Zweieinhalb Jahre nach seinem Sieg kehrt Bob Jungels zu Liège-Bastogne-Liège zurück. Diesmal allerdings nicht mit dem Ziel, den Klassiker zu gewinnen, sondern mit der Aufgabe, seinem Kollegen Julian Alaphilippe auf das oberste Treppchen des Podiums zu verhelfen.
Viermal schon war Alaphilippe beim Radsport-Monument in den belgischen Ardennen am Start. Nie reichte es zum Sieg. Bei seinem Debüt im Jahr 2015 klassierte er sich hinter dem Spanier Alejandro Valverde auf dem zweiten Platz. Danach ging es im Zickzack weiter: 23. im Jahr 2016, Platz 4 bei Bob Jungels’ Sieg und schließlich ein 16. Rang im Frühjahr 2019.
Sollte dieser Rhythmus beibehalten werden, wäre morgen wieder ein Platz ganz vorne an der Reihe. Und warum nicht gleich der erste Rang? Julian Alaphilippe, der am letzten Sonntag auf dem Rundkurs von Imola mit einer spektakulären Darbietung Weltmeister wurde, peilt in Lüttich den Sieg an.
Wie in Imola?
Weil er dem Regenbogentrikot Ehre erweisen will, verzichtete er im Laufe der Woche auf eine Titelverteidigung bei der Flèche Wallonne und konzentriert sich ausschließlich auf die morgige Aufgabe. In der Endphase des Rennens wird er ähnliche Bedingungen vorfinden wie in Imola. Dazu bedarf es einer Erklärung.
Wenn Liège-Bastogne-Liège einen Schönheitsfehler hatte, dann war es die Zielankunft. Die schreckliche Avenue Jean-Jaurès von Ans mit ihrem Supermarkt nahe der Autobahn, wo der Sieger 27 Jahre lang gefeiert wurde, ist seit 2019 endlich aus dem Streckenheft der ältesten „Classique“ der Radsportgeschichte verschwunden. Und das ist gut so, denn vom ästhetischen Standpunkt her gesehen war dieser Schandfleck eines derart hoch geschätzten Rennens wie Liège-Bastogne-Liège nicht würdig. Das liebe Geld hatte die Ankunft der „Doyenne“ während fast drei Jahrzehnten nach Ans verfrachtet, ehe ASO-Radsportdirektor Christian Prudhomme sie im Frühjahr 2019 mithilfe der Politik wieder zurück ins Herz der Stadt holte.
Laut Vertrag liegt das Ziel vorerst bis 2023 am Boulevard d’Avroy neben dem Park gleichen Namens. Die Linie befindet sich genau gegenüber dem Monument von Karl dem Großen. Die letzte Gerade ist mit 600 m verhältnismäßig lang. Die Fahrer erreichen sie nach einer schnellen Abfahrt am Eingang von Liège und der Überquerung der Maas am Quai Gloesener.
Durch die Verlegung der Ankunft von Ans nach Liège mussten die Veranstalter die Endphase des Rennens im letzten Jahr grundlegend ändern. Letzte Schwierigkeit ist die Côte de la Roche-aux-Faucons, wo Andy Schleck vor elf Jahren resolut angriff, den vor ihm liegenden Philippe Gilbert einfing und stehen ließ, um bis ins Ziel nicht mehr wiedergesehen zu werden.
Ohne Valverde
Morgen bleiben vom Scheitel der „Roche“ noch genau 15 km bis zum Ziel. Die Bedingungen sind ungefähr dieselben wie bei der WM in Imola. Die Fahrt geht durch die kleinen Lütticher Vororte Avister (Esneux) und Boncelles (Seraing) hinunter Richtung Maas. Es ist demnach mit einem spannenden Finale zu rechnen. Wer einen Sprint vermeiden will, muss angreifen. Das tat Vorjahressieger Jakob Fuglsang (ab heute im Giro) vor 18 Monaten im geeigneten Moment.
Auf den letzten 100 km bietet sich den Wagemutigen ein geeignetes Terrain. Nach der „Trilogie“ Wanne – Stockeu – Haute Levée, dem Col du Rosier und dem Col du Maquisard folgt als Dessert der Dreiteiler Redoute – Forges – Roche-aux-Faucons.
Die Streckenführung müsste Julian Alaphilippe eigentlich liegen. Morgen geht er mit einem neuen Fahrrad (Modell S-Works von Specialized) an den Start, das die Farben der Regenbogenstreifen im Weltmeistertrikot (blau, rot, schwarz, gelb, grün) trägt.
Am meisten muss sich der Franzose wohl in Acht nehmen vor dem jungen Sieger der Flèche Wallonne, Marc Hirschi (letztes Jahr Platz 51), dem Kanadier Michael Woods (schon dreimal in den Top Ten bei L-B-L), dem Tour-de-France-Gewinner Tadej Pogacar (18. im Jahr 2019) und dessen Tour-Vize Primoz Roglic, der Liège-Bastogne-Liège zum ersten Mal bestreitet.
Nicht am Start ist überraschenderweise der viermalige Sieger Alejandro Valverde, der sich auf die Vuelta (20.10. – 8.11.) konzentriert. Dafür schickt das Team Movistar den routinierten Carlos Verona mit einer jungen Begleittruppe nach Lüttich.
Für Bob Jungels, den Sieger von 2018, ist es die vierte Teilnahme. Vor seinem Erfolg belegte er die Plätze 62 (2014) und 82 (2015). Morgen könnte er eine interessante Rolle spielen und eventuell sogar von der strengen Bewachung Alaphilippes profitieren.
Die zwei anderen Luxemburger Teilnehmer an der „Doyenne“ sind Alex Kirsch (28) und Michel Ries (22). Für Ries ist Liège-Bastogne-Liège „Neuland“. Kirsch war bisher einmal am Start (2015), er beendete das Rennen aber nicht. Beide Luxemburger müssen morgen im Trek-Segafredo-Team Helferdienste für ihren australischen Kapitän Richie Porte leisten. Mit dem Letten Toms Skujins und Ex-Weltmeister Mads Pedersen hat Trek zwei weitere heiße Eisen im Feuer.
Liège-Bastogne-Liège – Fakten 2020
* 106. Liège-Bastogne-Liège. Gründungsjahr 1892. Mehrere Male unterbrochen. Ursprünglich für den 26. April vorgesehen. Wegen Covid-19 auf den 4. Oktober verlegt.
* 257 km mit 11 Bergpreiswertungen: km 76 Côte de la Roche-en-Ardenne (1); km 123,5 Côte de Saint-Roch (2); km 164 Côte de Mont-le-Soie (3); km 172 Côte de Wanne (4); km 179 Col de Stockeu/Stèle Eddy Merckx (5); km 184,5 Côte de la Haute-Levée (6); km 197,5 Col du Rosier (7); km 210 Col du Maquisard (8); km 222 Côte de la Redoute (9); km 233,5 Côte des Forges (10); km 243,5 Côte de La Roche-aux-Faucons (11).
* Provisorischer Start am Sonntag um 10.10 Uhr auf der „Place St-Lambert“ in Liège, definitiver Start um 10.25 Uhr im Ausgang von Liège auf der N30.
* Wendepunkt in Bastogne bei km 100,5 (gegen 12.55 Uhr).
* Ankunft zwischen 16.30 und 17.10 Uhr auf dem Boulevard d’Avroy in Liège.
* 25 Mannschaften mit je 7 Fahrern am Start: Ag2r La Mondiale (Fra); Alpecin-Fenix (Bel); Astana Pro Team (Kaz); Bahrain McLaren Team (Brn); Bingoal WB (Bel); Bora Hansgrohe (Ger); CCC Team (Pol); Circus-Wanty Gobert (Bel); Cofidis (Fra); Deceuninck – Quick-Step (BEL); EF Pro Cycling (USA); Groupama FDJ (FRA); Israel Start up Nation (Isr); Lotto Soudal (Bel); Movistar Team (Esp); Michelton Scott (Aus); NTT Pro Cycling Team (RSA); Team Jumbo Visma (Ned); Team Ineos-Grenadiers (Gbr); Team Sunweb (Ger), Trek-Segafredo (USA); UAE Team Emirates (UAE); Total Direct Energie (Fra); Team Arkea-Samsic (Fra); Sport Vlaanderen Bâloise (Bel).
* Mannschaftsvorstellung am Samstag zwischen 14.30 und 16.30 Uhr vor dem „Palais des Princes Evêques“ in Liège.
* Drei Luxemburger Fahrer morgen am Start: Bob Jungels (Deceuninck), Alex Kirsch und Michel Ries (beide Trek Segafredo)
* Offizielle Startliste erst am Samstag um 18.00 Uhr nach der Sitzung der Sportdirektoren.
* Preisgeld: Insgesamt 50.000 Euro. Der Sieger erhält 20.000, der Zweite 10.000 und der Dritte 5.000 Euro. Für den 20. gibt’s noch 500 Euro.
* Sieger der letzten Jahre: 1999: Frank Vandenbroucke (Bel); 2000: Paolo Bettini (Ita); 2001: Oscar Camenzind (Sui); 2002: Paolo Bettini (Ita); 2003: Tyler Hamilton (USA); 2004: Davide Rebellin (Ita); 2005: Alexander Vinokourov (Kaz); 2006: Alejandro Valverde (Esp); 2007: Danilo Di Luca (Ita); 2008: Alejandro Valverde (Esp); 2009: Andy Schleck (Lux); 2010: Alexander Vinokourov (Kaz); 2011: Philippe Gilbert (Bel); 2012: Maxim Iglinskiy (Kaz); 2013: Daniel Martin (Irl); 2014: Simon Gerrans (Aus); 2015: Alejandro Valverde (Esp); 2016: Wouter Poels (Ned); 2017: Alejandro Valverde (Esp); 2018: Bob Jungels (Lux); 2019: 1. Jakob Fuglsang (Dan), 2. Davide Formolo (Ita) auf 27“, 3. Maximilian Schachmann (Ger) auf 57“.
* Rekordsieger: Eddy Merckx/Bel (5) vor Moreno Argentin/Ita (4), Alejandro Valverde/Esp (4), Fred De Bruyne/Bel (3), Léon Houa/Bel (3) und Alphonse Schepers/Bel (3).
* Drei Luxemburger Erfolge: 1954: Marcel Ernzer, 2009: Andy Schleck, 2018: Bob Jungels.
* Wetter: heiter bis wolkig, 10 Grad morgens beim Start, 13 Grad nachmittags im Ziel. Luftfeuchtigkeit: 83%, Niederschlagsrisiko: 40%.
* Direkte Fernsehübertragung bei RTL Télé Lëtzebuerg (14.30), LaUne (13.35), Eurosport 2 (13.00 / Konferenzschaltung mit dem Giro) und France 3 (13.35). (P.L.)
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