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Solidaritéitspak 3.0Allgemeine Zustimmung im Parlament trotz Nuancen

Solidaritéitspak 3.0 / Allgemeine Zustimmung im Parlament trotz Nuancen
Premierminister Xavier Bettel musste sich im Parlament für das neue Tripartite-Abkommen verantworten. Doch heftige Kritik blieb aus. Foto: Editpress/Julien Garroy

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In einer Regierungserklärung hat Premierminister Xavier Bettel (DP) am Dienstag im Parlament das vergangene Woche erzielte Tripartite-Abkommen vorgestellt. Am Vormittag war der „Solidaritéitspak 3.0“ mit den Sozialpartnern unterschrieben worden. Es handelt sich um das dritte Tripartite-Abkommen innerhalb von zwölf Monaten. Deputierte kritisierten, dass ihnen der Text des Abkommens erst wenige Stunden vor der Debatte zugestellt worden war.

Das Indexsystem bleibe erhalten, den Menschen und Unternehmen werde weiterhin geholfen, fasste Premierminister Xavier Bettel die Dreiervereinbarung zusammen. Damit sei der soziale Frieden garantiert. In anderen Ländern seien die Alternativen zum Sozialdialog sichtbar, so Bettel und wies dabei auf Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen insbesondere in Frankreich und Deutschland hin. Die in der Vergangenheit ergriffenen Maßnahmen hätten sich als richtig erwiesen. Die Zahlen belegten dies, betonte Bettel. Mit 5,8 Prozent verzeichne Luxemburg die niedrigste Inflationsrate europaweit. Das Staatsdefizit sei geringer als erwartet. Bettel zählte die verschiedenen Maßnahmen aus dem „Solidaritéitspak“ auf, so u.a. die Verlängerung des Gas- und Strompreisdeckels bis Ende 2024. Durch diese Maßnahme würde die Preissteigerung im kommenden Jahr von 4,8 auf 2,8 Prozent reduziert werden. Die vierte Indextranche dieses Jahr werde vom Staat übernommen. Entlastet würden die Haushalte 2023 dank eines Steuerkredits in Höhe von zwei Indextranchen. Ab 2024 werde die Steuertabelle um 2,5 Indextranchen angepasst. Das Maßnahmenpaket belastet Bettel zufolge den Staat dieses Jahr mit 500 Millionen Euro. Im kommenden Jahr dürften es 850 Millionen Euro sein. Dennoch werde die selbstauferlegte Schuldenobergrenze von 30 Prozent nicht überschritten.

Insgesamt begrüßten sämtliche Parteien die Steuermaßnahmen und das Entlastungspaket für Privathaushalte und Unternehmen. Der Opposition reichten diese jedoch nicht. CSV-Fraktionspräsident Gilles Roth zufolge sei das Abkommen aufgrund des Drucks von Gewerkschaften, CSV und LSAP zustande gekommen. Er sprach von der Torschlusspanik der Mehrheitsparteien kurz vor den Wahlen. Anders sei die Kehrtwende nach der großen Steuerdebatte im Parlament im Juni 2022 nicht zu erklären. Damals sei eine lineare Anpassung der Steuertabelle als nicht selektiv bezeichnet worden. Jetzt aber werde sie vorgenommen. Zwischen 2017 und 2023 fielen acht Indextranchen an. Davon würden 2024 nur zwei bei der Bereinigung der Steuertabelle berücksichtigt. Was die Steuerzahler nun als Erleichterung bekämen, hätten sie vorfinanziert. Der Staat habe über zwei Milliarden Euro zusätzlich kassiert, rechnete Roth vor.

DP-Fraktionschef Gilles Baum zufolge sei nun finanzieller Spielraum vorhanden und den Menschen werde das Geld entsprechend zurückgegeben. Seine Partei begrüße, dass nicht am Index gerüttelt werde. Die polemischen Aussagen der CSV zur Nichtanpassung der Steuertabelle an die Indextranchen seit 2017 erwiderte er damit, dass diese automatische Anpassung seinerzeit durch die CSV abgeschafft worden sei. Die Anrechnung einer Indextranche bedeute für den Staat einen Einnahmeausfall von 120 Millionen Euro. Acht Indextranchen wären das Achtfache. Diesen Spielraum habe man derzeit nicht.

Reichen Steuererleichterungen aus?

Zwar bedauere die LSAP, dass es zu keiner großen Steuerreform gekommen sei, sie sei jedoch mit einem etappenweisen Vorgehen einverstanden, so der sozialistische Fraktionspräsident Yves Cruchten. Drei Viertel der Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer erfolgten durch die sogenannte kalte Progression. Die nun beschlossene Anpassung sei keineswegs ein Wahlgeschenk, gebe allen Haushalten Kaufkraft zurück und lasse budgetären Spielraum für andere Maßnahmen.

Für Josée Lorsché („déi gréng“) bilden die aktuellen Maßnahmen die Grundlage für eine fundamentale Reform des Steuersystems, bei der kleine und mittlere Haushalte entlastet werden, und die mehr Gerechtigkeit schaffen soll.

Auch die ADR begrüßte die nun vorgesehenen Steuererleichterungen, nur befürchtet sie in Zukunft Steuererhöhungen. Nach Ansicht von Fernand Kartheiser sollten Mindestlohn und Kleinrenten steuerlich befreit und die CO2-Steuer auf Treibstoffe abgeschafft werden.

Als Erste wagte es Myriam Cecchetti („déi Lénk“), sich über die kurzfristige Ansage einer Debatte über das Tripartite-Abkommen im Parlament zu beschweren. Tatsächlich wurde die Änderung der Tagesordnung nur wenige Stunden vor Sitzungsbeginn mitgeteilt. Premierminister Bettels Reaktion: Man habe erst auf die Zustimmung der Sozialpartner warten müssen. Die Unterschrift sei erst am Dienstagmorgen erfolgt. Cecchetti wiederholte die bereits bei den vorangegangenen Tripartite-Abkommen formulierte Kritik, dass jedes Unternehmen, unabhängig seines wirtschaftlichen Gesundheitszustands, unterstützt werde. Wer gute Gewinne macht, brauche das nicht.

Sven Clement (Piratenpartei) reicht die beschlossene Anhebung des Betrags für den „bëllegen Akt“ und der neue Höchstbetrag für steuerlich absetzbare Hypothekarzinsen nicht. Auch er lehnte die ungezielte Subventionierung des Strompreises ab. So werde z.B. die Beheizung von Saunas und privaten Schwimmbecken staatlich mit bezuschusst.

Verwirrung über Kostenpunkt

Für etwas Verwirrung über den Kostenpunkt der staatlichen Maßnahmen und der teilweisen Anpassung der Steuertabelle sorgte Finanzministerin Yuriko Backes (DP). Die Verlängerung des Preisdeckels bei Gas und Strom und die Entschädigungen zugunsten der Unternehmen würden den Staat dieses und nächstes Jahr rund 500 Millionen Euro kosten. Die sogenannten strukturellen Maßnahmen, so etwa die Anpassung der Steuertabelle, würden über die nächsten Jahre weniger als 500 Millionen Euro kosten.

Eine vollständige Bereinigung der Steuertabelle um acht Indextranchen seit 2017 wäre unverantwortlich, so Backes. Die Anpassung um 2,5 Indextranchen bezeichnete sie als gesunder Mittelweg. Sie entlaste die Haushalte spürbar, überstrapaziere jedoch die Staatsfinanzen nicht. Acht Indextranchen würden einen Einnahmeausfall von 960 Millionen Euro jährlich verursachen, eine Anhebung des „bëllegen Akt“ auf 50.000 würde 300 Millionen Euro pro Jahr kosten. Zusammen mit anderen Forderungen kämen da 1,8 Milliarden Euro zusammen. Und da wäre man definitiv nicht mehr bei der staatlichen 30-Prozent-Schuldengrenze.

„Gaardenhaischen“, Kriegsflüchtlinge, „law and order“

In einer nicht öffentlichen Sitzung genehmigte das Parlament der Staatsanwaltschaft, die ehemalige Umweltministerin Carole Dieschbourg in ihre Ermittlungen im Rahmen der „Gaardenhaischen“-Affäre einzubeziehen.
Eine von Marc Spautz (CSV) initiierte Aktualitätsdebatte befasste sich mit der unterschiedlichen Behandlung von Kriegsflüchtlingen beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Flüchtlingen aus der Ukraine sei dies sofort ermöglicht worden. Was aber sei mit Menschen aus Syrien, Afghanistan, Jemen und anderen Kriegsgebieten, fragte Spautz. Die ungleiche Behandlung stoße auf wenig Verständnis bei den Betroffenen. Auch Personen, die derzeit noch keine definitive Aufenthaltsgenehmigung haben, sollten das Recht auf Arbeit bekommen, zumal viele Menschen qualifiziert seien. Warum noch Unterschiede zwischen Personen mit unterschiedlichem Flüchtlingsstatus, fragte auch Charles Margue („déi gréng“). ADR-Sprecher Fernand Kartheiser befürchtet hingegen einen Anziehungsfaktor für Flüchtlinge und einen Verdrängungswettbewerb zulasten der sozial Schwächsten.
Konkrete Aussagen wollte Arbeitsminister Georges Engel (LSAP) nicht machen, kündigte jedoch Erleichterungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt für Antragsteller auf zeitlich begrenzten Schutz.
Anlässlich einer Interpellation sprach Initiator Fernand Kartheiser (ADR) von „dramatischen Zuständen“ bei der Polizei. Sie müsse sich auf ihre Aufgaben konzentrieren können und von anderen entbunden werden. Der Polizeibeamte müsse auf die Rückendeckung seiner Vorgesetzten rechnen können, sollte er seine Waffen einsetzen müssen. Die Polizei müsse alle Möglichkeiten und Mittel bekommen, um gegen kriminelle Jugendbanden und Cyberkriminalität vorgehen zu können. Drogenkriminalität gehe von ausländischen Banden aus, der Polizei seien aber die Hände gebunden. Teilverantwortung für die negativen Entwicklungen trage die Regierung mit ihrer Einwanderungspolitik. Ihre Kriminalitätsstatistiken seien unglaubwürdig. „Fake News“, so Kartheiser. Er forderte eine Liberalisierung des Waffengesetzes, u.a. sollte Pfefferspray zugelassen werden.