Orban könnte den Kopf noch aus der Verfahrens-Schlinge ziehen. Es wäre der Triumph der Rechten in Europa – zurückzuführen auf das Versagen der anderen.
Das Europäische Parlament (EP) hat sich mit großer Mehrheit für ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarns Regierung ausgesprochen. Viktor Orban hat also verloren. Sogar seine Fraktion im EP, die konservative Europäische Volkspartei, hat sich gegen ihn gewandt – endlich, nach Jahren des Lavierens und Hofierens, möchte man meinen.
Und nun wird alles gut? Leider nicht. Natürlich war die Entscheidung des EP richtig. Doch sie kommt sehr spät, vielleicht sogar zu spät. Orban baut seinen Staat seit 2010 kontinuierlich um und tritt dabei die Grundfesten der EU mit Füßen. Zeig mir Deine Freunde, und ich sage Dir, wer Du bist? Wenn das Sprichwort stimmt, ist seit diesem Mittwoch klar, wo Orban und seine Fidesz-Partei stehen.
Von den EU-Parlamentariern stimmten 448 für die Eröffnung eines Verfahrens, 197 dagegen, 48 enthielten sich. Es waren vor allem die Rechtspopulisten und Rechtsextremen, die Orban die Treue hielten – nicht ohne Hintergedanken dabei zu haben. Der österreichische FPÖ-Europaabgeordnete Harald Vilimsky, einer der strammsten Rechtsaußen-Beißer einer Partei aus Rechtsaußen-Beißern, nannte Orban „einen der Helden Europas“.
Im Jahr 2010 begannen Orbans Umtriebe. Jahrelang schaffte es der Ungar immer wieder mit Hilfe kleiner Kompromisse und Vorschläge zur Güte, die EU von der Eröffnung eines solchen Verfahrens abzubringen. Dieses Verschleppen darf sich ruhig die EVP auf die Fahnen schreiben, von der sogar bis gestern nicht wirklich bekannt war, ob sie sich einheitlich gegen Orban positionieren würde.
Kommt die Entscheidung also zu spät? Möglicherweise. Denn nun muss sich noch der Rat – also die EU-Mitgliedstaaten – mit dem ungarischen Fall befassen. Ob sie das Verfahren ins Rollen bringen, das Ungarn das Stimmrecht in diesem Rat kosten könnte, bleibt abzuwarten – und kann dauern. Dabei ist Zeit alles, was Orban nun braucht. Im Mai kommenden Jahres sind Europawahlen, nach denen das EU-Parlament in neuer Zusammensetzung tagen wird. Das dürfte Orbans Strohhalm sein.
Die Rechten Europas, bisher auf verschiedene Fraktionen im EP verteilt, basteln bereits an einer eigenen, alle gleichgesinnten Kräfte sammelnden Fraktion. Sollte das gelingen, ist eine Kräfteverschiebung im Europäischen Parlament nicht mehr auszuschließen – die Rechten könnten dann im EP die Oberhand bekommen. Das erklärt auch die Liebeserklärung Vilimskys an Orban: Je mehr im Rechtsaußen-Klub sind, desto stärker und damit bestimmender wird dieser sein. Unter Umständen könnte das Parlament in Straßburg dem Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn dann wieder ein Ende bereiten.
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