Tageblatt: Wir schreiben das Jahr 2021. Luxemburg gilt als ein tolerantes Land. Brauchen wir – provokativ gefragt – den Pride-Monat Juni und alle Pride-Events, die auf die Rechte der LGBTQIA+-Community aufmerksam machen, überhaupt noch?
Andy Maar: Das ist definitiv so. Einerseits wurden mit der Reform des Ehe- und Adoptionsrechts 2015 die prominentesten Beispiele unserer Forderungen umgesetzt, andererseits gibt es noch viele andere Baustellen, bei denen wir eine komplette Gleichberechtigung und einen sinnvollen Schutz vor Hassgewalt tatsächlich erreichen wollen.
Außerdem stellen wir fest, dass sich Diskriminierungen wieder häufen: In einer Bestandsaufnahme vom 17. Mai 2021 spricht ILGA Europe, die Dachorganisation für LGBTQIA+-Rechte in Europa, von einer Stagnation, in vielen EU-Ländern sogar von Rückschritten, was die LGBTQIA+-Rechte angeht. Dies ist umso besorgniserregender, da seit Beginn der Bestandsaufnahme noch nie so viele LGBTQIA+-Rechte wie im letzten Jahr EU-weit abgebaut wurden. Bekannteste Beispiele hierfür sind Polen und Ungarn.
Gleichzeitig bemerken wir Diskriminationsmechanismen und Verschwörungstheorien, die wir eher aus dem Osten Europas her kannten und die sich nun jedoch langsam in Deutschland und Luxemburg ausbreiten. In den Kommentarspalten von RTL und auf Facebook finden sich Aussagen, die man üblicherweise von der AfD in Deutschland kennt. Dieser AfD-Jargon wird durch die polnische ultrakonservative Regierung befördert, sie setzt beispielsweise Homosexualität mit Pädophilie gleich.
Das neue ungarische Gesetz, das Homosexualität in den Medien totzuschweigen versucht, basiert auf genau jenem Prinzip aus Polen, das Homosexualität und Pädophilie bewusst vermischt. Deshalb brauchen wir Pride-Events und -Wochen, um Sichtbarkeit zu erzeugen und politische Aussagen zu tätigen, um so öffentliche Unterstützung zu erhalten. Wir freuen uns, dass die Chamber und viele Gemeinden im Pride-Monat mit einer farbigen Beleuchtung oder einer Regenbogenfahne ein sichtbares Zeichen für die Rechte der Community setzen. Manche erklären sich gleichzeitig zu einer „LGBTQIA+ Freedom Zone“.
„LGBTQIA+ Freedom Zone“ – den Begriff müssen Sie erklären …
Es ist ein symbolischer Begriff. Er bedeutet, dass man in dieser Gemeinde keine Angst haben sollte, der Mensch zu sein, der man ist, und sich dort sicher fühlen darf.
In diesem Zusammenhang sind wir besorgt, dass es in Luxemburg keinen sogenannten „Safe Space“ mehr gibt. Damit sind Plätze wie Lokale gemeint, wo sich die Menschen zum ersten Mal trauen, ihre Identität auszuleben, ohne Angst vor wertenden Blicken zu haben. Gerade Menschen, die in der Selbstfindungsphase sind, brauchen einen solchen geschützten Raum.
Gibt es in Luxemburg einen geschützten Raum für die LGBTQIA+-Gemeinschaft?
In der Corona-Krise hat die einzige Bar dieser Art, die sich allerdings an ein eher frankofones schwules Männerpublikum richtete, ihre Türen für immer geschlossen. Es existiert ein LGBTIQA+-Beratungszentrum, das unseren Informationen zufolge jedoch den Betrieb Corona-bedingt einstellen musste.
Wir vermissen in Luxemburg einen Platz, wo man queere Kultur in ihrer Bandbreite erleben kann. Luxemburg braucht ein Rainbow House, so wie in Trier oder Brüssel, das für jeden einen Platz bietet und auch außerhalb der üblichen Bürostunden geöffnet hat.
Welche anderen Forderungen stellt Rosa Lëtzebuerg an die Politik?
Aus unserer Sicht ließe sich sehr leicht ein Verbot von Konversionstherapien umsetzen. Dabei handelt es sich um Angebote von Organisationen oder Ärzten, die darauf zielen, eine inter-, homo-, bi- oder transsexuelle Person wieder auf den „normalen“ Weg zurückzubringen. Das geschieht oft über psychischen Druck, in manchen Ländern auch durch physische Gewalt. Man muss in Luxemburg nicht so lange warten, bis das Problem irgendwann auftaucht, um dann erst etwas dagegen zu unternehmen.
Sie sagten, es gebe mehr als eine Baustelle für den Gesetzgeber. Eine davon betrifft den Schutz intergeschlechtlicher Kinder.
Hier geht es darum, dass keine chirurgischen oder sonstigen Maßnahmen nach der Geburt getroffen werden, die nicht notwendig sind. Diese Praxis ist zurzeit in Luxemburg nicht verboten.
Es gibt Mediziner, die eine Wahl treffen oder die Eltern zu einer Entscheidung überzeugen, bei der sie glauben, dass sie das Beste für die Kinder wäre, und sich später herausstellt, dass dies nicht der Fall ist. Hier fordern wir ein Verbot dieser Praxis, solange die Eingriffe nicht medizinisch notwendig sind. Gleichzeitig auch eine Aufklärungskampagne durch das Gesundheitsministerium.
Konversionstherapie
Unter Konversionstherapie versteht man eine umstrittene Gruppe von psychologischen Methoden, die darauf zielt, homo-, inter- oder transsexuelle Menschen von ihren Neigungen zu „heilen“ und wieder zur Heterosexualität bzw. ihrem Geburtsgeschlecht zurückzuführen. Bei unseren Nachbarn in Deutschland sind solche Therapien seit Mai 2020 gesetzlich verboten.
Bisher durften homosexuelle Männer kein Blut spenden. Rosa Lëtzebuerg setzt sich seit Jahren für eine Änderung dieser Praxis ein. Wie ist die Situation aktuell?
Hierzu gibt es nicht wirklich ein gesetzliches Verbot. Es war das Rote Kreuz, das sich bisher dagegen entschieden hatte. Es ist jedoch gesprächsbereit. Wir tauschen uns seit Jahren über die Problematik aus. Im vergangenen August hatten wir ein größeres gemeinsames Treffen, wobei wir eine Bereitschaft zum Entgegenkommen spürten. Ein Entgegenkommen jedoch, das nur so groß ist, wie das Rote Kreuz es verantworten kann.
Wie äußert sich die Annäherung in Sachen Blutspenden konkret?
Seit dem 1. Januar 2021 sind Spenden möglich. Auch dann, wenn homosexuelle Männer in den letzten zwölf Monaten (vor der Spende, Anm. d. Red.) Geschlechtsverkehr hatten. In diesen Fällen würde dann jedoch lediglich das Blutplasma nach einer Quarantänezeit von vier Monaten sowie einem weiteren Test verwendet werden.
Es ist nicht das Ziel, das wir gerne erreicht hätten, jedoch ein Zugeständnis, das das Rote Kreuz bereit ist zu leisten. Hinter seiner Zurückhaltung steckt eine einfache Ursache: Das Rote Kreuz bekam – seit mindestens 2013 – von der damaligen Regierung einen Ausgleichsfonds in Aussicht gestellt. Dieser sollte die Opfer entschädigen, falls es zu Infektionen durch beispielsweise HIV-kontaminierte Proben käme. Derzeit muss das Rote Kreuz selbst für diese Kosten aufkommen.
Eine weitere positive Folge unseres Treffens im letzten August ist eine veränderte Fragestellung im Spender-Fragebogen, wonach es nicht mehr sofort ersichtlich wird, ob der Spender homosexuell ist.
Bleiben wir beim Thema Blutspenden von homosexuellen Männern. Neben den Fortschritten, die Rosa Lëtzebuerg gemeinsam mit dem Roten Kreuz erreicht hat, gibt es noch immer Begrifflichkeiten, die nicht zufriedenstellend sind.
Eines davon ist der Begriff Risikogruppen. (Aufgrund einer potenziell höheren Gefahr vor HIV-Infektionen werden homosexuelle Männer als Risikogruppe angesehen, Anm. d. Red.). Aus unserer Sicht ist das ein veralteter und verallgemeinernder Begriff. Zeitgemäßer wäre es, ausschließlich auf das persönliche Risikoverhalten zu schauen.
Gegen Diskrimination und für Inklusion – dafür setzt sich Rosa Lëtzebuerg seit der Gründung 1996 ein. Beginnen wir mit dem Bereich Diskriminierung. Wann und wo erfahren LGBTQIA+-Menschen sie in Luxemburg?
Diskriminierung geschieht oft unterbewusst und in verschiedenen Formen. Ein einfaches Beispiel: Toiletten in öffentlichen Gebäuden und vor allem in Schulen. Dort gibt es Sanitärbereiche für Mädchen und Jungs, aber keine „unisex“ Toiletten.
Wir befinden uns in Gesprächen mit dem Bildungs- und dem Ministerium für Infrastruktur und öffentliche Arbeiten. Beide Verwaltungen sind sich der Problematik bewusst und bemühen sich um eine entsprechende Lösung.
In Sachen „offizielle Akte/Bescheinigungen“ gibt es auch dringenden Nachholbedarf …
Zum Beispiel dann, wenn eine Person ihr Geschlecht verändert und sich für eine Stelle bewirbt. Die Menschen möchten dabei nicht durch ein früheres Schulzeugnis (in der Bewerbung als „trans*“, Anm. d. Red.) „geoutet“ werden. Die Behörden sind sich bewusst, dass eine Änderung in diesem Kontext notwendig ist.
Hierzu laufen auch Gespräche mit dem Bildungsministerium, dieses verweist jedoch an das Innen- und Justizministerium. Denn dort wird geregelt, unter welchen Bedingungen neue offizielle Bescheinigungen ausgestellt werden können.
Änderungen bei der Ausstellung offizieller Bescheinigungen sind also eher eine Formalität. Bei der Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare oder wenn in Familien mit gleichgeschlechtlichen Paaren Kinder geboren werden, sehen die Dinge deutlich anders aus …
In der Tat. Das einfachste Beispiel für diese Problematik ist folgendes: Zwei Frauen bekommen ein Kind. Die leibliche Mutter besitzt alle Rechte, die andere Mutter muss das Kind im Rahmen einer langwierigen Prozedur adoptieren. Angenommen der leiblichen Mutter passiert etwas, während sich die zweite Mutter im Adoptionsverfahren befindet, dann entstünde ein rechtliches Vakuum. Die zweite Mutter hätte in diesem Fall keine rechtliche Handhabe, sich legal um das Kind zu kümmern.
Elternschaft für gleichgeschlechtliche Paare: Eine Möglichkeit, Eltern zu werden, bietet die Leihmutterschaft im Ausland. Wie sieht hierbei die aktuelle Gesetzeslage in Luxemburg aus?
Dieser Fall betrifft meistens schwule Paare, die zum Beispiel auf eine Leihmutterschaft in Kanada zurückgreifen. Dort werden nur die künftigen Eltern per richterlichen Beschluss im Geburtsakt vermerkt – ganz fortschrittlich, einerseits zum Schutz der Eispenderin, andererseits auch um die Rechte der zukünftigen Eltern zu stärken. Die Leihmutter wird darin ebenfalls nicht erwähnt.
Wenn die Eltern anschließend nach Luxemburg zurückkommen, haben sie vor den zuständigen Ministerien und Gemeinden hier mit dieser Geburtsurkunde einen schweren Stand.
Im vergangenen Jahr gab es hierzulande einen konkreten Fall, wo ein Elternteil Luxemburger war und der andere Elternteil eine andere Nationalität besaß. Beide strebten die luxemburgische Staatsbürgerschaft für das Kind an. Dies war leider unmöglich umzusetzen, da Luxemburg die Geburtsbescheinigung aus Kanada zu diesem Zwecke nicht anerkannt hat.
Hier würde ein anderes Problem auftauchen: Falls der biologische Vater, der kein Luxemburger ist, versterben würde, dürfte sich der luxemburgische Vater zwar um das gemeinsame Kind kümmern, da in der Geburtsurkunde beide Väter vermerkt sind, jedoch würde das Kind nicht die Luxemburger Nationalität bekommen. Das Kind wäre schlimmstenfalls staatenlos.
Wie dringend ist der gesetzliche Handlungsbedarf für eine klare Regelung in solchen Fällen wie Adoption oder Leihmutterschaft bei gleichgeschlechtlichen Paaren?
Während Fälle – wie das Beispiel mit der Leihmutterschaft – relativ selten in Luxemburg sind, besteht in Sachen künstlicher Befruchtung mit anschließender Adoption dringender Handlungsbedarf. Hier sprechen wir etwa von bis zu zehn Fällen jährlich.
Die automatische Anerkennung der Elternschaft ist für uns eine wichtige Priorität. Für Paare, die gerade Eltern geworden sind, ist es wichtig, sich um das neue Familienmitglied zu kümmern. Dazu gehört auch, Elternurlaub zu nehmen. Wenn man aber genau zu diesem wichtigen Zeitpunkt noch ein mehrmonatiges Adoptionsverfahren durchlaufen muss und erst am Ende den Elternurlaub bekommt, verpasst man wichtige Momente aus dem Leben seines Kindes.
Nachdem wir Diskriminierungs- und Inklusions-Baustellen für die LGBTQIA+-Community thematisiert haben, lassen Sie uns nun über das Angebot von Rosa Lëtzebuerg sprechen, um genau diesen Problemen entgegenzuwirken. Wie gehen sie als Vereinigung gegen Diskriminierung vor?
Als offizieller Partner bieten wir seit diesem Schuljahr spezielle Weiterbildungskurse am „Institut de formation de l’éducation nationale“ (IFEN) für Lehrer an. Corona-bedingt haben sie bisher leider nicht stattgefunden. Ab dem kommenden Schuljahr sollten sie wieder starten.
Außerdem bieten wir Weiterbildungen und Workshops für Betriebe an, wie zuletzt bei der nationalen Fluggesellschaft Luxair, die eine Weiterbildung bei uns angefragt hatte. Als ein Ergebnis dieses Lehrgangs ist z.B. eine neutrale Formulierung entstanden, die alle Menschen an Bord willkommen heißt und nicht nur männliche und weibliche Gäste.
Im öffentlichen Bereich sind wir Mitglied im interministeriellen Rat für LGBTQIA+-Fragen, wo wir Gutachten zu Gesetzesprojekten abgeben und in Dialog mit Ministerien treten, um bestimmte Problematiken anzusprechen.
Die dritte Säule unseres Engagements bilden Kampagnen. Im vergangenen Jahr fand eine davon unter dem Motto „Stay at home“ statt. Damit wollten wir zu Beginn der Pandemie den Menschen queere Kultur näherbringen und sie so im Lockdown unterhalten.
Eine der Hauptaufgaben des Beratungszentrums Cigale ist es, Menschen bei ihrer Selbstfindung zu begleiten. Außerdem zielgenaue Weiterbildungen anzubieten, die den Selbstfindungsprozess im Mittelpunkt haben. Unter anderem Corona-bedingt war das Beratungszentrum im vergangenen Jahr nicht aktiv, sodass alle Anfragen um Unterstützung in diesem Bereich auf unsere Vereinigung zurückfielen.
Als nicht geschulte freiwillige Helfer – wir sind keine Erzieher oder Psychologen – haben wir mit vielen Menschen gesprochen und versucht, ihnen dort zu helfen, wo wir konnten. In diesem Zusammenhang haben wir einen Leitfaden ausgearbeitet, wonach wir erkennen, in welcher Situation sich der Mensch befindet, und ihn an die entsprechende Stelle weiterleiten können. Es war wichtig, Anfragen und Hilferufe nicht mit höflichen Floskeln abzuwimmeln.
Welche künftigen Kampagnen stehen jetzt an?
Wir arbeiten an einer neuen Sensibilisierungskampagne, die auf das Melden von Diskriminierung abzielt. Für Luxemburg gibt es diesbezüglich keine Zahlen. Wir wissen ebenfalls nicht, wie hoch die Zahl an Hassgewalt-Verbrechen an LGBTQIA*-Menschen ist.
Mit dieser Kampagne möchten wir die Menschen ermutigen, wenn sie Opfer von Diskriminierung geworden sind, sich beim „Centre pour l’égalité de traitement“ (CET) zu melden und sich dort Hilfe zu holen. Das Zentrum für Gleichbehandlung unterstützt die Opfer bei allen nötigen Schritten. Das Gleiche gilt für die Polizei in Fällen von Gewalt.
Betroffene sollten uns außerdem ansprechen, damit wir inoffiziell Zahlen erheben können, die uns helfen, unsere Kampagnen noch zielgerichteter zu gestalten und gleichzeitig handfeste Belege zu sammeln, um auf Probleme aufmerksam zu machen.
@Rasle bol. Genau so sieht die Realität aus. Aber in der schnelllebigen Zeit von heute, werden die Jungen eher älter und landen schneller auf dem Abstellgleis. Jeder hat das Recht so zu leben, wie er will, vorausgesetzt er schadet niemandem, daraus muss er aber nicht auch unbedingt eine Maxime machen. Anstand, Respekt und Toleranz sind leider bei so Manchen nicht mehr in.
@ Ras le bol : Mee di Jonk vun haut, hinn och wahrscheinlech eng Kei'er aal, an dann kennen se sech an de Spiggel kucken, watt se haut so'u verbockt hun !
Als alter Mensch ,Rentner fühle ich mich jeden Tag , bewusst oder unbewusst , im Alltag diskriminiert und keiner schert sich darum. Ob in den Geschäften, Öffentlichen Raum werden wir alten Menschen als senil, mit moderner Technik nicht mehr kompatibel, als Behinderung angesehen oder müssen uns nicht gerade freundliche Bemerkungen gefallen lassen. Herausragendes , markantes Beispiel solch Diskriminierung war wohl das Verhalten der Politik in dieser Corona - Zeit, ältere Menschen einfach weggesperrt , von der Jugend an den Pranger gestellt , da durch die Verletzlichkeit der alten Menschen diese wohl schuldig seien das Spass-,Feierleben eingeschränkt wurde.