Im Laternenschein der Champs-Élysées, als das erste Licht des Tages die Dunkelheit der Nacht über Frankreichs Hauptstadt vertrieb, stand Lachlan Morton barfuß am Pariser Prachtboulevard und setzte zur Champagnerdusche an. Ein kräftiger Schluck, ein stolzes Lächeln – das Abenteuer seines Lebens war vollbracht.
Als Hommage an die Anfangstage des organisierten Radsports war der Profi vom Team EF Education Nippo die Tour als Ganzes nachgefahren (das Tageblatt berichtete am 29. Juni). Alleine, ohne Hotels, mit Gepäck am Rad, als sein eigener Mechaniker, ohne Ruhetage, ohne Transfers. Auf seiner letzten Etappe bewältigte er unglaubliche 576 km am Stück. Durch die Nacht dem Ziel entgegen, die Müdigkeit ignorierend. Es war die letzte Verneigung vor den Pionieren der „Grand Boucle“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
„Damals ging es dem Tour-Direktor im Grunde darum, dass es nur ein Fahrer ins Ziel schafft. Es war ein völlig anderer Sport – total inspirierend“, hatte Morton vor dem Start gesagt: „Es war eine aufregende Zeit. An die will ich erinnern und eine Idee vermitteln, wie eine Tour durch Frankreich aussehen kann.“
Eigentlich hätte der 29-Jährige Paris am Tag des regulären Tour-Finales am Sonntag erreichen wollen. Für 5510 Kilometer und über 65.000 Höhenmeter brauchte er aber letztlich lediglich 18 Tage. Morton kämpfte sich in Sandalen über die Alpen, er bewältigte den Mont Ventoux, überwand in den Pyrenäen die Erschöpfung.
Unterwegs als „Bikepacker“
Die Anstrengungen sollten sich auszahlen, nicht nur für Morton. Mit der Aktion sammelte er im Vorbeifahren Spenden in Höhe von über 420.000 Euro für die Hilfsorganisation World Bicycle Relief.
Morton bleiben Erinnerungen fürs Leben. Der Rad-Romantiker war als „Bikepacker“ unterwegs. Er schlief unter freiem Himmel, frühstückte in Baguetterien und speiste in Kneipen, lernte Land und Leute auf eine einzigartige Weise kennen.
Und es waren Momente wie diese: In einer klaren Nacht spulte Morton Kilometer ab und schaute in den Himmel. Der Anblick war faszinierend und verwirrend zugleich. „Ich dachte, es kann doch unmöglich so viele Sterne geben. In meinem Kopf verwandelte sich der Himmel in eine künstliche Zimmerdecke“, sagte Morton: „Da hatte ich das Gefühl, dass nun der Punkt gekommen ist, an dem ich den Verstand verliere.“
Die Extreme für Körper und Geist reizten ihn schon immer. Er ist auf den Schotterpisten dieser Welt zu Hause, fuhr mit seinem Bruder quer durch Australien und die Rocky Mountains. Nun die „Alt Tour“.
„Diese Aktion war schon lange mein Traum“, sagte Morton: „Eigentlich wollte ich sie beim Giro 2020 durchziehen – den musste ich aber selber bestreiten.“ Die Tour de France ist er noch nie gefahren. Seit dem Tour-Start vor mehr als zwei Wochen in Brest hat er jedoch Erfahrungen gesammelt, um die ihn manch ein Kollege im Peloton beneiden dürfte. (SID)
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