Vor einem Monat hatte sich der EU-Rat über einen europäischen Mindestlohn geeinigt. Dabei wird keineswegs ein einheitliches Mindestgehalt für alle Mitgliedsländer vorgeschrieben. Dazu ist die EU nicht befugt. Vielmehr soll jedes Land dafür sorgen, dass der Mindestlohn dem Arbeitnehmer und seiner Familie ein dezentes Leben ermöglicht. Der Vorschlag sieht lediglich Leitlinien vor, an die sich die Länder bei der Festlegung des Mindestlohns orientieren können. So sollte er 50 Prozent des Durchschnittslohns oder 60 Prozent des Mediangehalts ausmachen.
In Luxemburg verdienen rund 60.000 Personen den Mindestlohn, der alle zwei Jahre an die allgemeine Gehaltsentwicklung im Lande angepasst wird. Der Indexmechanismus sorgt darüber hinaus für eine automatische Anpassung an die Preisentwicklung, was nach dem rezenten Tripartite-Abkommen vorerst nicht der Fall ist.
Für einzelne Länder dürfte die EU-Richtlinie zu einer substanziellen Erhöhung des Mindestlohnes führen, sagte Myriam Cecchetti („déi Lénk“). In Luxemburg würden diese Richtwerte derzeit nicht erreicht, so die Abgeordnete, die sich jedoch dabei auf ältere Daten berief. Zu bedenken gab sie des Weiteren, dass der Mindestlohn gegenüber der Entwicklung des Durchschnittslohns zurückbleibe. Die Forderung von „déi Lénk“: Der Mindestlohn müsste wesentlich aufgebessert werden.
Nur Positives konnte die Rednerin auch der Empfehlung des EU-Rats abgewinnen, mehr Kollektivverträge abzuschließen. Zielvorgabe aus Brüssel: 80 Prozent der Beschäftigten sollten in den Genuss eines Kollektivvertrags kommen. In Luxemburg sind es derzeit rund 53 Prozent. Ein Kollektivvertrag würde zu höheren Mindestlöhnen in den Unternehmen führen, insbesondere im Gaststätten-, Transport- und Reinigungssektor, so Cecchetti. Luxemburg sollte sich dazu einen Aktionsplan zulegen.
Marc Spautz (CSV) bezeichnete die Entscheidung des EU-Ministerrats als Meilenstein in der europäischen Sozialgeschichte. Wichtig sei es, über die Höhe des Mindestlohnes zu reden, zumal Luxemburg durch die angekündigte Erhöhung des Mindestgehalts in Deutschland an Attraktivität als Arbeitsort einbüßen könnte. Kollektivverträge könnten auch für einen ganzen Sektor abgeschlossen werden. Nur müsste deren Einhaltung dann kontrolliert werden, um unfairen Wettbewerb zwischen Betrieben zu verhindern.
Frank Colabianchi (DP) erinnerte daran, dass der Mindestlohn 2019 und 2021 erhöht wurde. Laut EU-Richtlinie sollte die Höhe des Mindestgehalts regelmäßig an die Lohn- und Preisentwicklung neu ausgerichtet werden. In Luxemburg geschehe dies u.a. durch den Indexmechanismus und die alle zwei Jahre erfolgende Neubewertung. Man müsse jedoch aufpassen, dass das nicht zu Lasten der Unternehmen gehe. Es gebe nicht nur große Betriebe, die saftige Gewinne einstreichen, sondern auch viele fragile Unternehmen. Deren Existenz dürfe man nicht aufs Spiel setzen. Auch reichten Mindestlohnerhöhungen allein nicht, um einkommensschwachen Haushalten unter die Arme zu greifen, daher die Einführung des Gratistransports und unentgeltliche Schulbücher.
Handschrift von Nicolas Schmit
Das Thema Mindestlohn gehöre zur DNA seiner Partei, meinte der sozialistische Vertreter Dan Kersch (LSAP). Es überrasche nicht, dass die EU-Entscheidung die Handschrift von EU-Kommissar Nicolas Schmit (LSAP) und sozialistischer Arbeits- und Sozialminister trage. Die Erhöhung des Mindestlohns Anfang 2019 sei ein Wahlversprechen seiner Partei gewesen, erinnerte Kersch. Anfang 2021 wurde er nochmals um 59 Euro bzw. 71 Euro angehoben. Die LSAP bestehe auf dessen regelmäßiger Anpassung, auch wenn dies nicht zwingend vorgeschrieben sei. Luxemburg liege knapp unter den von der EU empfohlenen 60 Prozent des Mediangehalts, so Kersch weiter. Dennoch bleibe eine strukturelle Erhöhung des Mindestlohns auch weiterhin aktuell. Um weitere Betriebe zum Abschluss von Kollektivverträgen zu stimulieren, schlug Kersch vor, diese bei Tarifabschluss steuerlich zu bevorteiligen.
Das Ende des „Jousefshaus“
Das Zivilhospiz „Jousefshaus“ der Stadt Remich wird aufgelöst. Gelände, Gebäude und andere Vermögenswerte, aber auch die Schulden der auf Seniorenbetreuung spezialisierten Einrichtung übernimmt die Gemeinde Remich. Diese vermietet die Gebäulichkeiten und das Gelände über einen Erbpachtvertrag an Servior weiter. Servior, das derzeit fünfzehn Wohn- und Pflegeeinrichtungen für Senioren betreibt, übernimmt auch das Personal des „Jousefshaus“. Das Parlament billigte am Mittwoch einen entsprechenden Gesetzentwurf. Berichterstatter war Gilles Baum (DP). Die Schaffung von Zivilhospizen in Luxemburg reicht bis in die napoleonische Zeit zurück. Sie sollten sich um die Betreuung der Ärmsten kümmern.
Auch für „déi gréng“ sei eine strukturelle Erhöhung des Mindestlohns kein Tabu, betonte Charles Margue. Der Mindestlohn sei eine Bremse in Sachen Prekarität und soziale Ungerechtigkeit. Die Stärkung des Kollektivvertragswesens bezeichnete er als „Königsweg“ zu einer gerechteren Verteilung des erwirtschafteten Reichtums. Jeff Engelen (ADR) bezweifelte hingegen, ob die EU-Richtlinie die Rolle der Gewerkschaften bei den Tarifverhandlungen stärken werde. Auch würden 24 Millionen Bürger in der EU trotz Mindestlohn kaum über die Runden kommen. Die Direktive würde die Folgen der Energiekrise kaum abschwächen.
Radikalere Töne schlug Marc Goergen (Piratepartei) an. Das Kapital sollte stärker, die Löhne weniger besteuert werden. Wenn in der EU die Mindestlöhne allgemein steigen, würden auch Waren etwa aus Osteuropa teurer. Man müsse sich auf die Folgen von Mindestlohnerhöhungen im Ausland vorbereiten.
Auch Arbeitsminister Georges Engel (LSAP) sah beim Mindestlohn noch „Luft nach oben“, auch wenn Luxemburg EU-weit nicht zu den „schlechtesten Schülern“ gehöre. Man müsse die Entwicklung in den Nachbarländern genau beobachten und gegebenenfalls reagieren, um weiterhin attraktiv für Arbeitnehmer zu bleiben. Er schloss sich dem Vorschlag seines Parteikollegen Kersch an, jenen Betrieben Steuerentlastungen zu gewähren, die einen Kollektivvertrag abschließen. In kleinen Betrieben könnten dabei die während der Covid-19-Pandemie gesammelten Erfahrungen beim Sozialdialog genutzt werden.
Auch wenn alle Redner die Bedeutung des Mindestlohns als Instrument gegen Prekarität und Armut einsahen, wurde eine Motion von „déi Lénk“ zu seiner Neubewertung abgelehnt. Dan Kersch erinnerte dabei, dass der Mindestlohn Anfang 2023 angehoben werde. Keine Mehrheit fand auch die ADR-Motion, die Mindestlohnbezieher von der Einkommenssteuer zu befreien. Derartige Vorschläge sollten kommende Woche anlässlich einer größeren Debatte über die Steuerpolitik formuliert werden, hieß es.
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