„Heute würde ich mich anders entscheiden und nicht die drei Monate abwarten, bis ich von meiner Schwangerschaft erzähle“, sagt Corinne* im Gespräch mit dem Tageblatt. Ihre Fehlgeburt liegt sechs Jahre zurück. Sie hat das Kind erst spät in der 13. Woche verloren. Damals hat niemand davon gewusst – außer ihr damaliger Ehemann. Kurz nachdem die Schwangerschaft festgestellt wurde, gingen die beiden in den Urlaub. Danach stand beim Gynäkologen das erste große Screening an: Hier wurden jedoch keine Herztöne beim Fötus festgestellt. „Da hieß es noch, dass dies nichts bedeuten müsse. Ich solle nach drei Tagen noch mal vorbeikommen“, erzählt Corinne.
Doch dieser Kontrolltermin brachte das gleiche Ergebnis. Tests zeigten, dass die Schwangerschaftshormone nicht mehr anstiegen. „Diese ungewisse Situation war schwierig, doch ich habe in den Tagen versucht, weiter zu funktionieren“, erinnert sich Corinne. Da sich die Gebärmutter nicht auf natürliche Weise entleerte, wurden die Methoden der Ausschabung oder die Einnahme von Medikamenten besprochen. Corinne entschied sich für die Medikamente – doch auch da passierte einige Tage nichts, bis sie auf einmal extreme Krämpfe und Schüttelfrost bekam. Das war am 1. Mai, das weiß die 43-Jährige heute noch. Nach einem Anruf bei der gynäkologischen Notfallstation fuhr sie ins Krankenhaus. Dort musste eine Ausschabung vorgenommen werden. Eine Krankschreibung danach bekam sie nicht.
Die 43-Jährige empfand diese Zeit als emotional extrem belastend. Sie hatte keine Kraft, ihrem Umfeld von ihrer Fehlgeburt zu erzählen. Und doch hat sie sich einem kleinen Kreis mitgeteilt als klar war, dass keine Herztöne mehr vorhanden waren. „Ich habe die Überforderung der anderen gespürt, das hat mich im Endeffekt selbst noch mehr überfordert.“
Fragen, die bleiben
Ihr Ehemann hingegen hatte kein Bedürfnis, darüber zu reden. Er war auch ausschlaggebend dafür, die zwölf Wochen abzuwarten. Das sei nun mal eine Entscheidung, die zusammen getroffen werden müsse. „Dieses aus der Vorsicht heraus nichts zu sagen, hat mich doch sehr mitgenommen“, findet Corinne heute. Was lange blieb waren quälende Fragen und Schuldgefühle: Warum ist ausgerechnet ihr das passiert? Hätte sie besser nicht in Urlaub fahren und früher zur Untersuchung gehen sollen? Sie ist sich bewusst, dass sie keine Antwort darauf bekommt. Nach einigen Monaten ist Corinne bereit, offener darüber zu reden und war erstaunt darüber, wie viele Frauen Ähnliches berichten oder jemanden kennen, der eine Fehlgeburt durchgemacht hat. „Sobald darüber gesprochen wird, ist die Solidarität groß.“
Die ersten Schwangerschaftsmonate können körperlich sehr anstrengend sein. Nora ist zweifache Mutter und hatte mit starker Übelkeit zu kämpfen. Deswegen hat sie bereits früh von ihrer Neuigkeit berichtet. „Beim ersten Kind habe ich zuerst nur einer Freundin Bescheid gegeben. Ich wollte im Falle einer Fehlgeburt mit jemandem darüber reden können.“ Doch aufgrund ihrer Übelkeit hat sie um die zehnte Schwangerschaftswoche Familie und enge Freunde davon erzählt. Später, nach Ablauf der drei Monate, haben die restlichen Freunde und der Arbeitgeber davon erfahren. Bei der zweiten Schwangerschaft war es mit der Übelkeit nicht besser, sodass Familie, enge Freunde und die Arbeitsstelle in der sechsten Woche davon erfahren haben. „Wenn mir nicht so schlecht gewesen wäre, hätte ich es allerdings nur denjenigen sofort gesagt, mit denen ich auch über eine Fehlgeburt hätte Reden wollen“, erklärt Nora. Es sei nun einmal ein trauriges Thema.
Jede fünfte Schwangerschaft endet vorzeitig
Obwohl oft darüber geschwiegen wird, ist ein vorzeitiges Ende der Schwangerschaft keine Seltenheit: „Wir gehen davon aus, dass bei den Schwangerschaften, die klinisch nachweisbar sind, 15-20 Prozent vorzeitig enden“, erklärt Gynäkologin Dr. Nora Mores. Dazu bemerken viele Frauen gar nicht, dass sie schwanger sind, da ihr Zyklus unregelmäßig ist und der Abort schon sehr früh stattfindet. Für diese Frauen kommt die Menstruation dann einfach ein paar Tage später.
In 50-75 Prozent der Frühaborte, also einer Fehlgeburt vor der 14. Woche, sind Chromosomenstörungen die Ursache. Der Embryo oder Fötus war in dem Fall nicht überlebensfähig. Nach den ersten drei Monaten sinkt das Risiko für eine Fehlgeburt rapide.
Es gibt verschiedene Formen, wie Frauen mit ihrer Fehlgeburt konfrontiert werden: Entweder sie haben bereits Blutungen und gehen mit ihren Sorgen in die Arztpraxis. Ein durchgeführter Ultraschall bestätigt dann oft das, was die Frau bereits befürchtet hat. In dem anderen Fall können bei einer Routinekontrolle keine Herztöne mehr festgestellt werden. „Da wir hier in der Praxis zu dritt sind, schauen wir immer zu zweit auf die Bilder. Es ist wichtig für den Kopf der Patienten, dass zwei Ärzte das bestätigen.“
Die Gynäkologin redet anschließend mit den Betroffenen darüber, wie es weitergeht und ob die Patientin in dem Moment aufnahmefähig ist oder nicht. „Ich gebe den Betroffenen mit auf den Weg, dass die Natur das schon macht. Und vor allem, dass es nicht ihre Schuld ist“, so Mores weiter. Im Normalfall sei die nächste Schwangerschaft fast immer gänzlich unauffällig. Trotzdem ist die Enttäuschung da, wenn eine Fehlgeburt stattfindet. Die Gefühle der Frau schwanken zwischen dem rationalen Denken, dass die Natur nun einmal so ist, und dem emotionalen Empfinden des Verlustes.
Der Wunsch bleibt
Hebamme Danielle Federspiel-Haag und Psychologin Vanessa Matuszewski kommen bei ihrer Arbeit oft mit dem Thema Fehlgeburt in Berührung, doch sie haben auch ihre persönlichen Erfahrungen. „Sobald die Frau einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen hält, ist sie im Kopf schwanger“, sagt die Psychologin. Und doch dürfe nicht vergessen werden, dass ein Abort vorkommen kann, fügt die Hebamme hinzu. Sie sei noch sehr jung gewesen, als sie damit konfrontiert wurde, und damals war es das erste Mal, dass etwas nicht so geklappt hat, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Körperlich gesehen sei es nicht ohne. Die Schwangerschaftssymptome seien da und dann fange die Blutung auf einmal an. Der Wunsch nach dem Kind bleibe aber weiterhin bestehen, so die dreifache Mutter
Das Erlebte kann auch zu einer Zerreißprobe für das Paar werden. „Im Nachhinein finde ich, dass es für mich und meinen Mann gut war“, so Danielle Federspiel-Haag weiter. Man wachse an solchen Prüfungen oder nicht. Ihr Mann sei für sie eine Stütze gewesen, da er stets optimistisch geblieben sei. Bei Corinne und ihrem damaligen Ehemann ging es anders aus. Nach der Fehlgeburt scheiterte ihre Beziehung. „Es hat die Leichtigkeit aus unserem Zusammenleben genommen. Wir konnten es nicht mehr kitten.“ Sie fragt sich manchmal, ob eine weitere Schwangerschaft die Beziehung hätte retten können. Sie war damals nicht bereit dazu. In ihrer neuen Partnerschaft steht die Kinderfrage nicht mehr zur Debatte, auch aufgrund ihres Alters.
Denn auch das Alter spielt beim Thema Fehlgeburt eine Rolle. Nicht nur das Risiko dafür ist höher, sondern vielleicht auch der Druck größer. „Früher war es einfach die Natur. Heute wird oft nach einer Antwort und Lösung verlangt“, sagt Hebamme Danielle Federspiel-Haag. Das Medizinische wird in den Vordergrund gerückt. Wenn eine Frau mit 38 Jahren ein Kind bekommen wolle, laufe die Maschinerie sehr schnell an, mit allen medizinischen Möglichkeiten von heute. Dann wird geschaut, wessen Schuld es ist. Das erhöhe noch mal die Belastung auf die Paarbeziehung.
Einfach präsent sein
Die Hebamme versucht stets positiv zu bleiben. „Ich sage den Frauen, dass sie spontan schwanger geworden sind und ihr Körper also funktioniere.“ Dem hingegen begegnet sie auch vielen Frauen, die Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden.
Um den Betroffenen in den Momenten des Verlustes beizustehen, braucht jemand einfach nur da zu sein, erklärt die Psychologin Vanessa Matuszewski. Familie und Freunde müssten einfach nur als Stütze dienen. Der Körper reguliere sich selbst, wenn jemand da sei, an den sich die Betroffenen anlehnen können.
Um psychologisch mit dem Verlust fertigzuwerden, hat sich Corinne Literatur zu dem Thema gekauft und online darüber gelesen. Heute sagt sie, dass sie nicht fähig war, sich selbst Hilfe zu suchen. Sie hätte sich gewünscht, wenn im Krankenhaus mehr auf das Emotionale eingegangen worden wäre.
Irgendwann ging es ihr besser. Die Erinnerung an ihre Fehlgeburt bleibt mit Melancholie und Trauer verbunden. Viel später hat sie doch noch eine Erklärung bekommen, warum es möglicherweise zum Abort kam. Bei ihr wurde ein medizinisches Leiden festgestellt, das mit einem großen Risiko einhergeht, das Kind im ersten Drittel der Schwangerschaft zu verlieren.
„Wenn ich heute jemandem einen Rat geben müsste, dann würde ich sagen: rede darüber“, so Corinne abschließend. Es werde schließlich auch darüber geredet, wenn sich jemand den Fuß gebrochen hat. Diese ersten Monate seien sonst eine extrem lange Zeit, in der die Frau mit ihren Fragen, Freuden und Ängsten alleine fertig werden müsse.
*Name von der Redaktion geändert
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