenen Maßnahmen würden das Allerschlimmste im kommenden Jahr verhindern, betonte ihrerseits Josée Lorsché, Fraktionschefin von „déi gréng“. Sie seien auch nur zeitlich begrenzt und reichten bei weitem nicht, um allen Menschen langfristig ein würdiges Leben zu sichern. Lorsché begrüßte die Ankündigung der Finanzministerin, die Tür für Steuererleichterungen aufzustoßen. Der Grünen-Politikerin zufolge müsste das aktuelle Besteuerungsmodell durch eine individuelle Besteuerung ersetzt werden. Doch die Individualbesteuerung sei eher eine gesellschaftspolitische Maßnahme. Sie reduziere die Armut nicht zwangsläufig. Die Umklassierung in eine andere Steuerklasse würde nicht viel am Armutsrisiko ändern. Zur Bekämpfung der Armut müsse an anderen Schrauben gedreht werden. Lorsché sprach von einer strukturellen Umverteilung über direkte Steuern. Die Besteuerung von Kapital müsse mehr Gewicht bekommen.
Lorsché warf zudem die Frage der Zukunftsfähigkeit einzelner Einnahmequellen des Staates auf. Konkret nannte sie jene aus der Tabaksteuer, die derzeit fünf Prozent der Einnahmen des Staates ausmacht. Sollte sich die Vermutung eines illegalen Handels mit Tabakwaren bestätigen und bessere Zollkontrollen eingeführt werden, wäre schnell Schluss mit steigenden Einnahmen aus dem Tabakgeschäft. Angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit seien stabile Einnahmen notwendig. „Wir müssen über die Steuerpolitik und die Steuereinnahmen reden“, so Lorsché. So müsse u.a. überprüft werden, ob die Steuerbegünstigungen weiterhin den gesetzten Zielen entsprächen.
Eine erschreckende Unfähigkeit
Laut Fernand Kartheiser (ADR) könne sich Luxemburg die Hilfsmaßnahmen nicht mehr lange leisten, ohne die 30-Prozent-Schuldenschwelle zu überschreiten. Das Defizit von 2,8 Milliarden Euro im Zentralstaat im kommenden Jahr zeuge von einer erschreckenden Unfähigkeit, die Probleme des Landes zu benennen und zu lösen. Unannehmbar sei der Vorschlag u.a. der CSV, zusätzliche Steuertranchen einzuführen. Luxemburg brauche hoch qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland. Zusätzliche Steuerklassen würden nur abschreckend wirken, so der Politiker. Die ADR befürworte eine legale Immigration aus Drittstaaten unter Berücksichtigung strenger Kriterien.
Insbesondere Kartheisers Beitrag glich einer Wahlveranstaltung. Im Eiltempo zählte er Punkte aus dem zukünftigen Wahlprogramm seiner Partei auf. So würde die ADR die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts reduzieren und die Immigrationspolitik der Regierung beenden. Anrecht auf Schutz hätten nur die, die es wirklich brauchen. Eine Immigration aus ökonomischen Gründen würde es nicht geben. Schnell würden sich die Aufnahmeeinrichtungen leeren. Diese würde man dann u.a. zur Aufnahme für Frauen und Männer in Not umfunktionieren.
Schulden im Interesse zukünftiger Generationen
Nathalie Oberweis („déi Lénk“) bezeichnete die Haushaltsvorlage als das Budget einer geschäftsführenden Regierung, die nur verwaltet, aber keine Vision habe und die bisherige Politik lediglich weiterführe, ohne sie infrage zu stellen. Dabei seien fast 130.000 Menschen von sozialer Ausgrenzung betroffen. Neue Schulden stellten für „déi Lénk“ kein Problem dar, wenn sie gerechtfertigt seien und damit etwa Projekte im Interesse zukünftiger Generationen in Sachen Mobilität, Umwelt und öffentlicher Wohnungsbau realisiert würden, so Oberweis. Die in Aussicht gestellte Steuererleichterung bezeichnete sie als das übliche Steuergeschenk vor den Wahlen. Dramatisch seien die vorgesehenen Militärausgaben.
Laut Sven Clement („Piratepartei“) werde die Vorlage dem Anspruch eines Krisenbudgets keinesfalls gerecht. Seit 2017 habe sich die Staatsverschuldung verdoppelt, das Staatsbudget sei aber nur um 50 Prozent gestiegen. Nicht einverstanden zeigte er sich mit den Prioritäten der mehrjährigen Finanzplanung. Das Budget liefere keine Erklärungen zu den langfristigen Sorgen der Renten- und Gesundheitskassen, denen das Geld ausgehen würde. Es sei unfair, den jüngeren Generationen die Probleme zuzuschieben, so Clement. Statt alle Unternehmen bei einer im nächsten Jahr erfallenden Indextranche zu unterstützen, sollten nur schwächelnde Betriebe unterstützt werden. Keinesfalls dürfte der Staat die Indextranche von Unternehmen übernehmen, die Dividenden ausschütten.
Das Budgetgesetz dürfte am Donnerstagmorgen mit den Stimmen der Mehrheitsparteien angenommen werden. Die Oppositionsredner haben sich bereits gestern dagegen ausgesprochen.
Wahlkampfgelaaber,sonst dreimal nix.
Konzelptloser gehts wohl nicht.