Die Corona-Pandemie verlangt uns viel ab, Angst und Unsicherheit machen sich breit: Angst vor einer Ansteckung, davor, dass liebe Menschen erkranken oder gar an Covid-19 sterben können. Doch auch existenzielle Ängste durch Jobverlust und Kurzarbeit machen Betroffenen schwer zu schaffen, erklärt Prof. Dr. André Schulz, Gesundheitspsychologe an der Universität Luxemburg. Depressionen und Angstzustände nehmen zu, bestätigte auch der „Quality of Work Index“ der Salariatskammer Anfang Februar. Grund genug, den Gesundheitspsychologen nach den Auswirkungen von Ängsten und andauernder Anspannung in unserem Körper zu befragen.
Zunächst muss man zwischen Angst und Furcht unterscheiden, sagt der Forscher. Angst beschreibt einen generellen Alarmzustand, während sich die Furcht auf etwas Konkretes bezieht – Furcht vor Spinnen zum Beispiel.
„Diese Bedrohungssituation stellt einen chronischen Stressor dar. Die Folge ist ständiger Alarmzustand“, erklärt Schulz. Im Gehirn werden spezielle Botenstoffe verstärkt ausgeschüttet, die dazu beitragen, dass der Betroffene im Daueralarmzustand gefangen bleibt. Dabei werden ein Teil des vegetativen Nervensystems sowie bestimmte Hirnregionen aktiviert, gleichzeitig werden Stresshormone verstärkt ausgeschüttet und gelangen in höherer Konzentration ins Blut.
„Die Folgen für die Psyche sind Unruhe und Gereiztheit. Durch die Gereiztheit entstehen zwischenmenschliche Konflikte. Die Fähigkeit, Probleme zu lösen, nimmt ab, da sich Betroffene auf ein einziges Problem konzentrieren und alles andere um sich herum ausblenden“, erklärt der Psychologe. Es kann zu Gedächtnis- und Schlafstörungen kommen.
Mehr noch: „Stresshormone unterdrücken das Immunsystem“, unterstreicht Schulz. Geraten diese Stresssysteme dauerhaft aus dem Tritt, kann im akuten Zustand die Widerstandsfähigkeit gegenüber Erregern sinken. Gegen ein so durch den andauernden Bedrohungszustand gebeuteltes Immunsystem hätte auch das Coronavirus ein leichteres Spiel. Auf der anderen Seite kann dieser ständige Stresszustand die Entstehung von dauerhaften Depressionen, Angst- und Essstörungen begünstigen, warnt der Gesundheitspsychologe.
Raus an die frische Luft
Was hilft, den Kopf vom Stress und dem negativen Ballast zu befreien? Bewegung an der frischen Luft ist seit jeher ein probates Mittel, um den Kopf freizubekommen. Noch dazu ist es konform zu den aktuellen Schutzregeln, sich draußen, mit Maske und Abstand, zu begegnen. Bedingt durch die eingeschränkte Reisefreiheit erlebte das Wandern in Luxemburg im vergangenen Jahr einen regelrechten Boom, wie der Präsident der „Fédération luxembourgeoise de marche populaire“ (FLMP) im Juli 2020 im Tageblatt-Gespräch erklärte. Ob sich der Trend auch in diesem Jahr hält, darüber mag Prof. André Schulz keine Vorhersage treffen.
Im Rahmen der groß angelegten Studie „Come-here“ über Faktoren, die die psychische Gesundheit beeinflussen, in Zusammenarbeit von Professor Claus Vögele sowie den Forscherinnen Dr. Annika Lutz und Dr. Zoé van Dyck (Fachbereich Psychologie an der Uni Luxemburg) berichteten die Studienteilnehmer bisher, dass sie weniger Sport trieben als vor der Pandemie. Wahrscheinlich aufgrund von geschlossenen Fitnessstudios und eingeschränktem Sporttreiben im Verein, sagt Prof. André Schulz.
Wer sich an der frischen Luft – alleine oder mit der Familie – bewegt, schafft gleichzeitig einen pandemiekonformen Raum für soziale Kontakte. Beim Spaziergang sind Treffen und Gespräche auf Distanz und mit Maske möglich, sodass die soziale Isolation durch die Pandemie ein Stück weit ausgeglichen wird.
„Und steht man vor der Wahl, ob zu Hause vor dem Schirm oder draußen, ist Bewegung draußen immer vorzuziehen“, rät der Psychologe. Denn ein Spaziergang in der Natur setze Erholungsprozesse in Gang und helfe, Gedankenketten zu durchbrechen. „Die Wahrnehmung des eigenen Körpers in wechselnder Umgebung fördert die Ausbildung neuer Verbindungen von Nervenzellen im Gehirn. Dadurch verbessern sich die kognitive Leistung und das Gedächtnis.“
Streicheleinheiten für die Seele
„Distanz“ – eines der prägenden Elemente dieser Pandemie. Der menschliche Körper reagiert nachweislich auf Berührung. Seit Ausbruch der Corona-Krise im März 2020 müssen wir weitestgehend darauf verzichten. Weder Videocalls noch gemeinsame Zeit auf Entfernung können fehlende Berührungen ausgleichen, sagt Prof. André Schulz.
„Soziale Kontakte aktivieren das Serotonin-System, die Ausschüttung des sognannten Glückshormons im Gehirn. Serotonin wiederum ist eng mit Entspannung, Gelassenheit und Erholung verknüpft.“ Wird das Serotonin-System durch fehlende Sozialkontakte und körperliche Nähe auf Dauer geschwächt, kann das Stresssystem überhandnehmen, sodass ein (Teufels-)Kreis entsteht.
Die unzähligen Videoanrufe und Konferenzen haben aber auch eine Schattenseite. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von der sogenannten „Zoom-Fatigue“. Damit ist „die gleiche Belastung von beruflichen Gesprächen“ gemeint, bei denen „die nonverbalen Kanäle der Mimik, Gestik, Körperhaltung im Videogespräch beim Gegenüber nicht rüberkommen und dieser Zustand als eher belastend als persönliche Gespräche empfunden wird“, berichtet der Gesundheitspsychologe.
Ob Video-Anruf oder Spaziergang mit Maske und Distanz im Freien – „jeder, der sich einsam fühlt, sollte diese Kanäle nutzen“, rät der Psychologe. Dabei spielt das bewährte Auffangnetz der Familie auch hierbei eine zentrale Rolle: „Kontakte in der Familie sollten vermehrt stattfinden und möglicherweise mehr als bisher wertgeschätzt werden“, sagt Prof. André Schulz
Unsere Experten
Corona-Krise: Ängste und Sorgen belasten Kinder in Luxemburg
Zwischen Mai und Juli 2020 wurden Kinder und Jugendliche in Luxemburg, Deutschland, der Schweiz und Brasilien gefragt, wie sie den Lockdown von Mitte März bis Anfang Mai erlebten. 20 potenzielle Ursachen für ihr Wohlbefinden haben Erziehungswissenschaftler, Psychologen und Kindheitsforscher im Rahmen der groß angelegten „Covid Kids“-Studie in mehreren Staaten weltweit untersucht.
„Insgesamt hat sich während des Lockdowns das Wohlbefinden der Kinder deutlich verändert“, erklärt Projektleiterin Dr. Claudine Kirsch im Tageblatt-Gespräch. Gemeinsam mit ihren Kollegen Pascale Engel de Abreu und Sascha Neumann untersucht sie die Erfahrungen der Kinder in Luxemburg während der Pandemie aus deren Perspektive.
Die Forscher hatten die Kinder nach ihren Gefühlen befragt: „Bist du traurig, gelangweilt, einsam oder ängstlich?“ In einem weiteren Abschnitt ging es um die Sorgen der Kinder. Außerdem konnten die Teilnehmer Fragen wie – „Was ist das Schönste in der Corona-Zeit?“ und „Was ist das Schlimmste in der Corona-Zeit?“ – frei beantworten.
„Fast 90 Prozent der Kinder haben diese offenen Fragen beantwortet“, erklärt Kirsch. „Das zeigt uns, dass sie sich uns mitteilen wollen.“ Zu den Antworten über die schlimmste Seite von Corona gehörten Dinge wie „Tote, sterben, aber auch Angst. Angst, dass das Virus nie verschwindet oder auch dass Oma angesteckt wird“, führt die Erziehungswissenschaftlerin aus. Viele andere Antworten bezogen sich auf das „Eingesperrtsein“ während des Lockdowns oder auf Einschränkungen und beginnen oft mit „Ich darf nicht …“, „… Fußball spielen, meine Freundin umarmen, in die Schule gehen“. Außerdem zeigten die Antworten, dass Kinder sehr feine Antennen haben, wenn andere durch die Krisensituation überfordert waren.
Mehr als 3.000 Kinder haben insgesamt an der Studie teilgenommen und viele von ihnen fanden „absolut gar nichts gut an Corona“, sagt Claudine Kirsch. Das „Beste“ an Corona war für einige Kinder, weniger Druck in der Schule zu haben, da keine Prüfungen stattfanden. Die, die in der Schule schlechte Erfahrungen mit Klassenkameraden oder Lehrpersonen hatten, fühlten sich im Lockdown plötzlich erleichtert, die Aggressoren aus der Schule waren weit weg.
Die Studie hält fest, dass im ersten Lockdown „die allgemeine Zufriedenheit sank, ebenso wie die Zufriedenheit mit der Schule“. Das Wohlbefinden der Kinder hänge außerdem stark von ihrem Alter, sozioökonomischen Status und Geschlecht ab, heißt es. Das Wohlbefinden der Kinder haben die Forscher einerseits anhand der vier Gefühle (Einsamkeit, Traurigkeit, Langweile und Ängstlichkeit) gemessen und andererseits anhand der Antworten in der Kategorie „Sorgen“. Und auch die Lebenszufriedenheit der Kinder nahmen sie unter die Lupe.
Die Wissenschaftler untersuchten den Einfluss von 20 potenziellen Faktoren für das Wohlbefinden der Kinder. „Sechs von diesen haben das Leben der Kinder nicht nur in Luxemburg, sondern auch in Brasilien und in Deutschland stark beeinflusst“, sagt Kirsch. Mehr noch: „Vier dieser Ursachen prägen das Leben der Kinder noch heute.“ Eine davon bezieht sich auf die Lebenszufriedenheit: „Kindern, denen es vor Corona gutging, geht es auch eher besser in der Corona-Zeit.“ Kinder, die Angst hatten, hätten nicht nur mit ihr zu kämpfen, stellten die Forscher fest. Wer mehr Angst hat, hat mit größerer Wahrscheinlichkeit auch mehr negative Gefühle – ist trauriger, einsamer – und hat mehr Sorgen. „Und ist auch eher weniger zufrieden mit seinem Leben und der Schule“, so Kirsch.
Negative Gedanken können sich verselbstständigen und die Kinder in einen gefährlichen Strudel aus Sorgen und negativen Gefühlen hineinziehen. Was gegen das Gedankenkarussell hilft, ist mit jemanden darüber zu sprechen und ernst genommen zu werden. Die Forscher der „Covid Kids“-Studie stellten fest, dass „Kinder, die sich positiv darüber äußerten, wie Erwachsene ihnen zuhören, allgemein weniger Sorgen hatten, weniger mit negativen Gefühlen kämpften und insgesamt zufriedener mit ihrem Leben und mit der Schule waren“.
Jedes dritte Kind in Luxemburg hat Angst
Für diese Erhebung wurden Kinder aus Luxemburg in Gruppeninterviews und Kinder aus u.a. Luxemburg, Deutschland, der Schweiz, Portugal und Brasilien in einem Online-Fragebogen befragt. Aufhorchen lässt dabei ein Ergebnis der Studie für Luxemburg: „Mehr als ein Drittel der Kinder in Luxemburg (32 Prozent) hatte Angst.“ Zum Vergleich: In Brasilien waren es hingegen 28 Prozent.
Wie sich das Befinden der Kinder im Verlauf der Pandemie verändert, „das müsste in einer neuen Studie erforscht werden“, sagt Claudine Kirsch. „Zumal niemand weiß, wie lange der Zustand andauert.“ Sicher sei, dass Kinder die Unsicherheit und die Einschränkungen in der Pandemie anders als Erwachsene bewältigen, so die Erziehungswissenschaftlerin.
Mehr Informationen über die „Covid Kids“-Studie gibt es hier.
Die Gemeinschaft fehlt
Wie wird die Corona-Pandemie den gesellschaftlichen Zusammenhalt beeinflussen? Dr. Isabelle Albert forscht und lehrt am Institut für Lebensspannenentwicklung, Familie und Kultur an der Uni Luxemburg. Sie sagt: „2021 wird noch stark durch die Pandemie geprägt. Wir hoffen, dass durch die Impfung insbesondere für ältere Menschen Kontakte in und außerhalb der Familie wieder leichter werden.“
Dennoch vermutet die Forscherin, dass eingeschränkte Wechselbeziehungen zwischen den Generationen in manchen Familien zu mehr Spannungen unter den Familienmitgliedern führen könnten, die bisher unter der Oberfläche geblieben waren und durch die aktuellen Umstände in den Vordergrund treten.
Albert leitete im vergangenen Jahr die sogenannte Crisis-Studie, die das Wohlbefinden von Senioren in Luxemburg in der Folge des ersten Lockdowns untersuchte. Die Studie wurde vom „Fonds national de la recherche“ (FNR) gefördert und in enger Zusammenarbeit zwischen der Universität Luxemburg und dem „RBS Center fir Altersfroen“ durchgeführt. Dabei wurden im Juli und Oktober zu Hause lebende Senioren und Bewohner von mehreren Seniorenhäusern befragt. „In diesem Längsschnitt der Bevölkerung haben wir gesehen, dass sich die meisten Seniorinnen und Senioren zwischen der ersten und zweiten Corona-Welle von den Belastungen erholten. Allerdings gab ein Fünftel der Befragten an, dass ihnen der Umgang mit der Corona-Krise noch immer schwerfällt.“
Eine andere Umfrage der Uni Luxemburg, die im Dezember stattfand, befasste sich damit, wie Luxemburger und Nicht-Luxemburger „aktiv altern“. An der Erhebung, die ebenfalls gemeinsam mit dem „RBS Center fir Altersfroen“ durchgeführt wurde, nahmen rund 1.000 Befragte teil. Unter anderem wollten die Forscher um Dr. Isabelle Albert wissen, wie einsam sich die Menschen vor und während der Pandemie fühlten. „Ähnlich wie bei der Crisis-Studie gaben zwar mehr als die Hälfte der Befragten an, sich auch seit der Pandemie nie oder selten einsam zu fühlen, jedoch hatte das Gefühl, die Gemeinschaft anderer zu vermissen, bei den Befragten seit der Pandemie im Vergleich zu vorher deutlich zugenommen. Insbesondere bei denjenigen, die auch vor der Krise sehr aktiv, beispielsweise im Verein, waren“, so Isabelle Albert.
We will be back!
One way or another.
The Corona Variants.
Warum werden „ Wissenschaftler „ der Uni Luxemburg die soviel und sowenig über den Corona Virus gelernt haben wie der Rest der Bevölkerung um ihre Meinung gefragt ? Um die Zeitung zu füllen gibt es interessantere Berichte ,wenn ich mich nicht irre , oder ?
Gute Frage ?
Die Corona Pandemie mag schlimm sein, doch im Verhältnis zu den Ängsten der Menschen in Kriegs-, Krisengebieten um Leben, Gesundheit, Ernährung, ......leben wir noch wie die Maden im Speck. Versetzen wir uns tagtäglich in deren Situation und genießen die Annehmlichkeiten die uns bleiben, die kleinen Freuden des Tages. Gelingt dies nicht , sollten wir uns die Frage stellen:“ Haben wir verlernt bescheiden zusein?“