Tageblatt: Claire Faber, die wohl wichtigste Frage zuerst: Wie geht es Ihnen?
Claire Faber: Ich kann mich nicht beschweren. In den letzten Wochen konnte ich wieder richtig gut trainieren. In der Zeit nach dem Unfall wurde ich sehr gut unterstützt, sowohl vonseiten der Physiotherapeuten als auch vom LIHPS (Luxembourg Institute for High Performance in Sports) und vom COSL („Comité Olympique et Sportif Luxembourgeois“), die mich wieder auf 100 Prozent gebracht haben.
Können Sie sich an den Unfall erinnern?
An den Tag des Unfalls kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern. Von der darauf folgenden Woche weiß ich ebenfalls kaum noch etwas.
Wie kam der Unfall zustande?
Ich war auf der abschüssigen Straße Richtung Esch unterwegs. Aus einer Seitenstraße ist plötzlich ein Auto in die Hauptstraße eingebogen. Der Autofahrer hatte mich übersehen, sodass der Zusammenstoß unvermeidbar war.
Hatten Sie nach dem Unfall gedacht, so schnell wieder bei einem Radrennen starten zu können?
Der Arzt hatte mir gesagt, dass es mindestens sechs Monate, vielleicht sogar ein Jahr dauern würde, bis ich wieder an einem Rennen teilnehmen könnte. Ich hätte definitiv nicht damit gerechnet, dass ich aktuell schon wieder Rad fahren, geschweige denn an einem Rennen teilnehmen könnte. Im Genesungsprozess habe ich sehr große Fortschritte gemacht. Bei den verschiedenen Tests sind meine Werte auch schon sehr gut. Keiner hatte daran geglaubt, dass es so schnell gehen würde, angesichts der Vielzahl an Verletzungen, die ich davongetragen hatte. Ein Grund ist sicherlich mein Alter, aber auch die Tatsache, dass ich mich zum Zeitpunkt des Unfalls in einer sehr guten Verfassung befand. Dadurch konnte der Körper die Verletzungen besser verkraften.
Wie haben Sie diesen Lebenseinschnitt mental verkraftet?
Ich hatte zu keinem Moment negative Gedanken und bin auch nicht „in ein Loch gefallen“. Ich war immer auf meinen Heilungsprozess konzentriert. Auch jetzt verspüre ich überhaupt keinen Druck und werde meinen Weg gehen. Erzwingen kann man sowieso nichts. Eigentlich nehme ich das Ganze recht gut auf und sehe die letzten Monate auch nicht als verlorene Zeit an. Wenn dir so etwas Krasses passiert ist, verändert dich das auch als Mensch. Es klingt vielleicht makaber, aber ich sehe den Unfall als eine Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln, sowohl als Sportlerin als auch als Mensch.
Inwiefern?
Der Unfall hat mich abgehärtet. Ich habe das Gefühl, durch diese schwierige Zeit erwachsener geworden zu sein.
Ihre positive Einstellung war sicherlich auch hilfreich …
Bestimmt. Dennoch bin von mir selbst überrascht und hätte nicht gedacht, dass ich das Ganze einfach so wegstecken würde. Fragen wie „Was wäre gewesen, wenn …?“ habe ich mir nie gestellt. Ich sagte mir, dass der Unfall passiert ist und dass er aus irgendeinem Grund geschehen ist. Die beste Erklärung für mich war, dass es ein Schicksalsschlag war. In meinem Kopf habe ich damit abgeschlossen und denke überhaupt nicht mehr an den Unfall. Für mich beginnt jetzt ein neues Kapitel.
Wie hat Ihr Umfeld nach dem Unfall reagiert?
Die ersten Tage habe ich ja kaum etwas mitbekommen, bis auf mein Handy, das dauernd geklingelt hat. Ich habe sehr viele Nachrichten bekommen. Die Leute waren sehr interessiert und wollten wissen, wie es mir geht. Ich hätte nie gedacht, dass der Unfall eine solche Welle auslösen würde. Natürlich war es auch wichtig, dass mein nahes Umfeld mich in der neuen Situation unterstützt hat.
Vor allem in den sozialen Netzwerken feinden sich Radfahrer und Autofahrer teils vehement an. Konnten Sie in letzter Zeit auch eine Verrohung der Sitten im Straßenverkehr feststellen?
Die Radfahrer sind noch immer nicht zu hundert Prozent im Straßenverkehr akzeptiert. Dabei sollte jeder das Recht haben, sich so fortzubewegen, wie er möchte. Alle Verkehrsteilnehmer sollten sich einfach nur gegenseitig respektieren. In den letzten Jahren hat nicht nur der Verkehr stark zugenommen, sondern auch die Aggressivität. So kommt es regelmäßig vor, dass Fahrer sich einen Spaß daraus machen, die Scheibenwaschanlage beim Vorbeifahren zu betätigen. Insgesamt ist es sehr anstrengend, mit dem Rad auf der Straße zu trainieren. Deswegen versuche ich dies weitestgehend zu vermeiden.
Bei der Europameisterschaft starten Sie nun „nur“ beim Zeitfahren. Weshalb lassen Sie das Straßenrennen außen vor?
Die Strecke des Straßenrennens kommt mir überhaupt nicht entgegen. Ich will bei einem wichtigen Rennen wie der EM nicht an den Start gehen, um dann nach zwei Runden abgehängt zu werden.
Welches Ziel haben Sie sich fürs Zeitfahren gesetzt?
Auf das Zeitfahren habe ich mich intensiv vorbereitet. Nach der Zwangspause ist es natürlich schwer zu sagen, wo ich derzeit im Vergleich zur Konkurrenz stehe. Die Strecke beinhaltet einige Wellen, ist aber insgesamt relativ flach. Mit einem Platz in den Top 30 wäre ich äußerst zufrieden. Eigentlich mache ich meine Leistung zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht an Zahlen fest. Ich werde sehen, wie ich mich fühle, und kann dann anschließend sagen, ob ich mit meinem Wettbewerb zufrieden bin.
Werden Sie auch bei der Weltmeisterschaft dabei sein?
Zuerst muss ich abwarten, ob ich vom Verband nominiert werde. Bei der WM würde ich dann neben dem Zeitfahren auch beim Straßenrennen starten.
Was steht danach auf dem Programm?
Meine kurzfristigen Ziele sind schulischer Natur. Im Oktober beginne ich mit meinem Master. Bis Ende Oktober muss ich noch meine Bachelor-Arbeit, die wegen meines Unfalls verlegt worden ist, fertigstellen. Was den Radsport anbelangt, so bleibt mein Fokus weiterhin auf die Bahn gerichtet.
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