„Der Saft ist der erste Rohstoff aus der Kakaofrucht, der frisch gewonnen wird. Alle anderen Produkte wie Schokolade sind aus getrockneten Kakaobohnen hergestellt“, erklärte Jeff Oberweis während einer Online-Präsentation einer neuen Patisserie-Linie aus dem Familienunternehmen am 5. März.
Die Bedeutung des Kakaosafts für die Patisserie vergleicht Jeff Oberweis mit der Entdeckung des Kakaos. Gewonnen wird die neue Zutat von einem kleinen Schweizer Start-up in enger Zusammenarbeit mit Bauern in Ghana. In Luxemburg nutzte sie Konditor Oberweis, um eine Produktlinie rund um den Kakaofruchtsaft zu entwickeln. Mit der „Koa’o“-Linie beschritt er neues Terrain. Im Zuge ihrer Entwicklung setzte sich Oberweis gründlich mit der veganen Ernährungsweise auseinander, erzählt er im Tageblatt-Interview, das wir pandemiekonform im März online führten.
Tageblatt: Herr Oberweis mit der Einführung der neuen Patisserie-Linie „Koa’o“ auf Basis von Kakaofruchtsaft wagten Sie gleichzeitig die Herausforderung der veganen Feinbäckerei. Welche Möglichkeiten eröffnete der Saft der Kakaofrucht für neue Konditoreikreationen?
Jeff Oberweis: Als Fachmann bin ich von dem Geschmack des Kakaofruchtsafts begeistert. Damit konnte ich mich identifizieren. Der Saft der Kakaofrucht lässt sich trocknen und daraus Zucker herstellen. Mein Bruder Tom macht Schokolade, die von der Bohne bis zum fertigen Produkt aus einer Hand kommt, angefangen beim Rösten der Kakaobohnen. Kakaozucker könnte den Kristallzucker in einem Teil unserer Schokoladenproduktion ersetzen. Würde das gelingen, würden wir die ganze Kakaofrucht in der Schokoladenproduktion verwenden können.
Welche Erwartungen haben Sie an die Kooperation mit dem Schweizer Start-up, das direkt mit den Kakaobauern in Ghana zusammenarbeitet?
Diese Zusammenarbeit bedeutet mir sehr viel. Ich hatte am Vorabend der Präsentation der neuen Linie Tränen in den Augen, als mir einer der Landwirte eine Nachricht schickte, sich für meinen Einsatz bedankte und mir viel Erfolg wünschte. Für mich spielte die Auswirkung des Projekts für die Menschen vor Ort eine wichtige Rolle: Der Lohn für die Produktion des Kakaofruchtsafts kommt ohne Umwege bei den Landwirten an.
Ganz zu schweigen von der Bedeutung des Produkts für die Lebensmittelbranche: Die Gewinnung des Kakaofruchtsafts kommt einer Entdeckung des Kakaos gleich.
Tatsächlich war der Geschmack der Kakaofrucht, den Sie Anfang März präsentierten, überraschend. Überraschung ist auch das Stichwort zu meiner nächsten Frage: Mitten in der Pandemie hat Oberweis eine Filiale in Trier eröffnet. Würden Sie den Schritt rückblickend als kaufmännische Weitsicht oder Wagnis bezeichnen?
Eigentlich hatten wir uns dazu vor der Pandemie entschieden. Mein Bruder Tom Oberweis ist Präsident der „Chambre des métiers“. Bei einem Spaziergang in Trier entdeckte er mitten am Hauptmarkt ein leerstehendes Lokal. Der Eigentümer, ein älterer Herr, der oberhalb des Geschäfts im selben Haus wohnt, hat sich über unser Interesse am Standort gefreut.
So entschieden wir uns, das Geschäft in Trier zu eröffnen, um zu schauen, wie die deutsche Kundschaft auf uns reagiert. Selbstverständlich hatten wir als Unternehmer Dinge wie Laufkundschaft, Miete, deutsche Gesetzgebung – auch beim Personal – in Betracht gezogen.
Gab es nach dem Start der Filiale in Trier Momente in der Pandemie, die Sie überraschten?
Ja, einer davon war, als plötzlich keine Touristen und auch keine Luxemburger – die zur Stammklientel der Geschäfte in Trier gehören – da waren. Nur die Trierer waren in der Stadt. Sodass wir beobachten konnten, welche unserer Erzeugnisse die Kunden aus Trier kauften.
Wofür entschieden sich die Trierer?
Zunächst kauften sie Patisserie, Schokolade und Makronen – Makronen waren der Renner –, die sie zum Teil aus Luxemburg kannten.
Womit wir nicht gerechnet hatten, ist, dass wir in Trier jetzt sehr viel Brot verkaufen. In den letzten Jahren haben wir uns in Sachen Brot deutlich verbessert. Wir backen Brot, das 36 Stunden reift, mit einer guten Kruste, die knusprig, aromatisch und geschmackvoll ist. Sie ist für mich das Qualitätsmerkmal eines guten Brotes. Die lange Reifezeit verleiht der Kruste einen Karamellgeschmack. Beim Backen kann sich die Hefe in der Kruste absetzen. Dadurch ist die Krume unter der Kruste abends auch noch frisch und weich, sodass sich das Brot zwei Tage hält.
Die lange Reifung von Hefeerzeugnissen ist ein Trend, der in den Bäckereien zurückkehrt. Mit der neuen Linie „Koa’o“ haben Sie einer weiteren Ernährungsphilosophie Raum gegeben. Wie entstand die Verbindung zwischen veganer Ernährung und Patisserie?
Ich vergleiche die Arbeit im Bereich „Vegan und Patisserie“ mit einem Elektroauto: Wenn man ein Elektroauto bauen möchte, haben viele Designer noch das Benzinauto im Kopf. Meiner Meinung nach macht ein traditioneller Feinbäcker, der jetzt vegan arbeitet, oft den Fehler, dass er versucht, Dinge zu ersetzen. Das sollte es nicht sein, man sollte das Traditionelle hierbei außen vor lassen.
Als wir mit meiner Nichte anfingen, für den Cake aus der neuen Linie zu experimentieren, haben wir alle Kuchen nachgebacken, die sie kannte. Herauskamen zehn Kuchen in einer Woche. Wir nahmen ihre Zutaten unter die Lupe: von der Mandel- bis zu Mehlsorte. Denn nicht jede Mandelsorte und nicht jedes Mehl eignen sich für die vegane Patisserie. Bei der Wahl der passenden Zutaten half mir das Fachwissen als Patissier weiter.
Gleichzeitig tauschen sich die Menschen über vegane Zutaten in den sozialen Medien aus, jedoch fehlt ihnen die vergleichende Recherche zu den Rohstoffen, die sie nutzen. Diese Recherche haben wir bei unserer kleinen veganen Studie gemacht und einiges ausprobiert. Bei veganen oder vegetarischen Gerichten werden oft im Restaurant nur die Beilagen serviert. Aber ein pflanzliches Gericht besteht aus weitaus mehr Zutaten – Stichwort „Fünf Säulen der veganen Ernährung“. Mithilfe meiner Nichte als Ernährungsfachfrau haben wir dieses Wissen genutzt und beispielsweise bei unseren Poké-Bowls (Gerichte in einer Schale, ursprünglich aus Hawaii, Anm. der Red.) einfließen lassen.
Aber wie passen vegane Ernährung und klassische Feinbäckerei zusammen?
Stressige Momente gab es schon. Die Patisserie ist meine „heilige Kuh“ (lacht). Die veganen Makronen gelangen mir recht schnell. Seit dem 4. März ist auch unser Müsli vegan.
Ich bin aber nicht der Einzige, bin kein Revolutionär, der jetzt das Vegane ausprobiert. Pierre Hermé beispielsweise, der bekannte französische Konditor aus Paris, der ebenfalls Mitglied von Relais Desserts International ist, hat zusammen mit der „Maison du Chocolat“ in Paris auch vegane Schokoladenkreationen erarbeitet.
Sie sagten, die Rohstoffe sind das Wichtigste und darüber muss man mehr wissen. Schmecken Zutaten wie Butter, Mehl, Milch und Mandeln nicht immer gleich?
Nein, im Gegenteil. Nehmen wir an, Sie haben sich bisher vegan ernährt und stellen Ihre Ernährung auf tierische Produkte um. Wenn Sie Butter, Milch oder auch Sahne kaufen, versichere ich Ihnen, dass nicht jede Butter, Milch oder Sahne gleich schmecken.
Auf diese Unterschiede bestehe ich auch in meinem Beruf. Nehmen wir Vanille als Beispiel. Ich arbeite mit einer Mischung aus drei Vanillesorten. Die meisten Menschen kennen die Bourbon-Vanille. Bourbon steht für eine Herkunftsangabe – für die Komoren, die Insel La Réunion und Madagaskar, ähnlich wie die Herkunftsbezeichnung bei Champagner.
Ich habe aber lange nach der richtigen Vanille gesucht und dabei Unregelmäßigkeiten bei der Produktion entdeckt. Sodass ich nur solche Sorten in meine Vanillemischung aufgenommen habe, mit denen ich ein stimmiges Produkt erhalten habe. So verfahre ich auch bei meinen anderen Rohstoffen: Es gibt ein Mehl für die Croissants, das Mehl für das Panettone kommt aus Italien, weil ich mit dem hiesigen Mehl keine guten Ergebnisse erzielt hatte.
Wir lernen Grundzutaten – ob vegan, vegetarisch oder traditionell – sind eine Wissenschaft für sich. Haben Sie Blut geleckt, Herr Oberweis, mit der veganen Konditorei und Ernährungsweise?
Ich habe sicher „Blut geleckt“. Weil wir damit auch Erfolg hatten. Beispiel: unsere vegane „Tarte ovale aux fruits rouges“, wofür ich einen süßen Teig ohne Eier und Milch herstellen musste. Seit dem 4. März haben wir auch eine vegane Apfeltarte. Und ich muss zugeben, die vegane schmeckt mir besser als die „Tarte semi-feuilletée aux pommes“, die ich seit 15 Jahren mache.
Das Konzept ist hier ein völlig anderes. Ideengeber war mein Neffe, der Chemie studiert hat und derzeit in Paris bei der bekannten Patissière Claire Damon arbeitet. Er brachte mir eine Apfeltarte von dort mit, ihr Geschmack ließ mich nicht los. Ich habe angefangen zu experimentieren – ich habe einen veganen Frangipane-Teig gemacht, dazu etwas Sojamehl, um die Feuchtigkeit zu binden. Dabei habe ich, die Prozent-Proportionen im Hinterkopf, mithilfe von Excel-Tabellen die richtige Mischung der Zutaten ausgerechnet.
Wollten Sie sich mit den veganen Produkten selbst beweisen, dass Sie mit der Zeit Schritt halten können?
Erstens muss man nicht stur sein und weiterprobieren, wenn etwas nicht klappt. Das mache ich nicht. Allerdings bin ich der Meinung, dass wir beim Thema vegan noch in den Kinderschuhen stecken und noch mehr zu erwarten ist. Ich bestehe aber darauf, dass auch Veganer, wie auch jeder andere Mensch, Neues probieren und schmecken. Es reicht nicht aus, nur Blogger zu sein und das Internet zu durchstöbern. Man muss den Mut haben, sich seine eigene Meinung zu bilden. Auch wenn man dann unterschiedlicher Meinung als andere ist.
Ich treibe viel Sport und nehme auch an sportlichen Wettbewerben teil. So verstehe ich auch meinen Beruf – als einen Wettbewerb. Als der Gründer des Schweizer Start-ups, das den Kakaofruchtsaft herstellt, sich in Deutschland nach Oberweis erkundigte, sagte man ihm über uns: „Oberweis ist wie Bayern München in der Champions League.“
Das ist die Botschaft, die ich mit meinem Team habe, auf Augenhöhe zusammen für höchste Standards zu arbeiten. Aber ich kann meine Leidenschaft keinem anderen vererben. Ich kann durch mein Verhalten ein Vorbild sein. Gleichzeitig brauche ich die Menschen um mich, um mich ins Team einzufügen.
Sind Sie ein ehrgeiziger Mensch, ein Perfektionist, Herr Oberweis?
Ja, das kann man so sagen.
Sie haben auch ein Buch über Perfektion geschrieben …
Das Buch „Eis. Perfektion aus Leidenschaft“, das 2020 herauskam. Der Titel passt gut zu mir, „Leidenschaft ist, was Leiden schafft“ (lacht).
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