Die einen gewinnen zuerst Liège-Bastogne-Liège und danach die Tour de France (Andy Schleck), andere wiederum schreiben ihren Namen zuerst ins Palmarès der Tour und steigen dann aufs Podium in Liège (Ferdy Kübler), und dann gibt es eine dritte Kategorie, die man sowohl den einen als auch den andern zuordnen kann. Ihr gehören die „Wiederholungstäter“ Eddy Merckx und Bernard Hinault an, die sich mit nur einem Erfolg bei Liège-Bastogne-Liège und der Tour nicht zufriedengaben.
Tadej Pogacar, der gestrige Sieger, gehört zu denjenigen, die ganz jung die Tour de France gewannen und danach Liège-Bastogne-Liège. Nie zuvor gab es einen Laureaten, der im Abstand von nur sieben Monaten beide Rennen als Erster beendete. Wegen Covid-19 war die Tour 2020 bekanntlich um zwei Monate verlegt worden, sie endete erst am 20. September. Wäre ihm das Glück hold gewesen, hätte Pogacar eventuell schon zwei Wochen danach (4. Oktober) in Liège gekrönt werden können. Weltmeister Julian Alaphilippes Schlenker aber fälschte damals den Sprint, Pogacar musste mit dem dritten Rang Vorlieb nehmen.
Revanche
Gestern nahm der Tour-Sieger Revanche, nicht nur für das Missgeschick vom Herbst 2020, sondern auch für die im Nachhinein fragwürdige Entscheidung, ihn und seinen Schweizer Kollegen Marc Hirschi nicht bei der „Flèche Wallonne“ starten zu lassen. Zwei sogenannte „falsch positive“ Covid-Tests von Mannschaftsgefährte Diego Ulissi und Teammanager Mauro Gianetti („Liège“-Gewinner 1995) gaben den Ausschlag für diesen Beschluss.
Pogacars Antwort auf die „Schmach“ folgte vier Tage später auf der Zielgeraden am „Quai des Ardennes“ in der „Cité Ardente qui ne dort jamais …“. Der vierfache „Liège“-Sieger Alejandro Valverde führte die Spitzengruppe an, die sich in der „Côte de la Roche-aux-Faucons“ nach wiederholten Angriffen des Kanadiers Michael Woods gebildet hatte. Hinter den beiden lauerten die Franzosen David Gaudu und Julian Alaphilippe sowie an fünfter Position Tadej Pogacar.
Weil niemand hinter ihm die Initiative ergriff, blieb Valverde keine andere Wahl, als den Sprint anzuziehen. Damit rannte er an seinem 41. Geburtstag, der eigentlich ein Festtag werden sollte, ins „Verderben“. Weltmeister Alaphilippe reagierte am schnellsten, er preschte an Gaudu, Woods und Valverde vorbei, zog aber Pogacar mit sich. Der Slowene profitierte vom „Windschatten“ des Franzosen, wartete genau den richtigen Moment ab, um nach rechts auszuscheren, und überspurtete ihn. Der Sieg war unanfechtbar, im Ziel lag Pogacar eine dreiviertel Radlänge vor Alaphilippe.
Der Sohn einer Französisch-Professorin gewann Liège-Bastogne-Liège bei seinem dritten Versuch. Vor zwei Jahren klassierte er sich als 18., letztes Jahr musste er sich nach dem tumultartigen Sprint mit dem dritten Rang begnügen. „Ich bin so glücklich, dass ich hier gewonnen habe“, meinte der Slowene. „Ich wusste, dass man Alaphilippe schlagen müsste, um ganz oben aufs Treppchen zu steigen. Darum habe ich mich an sein Hinterrad geheftet, als die Entscheidung sich anbahnte. Ich war bestens vorbereitet, aber furchtbar enttäuscht, dass ich bei der ‚Flèche‘ nicht starten durfte. Jetzt geht es erst mal nach Hause zur Familie, dann wird die Frankreich-Rundfahrt vorbereitet.“
Letztes Jahr gewann Pogacar nicht nur das Schlussklassement der Tour („Maillot jaune“), sondern auch die Wertungen des besten Jungfahrers („Maillot blanc“) und des besten Bergfahrers („Maillot à pois“). Diese Saison trug der Emirates-Leader bereits die UAE-Tour und die Etappenfahrt Tirreno-Adriatico davon. Er ist mit 22 Jahren (geb. am 21.9.1998 in Komenda) einer der jüngsten Laureaten des Radsport-„Monuments“.
Mit seinem Erfolg bescherte er seinem Land, der „Republika Slovenija“ und ihren zwei Millionen Einwohnern, den zweiten Sieg hintereinander bei Liège-Bastogne-Liège. Letztes Jahr hatte sich Primoz Roglic durchgesetzt.
Schlaumeier
Für Julian Alaphilippe reichte es also einmal mehr nicht zum Erfolg. Wie im Jahr 2015 musste er sich mit dem zweiten Platz zufriedengeben. „Tadej war schlauer als ich“, meinte er, „er hat die richtige Taktik gewählt und den Sprint nach Meisterart geführt. Deshalb spreche ich ihm meinen Glückwunsch aus. Immerhin bin ich hinter ihm als Zweiter auf dem Podium, das ist doch gar nicht so schlecht. Ein Sieg bei Liège-Bastogne-Liège aber bleibt eines meiner Zukunftsziele.“
Neben Julian Alaphilippe stieg mit David Gaudu (3.) ein zweiter Franzose aufs Podium. Das hatte es seit 1953 nicht mehr gegeben. Damals klassierten sich hinter dem Belgier Alois Den Hertog die Franzosen Maurice Diot (2.) und Raoul Rémy (3.) auf den Ehrenplätzen.
Von den beiden Luxemburgern, die gestern am Start waren, schnitt Luc Wirtgen (Bingoal) am besten ab. Er erreichte das Ziel auf Platz 46. mit 3’06“ Rückstand. In dem 42 Mann starken Hauptpeloton befand sich auch Greg Van Avermaet (Rang 40), der gestern sein 50. „Monument“ bestritt. Michel Ries klassierte sich auf Rang 130 mit 12‘13“ Verspätung.
Einige schöne Erinnerungen zum Schluss. Zehn Jahre ist es her, dass Andy und Frank Schleck gemeinsam auf dem Podium von Liège-Bastogne-Liège standen. Beide bogen am 24. April 2011 mit Philippe Gilbert in die Zielgerade in Ans ein (wo damals die Ankunft war), doch hatten sie im Sprint gegen den Belgier keine Chance. Gilbert siegte problemlos vor Frank (2.) und Andy (3.). Frank Schleck war übrigens auch zweimal Dritter von Liège-Bastogne-Liège: 2007 (Sieger Danilo Di Luca) und 2008 (Sieger Alejandro Valverde). Andy Schleck gewann das Rennen im Jahr 2009. Zwei weitere Luxemburger standen im Laufe der 129-jährigen Geschichte des Radsport-„Monuments“ ganz oben auf dem Podium: Marcel Ernzer (1954) und Bob Jungels (2018).
Ergebnis
107. Liège-Bastogne-Liège (259,1 Kilometer):
1. Tadej Pogacar (SLO/UAE) in 6:39:26 Stunden
2. Julian Alaphilippe (F/Deceuninck)
3. David Gaudu (F/FDJ)
4. Alejandro Valverde (E/Movistar)
5. Michael Woods (CAN/Israel) alle gleiche Zeit
6. Marc Hirschi (CH/UAE) +0:07 Minuten zurück
7. Tiesj Benoot (B/DSM) +0:07
8. Bauke Mollema (NL/Trek) +0:07
9. Maximilian Schachmann (D/Bora) +0:09
10. Matej Mohoric (SLO/Bahrain) +0:09
… 46. Luc Wirtgen (LUX/Bingoal) +3:06
… 129. Michel Ries (LUX/Trek) +12:13
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