Das Stoffabzeichen gibt es nicht mehr. Nur noch ein virtuelles Badge auf Strava, dem populärsten sozialen Netzwerk für sportliche Aktivitäten. Wer am Festive500 teilnehmen will, der muss Mitglied bei Strava sein. 2019 hatten sich 120.000 Radsportler angemeldet, 30.000 schafften die 500 Kilometer. 2020 dürften es wesentlich mehr gewesen sein, denn erstmals zählten auch Indoor-Kilometer aus dem Rollentraining via die Plattform Zwift. Für Festival500-Puristen freilich keine echte Alternative. Denn es gehört zum Reiz, dass neben der nicht unerheblichen Distanz vor allem die winterlichen Witterungsbedingungen zentrale Herausforderung der acht Tage im Sattel sind, sofern man denn in unseren Breitengraden lebt.
Bereits einige Tage vor Beginn des Festive500 deutete sich an, dass das Kilometersammeln nicht sonderlich spaßig werden würde. Zwischen Heiligabend und Silvester war Schmuddelwetter angekündigt, Tag für Tag sollte es ein klein wenig schlimmer werden. Temperaturen rund um den Gefrierpunkt und sogar Schneefall waren vorausgesagt, sodass die Taktik sich quasi von selbst ergab: an den ersten drei Tagen so viele Kilometer wie möglich sammeln. Das Problem dabei kann auf eine Frage reduziert werden: Ist der Festtagsschmaus am 24. und 25. Dezember mit sportlichen Ausdauerleistungen vereinbar?
Auf dem Rennrad gegen die Festtagskalorien ist eine nette Umschreibung des Festive500. In der Tat, laut Strava verbrannte ich bei den sieben Ausfahrten insgesamt 9.418 Kilokalorien. Das entspricht dem Energiebedarf von vier Tagen. Doch wen interessiert an Festtagen schon der durchschnittliche Energiebedarf?
Fondue und Bûche, Crémant und Rotwein des Heiligabends lagen also schwer im Magen, als am 25. die zweite Ausfahrt auf dem Programm stand. Zum üblichen Proviant kam Bullrich-Salz hinzu. Es reicht, wenn die Beine brennen. Unausgeschlafen, denn die Tage sind kurz und die Startzeit dementsprechend früh, ging es bei gefühlten Minusgraden auf das Rennrad. Da dauert es auch nicht lange, bis der Kopf wieder klar ist …
Weil Weihnachten in diesem Jahr Corona-bedingt nur im engsten Familienkreis gefeiert wurde, war das Zeitmanagement kein größeres Problem. Die insgesamt fast 21 Stunden im Sattel können dem in Weihnachtszeiten mitunter doch ein wenig strapazierten Familienfrieden durchaus förderlich sein. Nicht ganz unwichtig im Jahr 2020, in dem Lockdown und Homeoffice zu einem Zusammenrücken führten. Also hatten meine Leute zwischen den Feiertagen so manche wohlverdiente Auszeit von mir. Wobei unser 14-jähriges Teenagergirl nicht allzu viel von meiner Abwesenheit bemerkte. Denn an vielen Tagen kehrte ich halberfroren von meiner Ausfahrt zurück, während sie gerade erst ihr warmes Bett verlassen hatte …
Geteiltes Leid, halbes Leid
Der sicherste Weg, das Festive500 zu schaffen, ist, es gemeinsam mit Freunden in Angriff zu nehmen. Wir waren zu viert: Christophe, Matthieu, Mich. und ich. Der Plan war, jeden Tag bei jemand anders zu starten. Und die Sache nicht zu schnell anzugehen. Will heißen, neben einem flachen Streckenprofil sollte auch das Tempo niedrig gehalten werden. Das klappte am 24. Dezember ganz gut. Wir starteten mit etwas Verspätung, da ich noch das Fondue-Fleisch für den Abend abholen musste. Trotzdem standen zum Schluss 92 Kilometer auf dem Radcomputer. Ein guter Auftakt mit relativ wenig Regen auf einer wunderbaren Strecke entlang der Sauer und durch das Müllerthal. Abends dann das erste Festessen.
Verdaut wurde am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertags rund um Esch. Über Nacht war es richtig kalt geworden. Zwei Paar Socken brauchte es in den Winter-Radschuhen. Und Wärmepads, um die Zehen am Leben zu erhalten. Nach den 77 km jubilierte Strava: „Herzlichen Glückwunsch, sie haben über 20% des Challenge geschafft.“ Das klingt wie Hohn und ist der Moment, an dem man ernsthaft ans Aufhören denkt. Am Abend dann Festessen Nummer zwei. Zumindest teilweise sportlergerecht. Austern sind proteinreich und enthalten 59 Spurenelemente, 10 Aminosäuren und Omega-3-Fettsäuren …
Trotzdem wurde der dritte Tag eine ziemliche Quälerei. Die ersten beiden, für diese Jahreszeit doch langen Fahrten hatten ihre Spuren hinterlassen, die Beine verlangten eine Auszeit, Kopf und Leber sowieso. Eine Pause war aber nicht drin, zumal sich für den Folgetag ein Sturmtief mit Schnee und Windböen bis zu 80 km/h angekündigt hatte. Unmögliche Bedingen für eine Radfahrt, also mussten am 26. noch einmal so viele Kilometer wie möglich gesammelt werden. Wegen der an diesem Tag in Kraft getretenen neuen Corona-Regeln ging das nicht mehr kräftesparend in der Gruppe, sondern nur noch zu zweit. Flaxweiler – Mertert – Remich und wieder zurück. Rund 90 Kilometer bei Temperaturen abermals rund um den Gefrierpunkt. Bereits nach wenigen Kilometern „brannten“ die Beine. Am Abend kein Festessen mehr, noch während des „Tatort“ gingen meine Lichter auf dem Sofa aus. Immerhin, nach drei von acht Tagen war mit 260 km über die Hälfte der Distanz geschafft, der benötigte Tagesschnitt von 62,5 km weit überschritten.
Sturmtag wird zum Ruhetag
Der Sturmtag mit Schnee am 27. war also Ruhetag. Doch dann kam Tag 5 mit einer Mischung aus Dauer- und Schneeregen. Leidensgenosse Christophe hatte sich gegen eine familiäre Krise entschieden und war mit Sack und Pack (und vor der Challenge) in die Alpen geflüchtet. Es ging alleine los und trotz Regenausstattung war ich nach 60 Minuten von Kopf bis Fuß durchnässt. Problem bei Regen ist auch die schlechte Sicht und die Rutschgefahr bei Abfahrten und in Kurven. Da macht das Radeln definitiv keinen Spaß mehr, doch immerhin standen am Ende des Tages 66 km zu Buche.
Ungefähr ebenso viele waren es am 29. Dezember. Zwar noch immer nasskalt, aber in Begleitung von Mich. führte die Tour über Bettemburg, Roeser, Hesperingen, Kockelscheuer, Cessingen, Leudelingen, Roedgen und Reckingen zurück Richtung Esch. Die recht harmlosen Hügel nach Roedgen, Reckingen und Limpach fühlten sich in den Ober- und Unterschenkeln an wie der Mont Ventoux. Egal, am Ende des Tages fehlten nur noch knapp über 100 km. Um an Silvester nicht komplett in den Seilen zu hängen, sollte der Großteil der restlichen Strecke am 30. absolviert werden. Dabei half mir mein „Velo buddy“ Gerry. Und zwar nicht nur auf dem Rad, als er mich auf der schönen Runde von Weiler in Richtung Mosel begleitete. Sondern auch als Lieferdienst für meine Radschuhe, die ich nach der Tour bei ihm vergessen hatte. Für meine Füße ist eine Fahrt bei Temperaturen unter 10°C ohne Winter-Rennradschuhe quasi unmöglich. Auch wenn die Tour lediglich 34 km lang ist.
Er hätte sich das Liefern freilich sparen können, denn in der Nacht zum 31.12. hatte es geschneit. Unmöglich, wie bisher mit dem Rennrad rauszufahren. Also Plan B: Die verbleibenden 34 km mit dem Mountainbike auf den Rad- und Feldwegen rund um Esch abspulen. Und dazu braucht es MTB-Schuhe. Mich. und ich machten ein letztes Mal gemeinsame Sache. Das waren 37 gut gelaunte Kilometer. Vorsichtshalber drei mehr als nötig, denn sicher ist sicher.
Und so standen zum Schluss 503 Kilometer zu Buche. Ultracyclist Ralph Diseviscourt hätte dafür zwischen 12 und 13 Stunden gebraucht. Wir sieben Tage. Auf Strava gab es wie versprochen ein virtuelles Abzeichen als Lohn. Abgenommen habe ich im Übrigen zwischen dem 24. und 31. Dezember kein Gramm, zugenommen aber auch nicht. Ist doch auch was. An Silvester gab es Raclette. Und um Mitternacht Champagner, auf einen versöhnlichen Abschluss eines gebrauchten Jahres 2020!
Die Etappen
- Tag 1 (24.12.): Flaxweiler – Mertert – Echternach – Müllerthal – Junglinster – Sennigerberg – Mensdorf – Flaxweiler. 92,4 km in 3h33 (26,0 km/h). 697 Höhenmeter. 7°C (Real Feel 4°C), 93% Luftfeuchtigkeit.
- Tag 2 (25.12.): Esch – Kayl – Düdelingen – Volmerange-les-Mines – Bettemburg – Leudelingen – Steinbrücken – Limpach – Bascharage – Petingen – Niederkorn – Differdingen – Beles – Esch. 77,4 km in 3h08 (24,7 km/h). 828 Höhenmeter. 2°C (Real Feel -3°C), 97% Luftfeuchtigkeit.
- Tag 3 (26.12.): Flaxweiler – Wecker – Mertert – Remich – Bech-Kleinmacher – Remich – Mertert – Wecker – Flaxweiler. 90,1 km in 3h26 (26,3 km/h). 399 Höhenmeter. 1°C (Real Feel -3°C), 98% Luftfeuchtigkeit.
- Ruhetag (27.12.)
- Tag 5 (28.12.): Esch – Limpach – Schouweiler – Kahler – Steinfort – Kleinbettingen – Küntzig – Bascharage – Sanem – Ehleringen – Monnerich – Esch. 66,1 km in 2h44 (24,2 km/h). 626 Höhenmeter. 2°C (Real Feel -1°C), 94% Luftfeuchtigkeit.
- Tag 6 (29.12.): Esch – Monnerich – Dippach – Steinbrücken – Leudelingen – Bettemburg – Roeser – Hesperingen – Kockelscheuer – Cessingen – Roedgen – Reckingen – Limpach – Sanem – Ehleringen – Esch. 67,9 km in 2h36 (26,2 km/h). 582 Höhenmeter. 1°C (Real Feel -4°C), 94% Luftfeuchtigkeit.
- Tag 7 (30.12.): Weiler-zum-Turm – Syren – Moutfort – Beyren – Ehnen – Remich – Wintringen – Mondorf – Hellingen – Roeser – Weiler-zum-Turm. 72,2 km in 2h53 (24,9 km/h). 675 Höhenmeter. 3°C (Real Feel 0°C), 95% Luftfeuchtigkeit.
- Tag 8 (31.12.): Esch – PC6 Ehleringen – Sanem – Bascharage – Linger – Schack – Bascharage – Sanem – Limpach – Monnerich – Ehleringen – Esch. 37,3 km in 1h46 (21,0 km/h). 359 Höhenmeter. 1°C (Real Feel -4°C), 100% Luftfeuchtigkeit.
All Respekt! Besonnesch och nach bei dem Wieder.
Chapeau!
Hier im Éislek gingen mit 5 Tagen Dienst unter den diesjährigen Umständen nur 105km. An mehr, oder gar an #InOneGo war nicht zu denken. Aber es sind ja inzwischen weniger als 50 Wochen, die nächste Festive500 ist also nicht mehr fern.