Was haben James Bond und Prinzessin Diana gemeinsam? Wie gut ist der Champagner an der Tankstelle und ist es überhaupt noch moralisch vertretbar, in einer Welt von Hungersnot und Flüchtlingskrise Champagner zu schlürfen? Daisy Schengen fragte bei der Nummer zwei des französischen Traditionshauses „Champagne Bollinger“ nach.
In Karl-Frédéric Reuters Brust schlagen zwei Herzen: das des Agronomen und Önologen und das des Managers. „Ich habe nie Marketing und Verkauf studiert. Aber jetzt bin ich für ungefähr die Hälfte von Bollinger verantwortlich“, schickt der Export Area Manager beim traditionellen Champagner-Hersteller unserem Gespräch voraus und wirkt so, als sei er noch immer über seinen Aufstieg verwundert.
Der Sohn eines Deutschen und einer Französin begann erst vor zehn Jahren seine Vita im weltbekannten Weinanbaugebiet seiner Heimat. Vor sieben Jahren kam er zu „Champagne Bollinger“ nach Aÿ. Dort ist er verantwortlich für „40 Länder inklusive Großbritannien, aber auch Luxemburg, der Schweiz sowie der Märkte in Osteuropa und Südamerika“.
Caves Gales, Importeur für das Großherzogtum, lud Mitte Juli zum „Grand Dîner“ ein, um „La Grande Année 2008“ des französischen Champagner-Herstellers in Luxemburg gebührend zu feiern. Karl-Frédéric Reuter und Isabelle Gales führten Gäste aus Politik und Gesellschaft fachkundig durch die Geschichte der Champagnerherstellung und die besonderen Eigenschaften des Jahrgangs 2008.
Tageblatt: Herr Reuter, Sie sind heute Abend hier, um den Jahrgang 2008 als den „Großen Jahrgang 2008“ zu präsentieren. Was ist so außergewöhnlich daran?
Karl-Frédéric Reuter: In der Champagne gilt der 2008 als Spitzenjahrgang. „La Grande Année“ heißt so, weil solche Jahrgänge etwas Besonderes sind und nicht jedes Jahr hergestellt werden. Jedes Champagner-Haus kann frei festlegen, wann und ob es einen solchen Jahrgang herstellt.
Wodurch zeichnet sich ein „großer Jahrgang“ aus?
„La Grande Année“ reift ausschließlich in Holzfässern, die aus der Burgund kommen, aus einem Weingut, das der Familie Bollinger gehört. Die Reifung im Holzfass verleiht dem Champagner seine „weinigen“ Noten und macht ihn aromatischer. Nicht holzig – sie lässt ihm Luft zum Atmen. Das liegt vor allem am einzigartigen Herstellungsprozess von Bollinger: Wir haben viel Spätburgunder (Pinot noir) drin, im 2008er sind es 70 Prozent, und der Rest Chardonnay. Alle Bollinger-Champagner enthalten mindestens 70 Prozent Pinot noir. Das macht sie „weinig“ und kraftvoll.
„La Grande Année 2008“ zeichnet sich durch Frische und Eleganz aus. Sie hat viel Potenzial. Man kann sie noch in 20 Jahren trinken. Außerdem findet bei uns die Gärung in Holzfässern statt, die mindestens fünf Jahre alt sind. Unter den „Fûts de chêne“ sind auch solche, die bis zu 100 Jahre alt sind.
Wie entscheidet Ihr Haus, wann die Zeit für eine „Grande Année“ reif ist?
Bei uns wird im Durchschnitt alle zwei Jahre ein „La Grande Année“-Jahrgang eingefüllt. Der nächste „große Jahrgang“ wird 2012 sein. Er kommt 2020 in den Verkauf. Zwischen den beiden Jahrgängen 2008 und 2012 hat Bollinger keinen anderen Champagner produziert.
Bei Bollinger stehen Tradition und Familienzusammenhalt im Vordergrund. Was verbindet Ihr Haus mit Luxemburg?
Die Idee heute Abend ist, den Jahrgang 2008 zu präsentieren. Mit Gales arbeiten wir seit 1991. Beide Häuser sind zu 100 Prozent unabhängig, im Privatbesitz, sie gehören einer Familie. Bei Bollinger führt die sechste Generation das Unternehmen. Einer meiner Freunde und Kollegen, verantwortlich für andere Länder, steht für die siebte Generation, die im Haus tätig ist.
Wie wichtig ist das kleine Großherzogtum als Markt für Bollinger?
Luxemburg gehört zu unseren Top 30. Das Land ist sehr international. In den letzten Jahren konnten wir in der langen Zusammenarbeit mit Caves Gales gute Entwicklungen beobachten. Wir sind sehr zufrieden.
Bollinger: Ein Champagner mit langer Tradition (Fotos: Vic Fischbach)
Wer trinkt in Luxemburg Bollinger-Champagner? Vielleicht auch Prominente?
Heute haben wir zufällig den Premierminister, Herrn Bettel, getroffen. Er hat Herrn Gales begrüßt und ihm mitgeteilt, dass er unseren Rosé-Champagner mag. Dann korrigierte er sich und sagte, er mag unseren Weißen, Brut („sans année spéciale“). Er sei der Beste. Das ist schon cool.
Bleibt das Haus künftig in Privatbesitz, in Familienhand?
Ja. Wir hatten auch Anfragen von großen Finanzgruppen. Das ist ganz sicher …
LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton SE zum Beispiel? Der Eigentümer von Moët&Chandon hat auch angeklopft?
Wahrscheinlich (lacht).
Aber die Familie Bollinger bleibt standhaft …
Das ist ganz klar. Ich stehe in Kontakt mit der Eigentümerfamilie und weiß, dass es sehr wichtig ist, künftig in Familienbesitz zu bleiben. Bollinger verfügt über das nötige Finanzpolster, um unabhängig zu bleiben.
Worauf beruht diese Sicherheit?
Wir sind sehr gesund, können es uns leisten, selbst zu investieren. Ich glaube, es macht keinen Sinn, uns zu verkaufen. Zum Beispiel haben wir letztes Jahr vier Hektar „Grand Cru“-Lagen gekauft. Das kostete acht Millionen Euro. Diese langfristige Investition war für uns kein Problem.
Wie sieht die Zukunft des Champagners allgemein aus?
Es gibt heute zwei verschiedene Champagner-Entwicklungen. Für kleinere Winzer ist es leider etwas kompliziert: Sie sind unbekannt, verkaufen ihre Produktion in Frankreich, wo immer weniger Menschen Champagner kaufen. Meistens sind es die Touristen, rund 90 Millionen pro Jahr, die Champagner nach Hause mitnehmen. Dieser Verkauf macht die Hälfte der Champagner-Menge aus. Die Zukunft des Champagners liegt im Export, insbesondere im Übersee, den USA und Asien.
Ist der Export auch der Zukunftsmarkt für Bollinger?
Bei uns verhält es sich anders: Wir haben nicht genug zum Verkaufen. Wir könnten von der „Grande Année 2008“ drei Mal mehr verkaufen. Aber nachdem sie auf den Markt gekommen waren, waren die Bestände nach zwei Wochen restlos weg.
Lilly Bollinger, eine Grande-Dame des Champagners und des Hauses Bollinger, sagte, sie trinke Champagner bei nahezu jeder Gelegenheit …
Frau Bollinger war sehr wichtig für uns. Sie leitete das Unternehmen zwischen 1941 und 1971 und war sehr smart. Nicht nur im Sinne ihres Zitats von 1961 aus der Daily Mail.
Lily Bollinger war es, die das Haus international, in den USA und Europa und nicht nur in Großbritannien, bekannt machte. Sie hat auch die Linie „Récemment degorgé“ (RD), unsere Top-Prestige-Cuvée, erfunden. Dieser Champagner war der erste Extra-Brut-Champagner des Hauses. Die gesetzliche Schutzmarke steht seitdem bei uns für Extra-Brut-Champagner, die fast keine Dosage (Zusatz von Likör) haben und mindestens zwölf Jahre gereift sind. Gerade haben wir die Ernte 2004 ausverkauft. In drei Jahren kommt der „RD 2007“ auf den Markt.
Welcher Typ Kunde wird diese Cuvée trinken? Wird es Bollinger irgendwann
in einem Tankstellenshop zu kaufen geben?
Das ist eine gute Frage. Jeder Markt ist anders. Wenn unsere Kollegen schon da sind, ist das in Ordnung für mich. Wir sprechen hier nicht von den exklusiveren „Big Brands“ wie Dom Perignon oder Roederer. Aber Bollinger gibt es in Großbritannien bei „Majestic“, in Deutschland bei „KaDeWe“, in Luxemburg beim Cactus. Allgemein haben wir zu wenig zu verkaufen.
Sie haben ein Luxusproblem?
Ja. Wir brauchen Exklusiv-, keine Luxus-Verkaufsplätze. Das kann eine Top-Brasserie sein, ein exklusives Restaurant.
Exklusiv kostet mehr …
Exklusivität hat etwas mit dem Preis zu tun, richtig. Es gibt Unternehmen, die kleine Preise brauchen. Das macht für uns keinen Sinn. Der Kunde muss etwas mehr zahlen, um Bollinger zu bekommen. Unser Herstellungsprozess ist sehr aufwendig: Wir benutzen nur Grand-Premier-Cru-Trauben, ausschließlich die erste Presse, und lassen unseren Champagner mindestens drei Jahre reifen.
Anders gefragt: Wer kann sich Bollinger leisten?
Unsere Kunden sind Weinliebhaber, die den Unterschied schmecken können.
Werden Sie im Jahr 2045 noch Bollinger-Champagner verkaufen?
Eine gute Frage. Was mich betrifft, würde ich Ja sagen. Aber meine Wenigkeit ist nicht wichtig. Ich bin lieber „Herr Bollinger Europa“ sozusagen. Bollinger existiert seit 1829. In zehn Jahren feiern wir unser 200. Jubiläum. Dafür bereiten wir eine schöne Überraschung vor. Aber man braucht eine Vision, eine Strategie.
Welche Richtung zeichnet die Marschroute vor?
Bollinger wird mehr Bollinger werden: mehr Pinot noir, mehr Barique, Champagner lange im Keller reifen lassen. Für uns macht es keinen Sinn, größer zu werden.
Einige Ihrer Kollegen, beispielsweise Champagne „De Vénoge“, haben den Önotourismus, Reisen in Verbindung mit Wein, entdeckt und betreiben ihn erfolgreich. Wird sich Bollinger dem anschließen?
Wir haben auch ein solches Projekt angedacht. Önotourismus ist sehr wichtig. Wir brauchen den direkten Kontakt mit den Kunden immer mehr. Der fehlt uns. Wir haben 120 Importeure, die den direkten Draht zwischen Bollinger und unseren Kunden darstellen. Es ist aber nicht mit dem persönlichen Gespräch vergleichbar.
Wie wird man also künftig Champagner außerhalb des Geschäfts verkaufen? Per Drohnenlieferung?
Wir könnten mehr über E-Commerce verkaufen. Aber der elektronische Handel erzählt keine Geschichte. Unser Kunde braucht jedoch Tradition.
Tradition ist ein gutes Stichwort. Ihr Haus blickt auf eine jahrhundertealte Verbindung zum britischen Königshaus zurück. Auf dem Hochzeitsbanquet von Prinz Charles und Lady Diana Spencer 1981 wurde, nach eigenen Angaben, Bollingers bester Jahrgang 1973 kredenzt.
Bollinger ist der älteste Champagner-Lieferant des Buckingham Palace. Jeder Lieferant des britischen Königshauses muss als „Royal Warrant“ ernannt werden. Das ist eine Geschäftsbeziehung zwischen unserem Präsident oder unserer Präsidentin und dem König oder der Königin persönlich. Seit 1884, seit Königin Victoria, wurde die Geschäftsbeziehung später mit König George, mit König Edward und mit Königin Elizabeth weitergeführt. Heute liefern sieben Champagner-Hersteller ihre Produkte dort.
Der Status des Hoflieferanten von 1884 ermöglichte uns über lange Zeit, 92 Prozent der Produktion in Großbritannien zu verkaufen. Nur acht Prozent davon blieben in Frankreich und dem Rest der Welt.
Bleiben wir in Großbritannien. Neben der „Königin der Herzen“ Prinzessin Diana half ein anderer berühmter Brite, den Champagner aus Aÿ noch berühmter zu machen …
1952 schrieb Ian Flemming seinen ersten James-Bond-Roman. In der Verfilmung des Bestsellers „Diamonds are forever“ wird Bollinger neben Marken wie Dom Perignon und Taitinger erwähnt. Nach einigen Filmen wollte die Familie Broccoli, die die Rechte an James Bond besitzt, früher Albert Kubrick Broccoli und heute Barbara Broccoli, mit Bollinger zusammenarbeiten. Vor 45 Jahren trafen sich beide Familien. Doch Bollinger hatte kein Interesse an einer Kooperation. Seltsam, oder?
Offenbar hat es sich das Champagner-Haus anders überlegt und James Bond vertraut?
In der Tat. Ein Jahr später trafen sie sich wieder. Die Broccoli-Familie erklärte, dass ihr eine „Bling-Bling“-Mentalität fern sei und sie seriöse Partner sind. So konnte sie Bollinger überzeugen.
Das Ergebnis war ein Gentleman Agreement: Wir bezahlen nichts an die Familie Broccoli und haben keine Garantie, dass unser Champagner gezeigt oder erwähnt wird. Diese Abmachung gilt seit rund 40 Jahren, seit „Moonraker – Streng geheim“. Seitdem waren wir bei 14 Bond-Filmen immer dabei.
Ein besserer Marketing-Clou könnte Bollinger nicht gelingen …
Das ist sehr hilfreich. Aber ich glaube, nur fünf Prozent unserer Kunden trinken Champagner wegen Buckingham Palace und James Bond. Sie kennen Bollinger aus den Filmen, trinken ihn aber nicht aus diesem Grund. Wir sind ein Champagner für Weinliebhaber. Sicherlich ist unser Auftritt bei Bond dem Absatz zuträglich. Heute verkaufen wir rund ein Drittel der Produktion in Großbritannien.
Weinspezialisten unter sich: Export Area Manager Karl-Frédéric Reuter im Gespräch mit Marc Gales von Caves Gales
Das britische Königshaus, James Bond: Champagne Bollinger ist also einer der größten Hersteller aus dem Weingebiet in Frankreich?
Nein. Wir stellen ein Prozent der Gesamtproduktion her und sind Nummer 30 in der Reihenfolge der französischen Hersteller aus dem Gebiet. Zum Vergleich: Champagner Taitinger ist zwei Mal, Veuve Clicquot sechs Mal und Moët&Chandon dreizehn Mal größer als wir. Sie merken, wir sind klein und exklusiv.
Vor dem Hintergrund von Finanz- und Flüchtlingskrisen, von Armut und Hungersnot, ist es heute noch moralisch vertretbar, Champagner zu trinken?
Ein guter Wein, ein exquisites Mahl, ein Champagner ist Luxus. Man braucht sie nicht im Alltag. Unser Haus engagiert sich im Wohltätigkeitsbereich. Beides geht für mich Hand in Hand: Champagner machen und Menschen helfen. Diese Frage muss jeder mit sich ausmachen. Ich selbst helfe beim Roten Kreuz und verkaufe Champagner. Außerdem ist die Champagner-Herstellung ein Geschäft. Sie schafft Arbeitsplätze für viele Menschen.
Wer Champagner trinkt, sichert Arbeitsplätze …
Ja. Aber das ist nicht das einzige Thema für uns.
Sondern?
Umweltschutz hat höchste Priorität. Wir sind das erste Champagner-Haus, das das Siegel „Sustainable viticulture“ („nachhaltiger Weinbau“) erhalten hat. Wir setzen seit zehn Jahren keine Pflanzen- und Insektenschutzmittel ein. In den Weinbergen greifen wir auf elektrische Traktoren und Pferde zurück.
Luxemburgs Crémants erhalten regelmäßig bei Champagner-Wettbewerben Goldmedaillen, auch im Kräftemessen mit Produkten aus Frankreich. Haben Sie als Traditionshersteller Angst vor der Konkurrenz aus dem Ausland?
Im Schaumwein-Bereich ist genügend Platz für hochwertigen Crémant, Cava und Franciacorta, für Perlweine aus Luxemburg, Frankreich, Spanien oder Italien. Sie machen mir keine Angst. Mehr Sorgen bereitet mir ein schlechter Champagner.
Das müssen Sie jetzt erklären …
In Burgund gibt es 450 Appellationen, in Bordeaux 60. In der Champagne haben wir nur eine, Champagne. Es kann ein Grand Premier Cru oder ein Premier Cru sein, wenn Champagner draufsteht, ist er auch drin. Es gibt gute Champagner für 20 Euro und sehr schlechte für denselben Preis und sogar für mehr. Letztere bergen das höhere Risiko. Denn 20 Euro sind viel Geld für manche Menschen, die vielleicht nur einmal im Jahr zu einem besonderen Anlass einen Champagner trinken. Bekommen sie dann auch ein schlechtes Produkt für so viel Geld, trinken sie vielleicht nie wieder einen Champagner.
Alles Vizmeecher ?
Ech drénke léiwer Culte, dee schmaacht mer besser wéi dee franséische Schampes.