60 Jahre sind seit dem Tour-de-France-Sieg von Charly Gaul ins Land gezogen. Vier Jahrzehnte dauerte es, bis der «Ange de la montagne» zum «Géant de Provence» zurückkehrte, also dorthin, wo er am 13. Juli 1958 den Grundstein zu seinem Erfolg legte. Im Frühjahr 1998 ließ Gaul sich dazu überreden, seine Heldentaten in der mythischen Steinwüste am Mont Ventoux Revue passieren zu lassen.
Von Petz Lahure
Mont Ventoux, an einem heißen Maitag 1998. Charly Gaul wischt sich den Schweiß von der Stirn. «Éierlech gesot, ech hat geduet, e wier méi géi!» 40 Jahre lang hatte der Tour-de-France-Sieger von 1958 den mythischen Riesen der Provence gemieden, und nun kommt er aus dem Staunen nicht heraus. Charly Gaul streift sich das «Maillot jaune» über, steigt auf seine Rennmaschine (diejenige von 1958, versteht sich) und versucht, durch die berüchtigte «Virage de Saint-Estève» zu fahren.
Hier war er am 13. Juli 1958 von einem Fotografen von «Presse Sports» abgelichtet worden, am selben Ort wurde er vier Jahrzehnte später für die Luxemburger Sportgeschichte verewigt. Das Bild von «Presse Sports» ziert seit Jahren den Deckel des Buches «Les grandes heures du Tour de France au Ventoux» von Bernard Mondon, das sich im Souvenirladen auf dem Gipfel des «Géant de Provence» wie warme Semmeln verkauft.
Im Überblick
Charly Gaul, geb. am 8. Dezember 1932, starb am 6. Dezember 2005. Er gewann u.a. 1958 die Tour de France sowie 1956 und 1959 den Giro d’Italia. Im Dezember 1999 wurde Gaul vom Luxemburger Sportpresseverband zum «Sportler des Jahrhunderts» gewählt.
Tour 1958: Sieger: Charly Gaul (Luxemburg); Dauer: 26.6.-19.7.; Start: Brüssel; Ziel: Paris, Parc des Princes; Etappen: 24; Distanz: 4.319 km; längste Etappe: 320 km (Dijon-Paris); kürzeste Etappe: 129 km (Pau-Luchon); Ruhetage: 0; Teilnehmer: 120 Fahrer; im Ziel: 78 Konkurrenten; Schnitt: 36,919 km/h; Preise: Sieg: 2.000.000 Francs, Gesamt: 40.000.000 F. Klassement der anderen Luxemburger: 16. Marcel Ernzer, 32. Aldo Bolzan, 37. Jempy Schmitz.
«Sterne tanzten vor meinen Augen»
Gaul im rot-weiß-blauen Trikot des Luxemburger Meisters, auf dem Kopf eine umgedreht aufgesetzte Mütze (demnach keine Erfindung der Jugend von heute), wandert Woche für Woche hundertfach in die weite Welt hinaus. So bleibt Charly nach wie vor in den entferntesten Winkeln des Globus ein effektvoller Werbeträger des Großherzogtums.
Von Bedoin aus sind es ungefähr 6,5 km bis zur «Virage de Saint-Estève». In dem kleinen Ort am Fuße des Mont Ventoux fand 1958 der Start zur 13. Tour-Etappe statt, welche die 95 im Rennen verbliebenen Fahrer in einem Bergzeitfahren über die 21,5 km des Südhangs zum Gipfel des Mont Ventoux brachte. Der Höhenunterschied vom Start ins Ziel betrug 1.600 Meter. Beim Ortsschild ging’s los. Von hier aus unternahm Gaul unaufhaltsam seinen Husarenritt, der ihn vom neunten auf den dritten Platz im Gesamtklassement katapultierte. Unterwegs fing er die vor ihm gestarteten Louison Bobet, Louis Bergaud und Jean Adrienssens ein und ließ sie in der drückenden Hitze stehen.
«Ich hatte mir damals bei meinem Mechaniker Mario Ottusi ein doppeltes Kettenblatt von 44/49 mit Hinterradübersetzungen von 15, 17, 19, 23 und 26 Zähnen bestellt», verrät Gaul. «Mit solch einer Übersetzung war noch nie jemand gefahren. Als Cyclotourist würde ich es heute mit 32×28 versuchen.»
Der Ventoux, das weiß jedes Kind, das schon einmal in der Provence war, ist ein Unikum inmitten einer herrlichen Landschaft. Niemand kann genau sagen, woher sein Name stammt. Die meisten meinen, «Ventoux» hätte etwas mit dem gallischen Wort «vintur» (Sieg) zu tun, andere wiederum führen es ganz einfach auf «vent» (Wind) zurück.
Nicht nur für Charly Gaul hat der 1.912 Meter hohe Bergriese etwas Mythisches und Mystisches an sich. Drückt die Sonne und ist es heiß, können die Konkurrenten auf den ersten Kilometern zwar im Schatten der Bäume hochfahren, später aber, nahe dem «Chalet Reynard», macht die Flora einer Steinwüste Platz, in der kein Grashalm mehr wächst. Bis zum Gipfel knallt die Sonne den Fahrern auf den Schädel. Schutz gibt es keinen mehr.
Dreimal hat Charly Gaul in seiner Karriere den Ventoux erklommen. Zum ersten Mal im Jahr 1955 von der Nordseite her in der «Tour du Sud-Est»-Etappe Gap-Avignon, die er mit 7’32» Vorsprung gewann. Zum zweiten Mal einen Monat später bei der Tour de France, als er als Neunter mit 5’28» Rückstand auf Louison Bobet über den Gipfel fuhr, und zum dritten Mal 1958 beim Einzelzeitfahren 1958, das eine Vorentscheidung in der Tour bringen sollte. Die Aufstiege Nummer zwei und drei erfolgten von der Südseite her.
«Wegen der großen Hitze hatte mein Verpfleger Ferre mir eine Tasche in die Rückenpartie des Trikots genäht, die mit Eiswürfeln gefüllt wurde», bemerkt Gaul. «Auch sorgte unser technischer Direktor Jang Goldschmit dafür, dass die Innenseite meiner Mütze angefeuchtet war.» Charly gewann die Etappe mit 31 Sekunden Vorsprung auf seinen ewigen Rivalen Federico Bahamontes. 2 km vor dem Ziel aber ging die Angst im Luxemburger Lager um, als Gaul vom Heißhunger befallen wurde. «Plötzlich tanzten Sternchen vor meinen Augen», gesteht er, «schon ein einziges Stück Zucker hätte Wunder gewirkt.»
Auf den Schlusskilometern schmolz der Vorsprung des Luxemburgers gegenüber Bahamontes um rund 50 Sekunden. Einzig der Spanier konnte den Abstand einigermaßen in Grenzen halten. Jean Dotto folgte als Dritter auf 2’57», während Jacques Anquetil auf Rang sieben schon 4’09» einbüßte.
Die Abmachung von Brüssel
Einer der Besten an diesem Sonntag war Jempy Schmitz, der als Neunter auf 4’53» ins Ziel kam. Schmitz gehörte mit Aldo Bolzan und Gauls treuestem Leutnant Marcel Ernzer zu den Luxemburgern, die sich beim Tour-Start auf dem Weltausstellungsgelände in Brüssel schriftlich verpflichtet hatten, «einander beizustehen und unbedingten Mannschaftsgeist zu pflegen». Dieselbe Abmachung unterschrieben ebenfalls die niederländischen Fahrer Piet und Wim Van Est, Damen, De Jongh, Kersten und Voorting, die mit den vier Luxemburgern die «Nelux»-Mannschaft bildeten.
In der Abmachung aber stand auch folgendes: «Sollte der Sieger der Tour de France 1958 der Nelux-Mannschaft angehören, wird er als Dank seinen anderen Mitfahrern der Niederlande-Luxemburg-Mannschaft seinen ihm zustehenden Teil überlassen.» Und weil als Sieger im Team nur Charly Gaul in Frage kommen konnte, war von vornherein klar, wo die «Expedition Maillot jaune» hinsteuern sollte.
Vom Start weg schien es nach Wunsch zu laufen, denn die Holländer brachten Geld in die Kasse (Etappensieg von Gerrit Voorting, Gelbes Trikot von Wim Van Est und Voorting), während Gaul die Etappe gegen die Zeit in Châteaulin mit sieben Sekunden Vorsprung auf Jacques Anquetil gewann. «Der Regen machte die Straße nass und glitschig. Ich fühlte mich in meinem Element», so Gaul vier Jahrzehnte später.
Nach Wunsch klappte es auch im Ventoux, wo Gaul sich wie gehabt auf den dritten Platz in der Gesamtwertung nach vorne arbeitete. Die Übernahme des «Maillot jaune» sollte nur noch eine Frage der Zeit sein. Doch denkste!
Schon tags darauf, am «14 juillet», also dem französischen Nationalfeiertag, wurde Gaul in die Falle gelockt. Während der Nacht bearbeitete jemand sein Vorderrad mit einer Rasierklinge, danach gab es Probleme mit dem Kettenblatt. «Ich musste eine Zeit lang mit der Maschine von Marcel Ernzer weiterfahren», so Gaul. «Später stellte sich heraus, dass vor der Etappe auch fremde Hände an Aldo Bolzans Rad gefummelt hatten. Am Ziel in Gap hatten wir rund neun Minuten Rückstand, so dass ich mit einer Viertelstunde Verspätung auf den achten Platz der Gesamtwertung zurückfiel.»
Husarenritt im Regen
Gauls Gegner, allen voran Raphaël Geminiani, der nicht für das französische Nationalteam, sondern die Regionalmannschaft «Centre-Midi» startete, rieben sich vor Freude die Hände. Bis auf seine Luxemburger Landsleute, die zuhause mitzitterten und -fieberten, frohlockten die andern und schrieben Charly Gaul nach dem «schwarzen Montag» zwischen Carpentras und Gap definitiv ab. Am Mittwoch, den 16. Juli 1958 sollte der Ausnahmebergfahrer sich jedoch mit einem «Knaller» zurückmelden.
Der Himmel war wolkenverhangen und düster, als es in Briançon an den Start ging. «Jang Goldschmit sagte Regen voraus», erinnert sich Charly. «Ich war nie ein Freund der Hitze und liebte frisches, eher kaltes Wetter. Das brachte mir den Ruf eines Regenspezialisten ein, obwohl ich nicht unbedingt auf Nässe erpicht war. Bei frischer Witterung atmete ich viel besser, die Luft war voll Sauerstoff.»
Der Regen setzte im Col de Luitel ein, wo Charly Gaul mit Federico Bahamontes angriff. «Auf der äußerst schmalen, steilen und kurvenreichen Straße konnte der Spanier bald nicht mehr folgen», erinnert sich Gaul. «‹Fahr, Charly›, rief er mir zu.» Wenige Kilometer nach dem Gipfel lief Gaul platt. Alles schien wieder in Frage gestellt zu sein. «Mechaniker Mario Ottusi aber war so schnell mit einem Rad zur Stelle, dass ich praktisch keine Zeit verlor», bemerkt Gaul. «Dieser Junge war Gold wert. Nach der Manipulation an meinem Vélo ließ er das Fahrrad nicht mehr aus den Augen und nahm es abends sogar mit auf sein Zimmer.»
Charlys Husarenritt durch die Chartreuse endete mit «Heulen und Zähneknirschen» für seine Gegner. Der Belgier Jan Adriaenssens als Zweiter folgte auf 7’50», der Italiener Vito Favero als Dritter auf 10’09», während die andern Stars eine Viertelstunde und mehr einbüßten. Dadurch rückte Gaul im Gesamtklassement wieder auf Rang drei mit 1’07» Rückstand auf Favero und 28″ auf den früheren Leader Geminiani.
Jetzt musste eigentlich nur noch das «Maillot jaune» geholt werden. Übergestreift wurde es am vorletzten Tag nach dem Einzelzeitfahren Besançon-Dijon, das Charly Gaul den vierten Etappensieg in dieser Tour brachte. Im Schlussklassement in Paris hatte er 3’10» Vorsprung auf den Italiener Vito Favero und 3’41» auf den Franzosen Raphaël Geminiani. Marcel Ernzer beendete die Rundfahrt als 16., Aldo Bolzan wurde 32. und Jempy Schmitz 37.
An Prämie heimste jeder Nelux-Fahrer (bis auf Sieger Gaul, der sich bei Kriterien «entschädigen» ließ) rund 100.000 Luxemburger Franken (2.500 Euro) ein. Für damalige Verhältnisse ein schönes Sümmchen Geld, heute allerdings nur «Peanuts». Wie sich die Zeiten ändern …
Ein weiteres Jubiläum: Vor 90 jahren feierte Nicolas Frantz seinen zweiten Tour-Sieg
Genau wie 1927 wurde die Tour de France 1928 nach Strich und Faden vom Alcyon-Team dominiert. Dadurch konnte niemand dem Luxemburger Nicolas Frantz das «Maillot jaune» entreißen, das er schon im Vorjahr in Paris getragen hatte. Frantz gewann die erste Etappe in Caen, kleidete sich in Gelb und gab das Leadertrikot bis Paris nicht mehr ab.
Die Tour 1928 wurde nach der Formel des Vorjahres gefahren. Auf den flachen Strecken gab’s ein Mannschaftszeitfahren, in den Bergen war jeder auf sich allein angewiesen.
Frantz holte sich nach dem Auftaktsieg in Caen auch die Etappen in Les Sables d’Olonne, Nice, Metz und als Apotheose im Parc des Princes in Paris. Während der ganzen Tour war der starke Bursche aus Mamer nur einmal in Gefahr: Zwischen Metz und Charleville brach seine Radgabel. Auf einem Ersatz-Damenfahrrad kurbelte Frantz die letzten 100 km im Schlepptau seiner Teamkollegen herunter und blieb Leader.
Extrem grosser Respekt vor Nicolas FRANTZ und Charly GAUL !
Um es noch einmal vor der Tour de France auf den Punkt zu bringen !
1. Nicolas FRANTZ ist absolut unser bester Radsportler aller Zeiten.
2. Charly GAUL ist international der Bergfahrer aller Zeiten mit den grössten Zeitabständen.
Weiter ist es unmöglich in der Radsportgeschichte die alten und neuen Zeiten zu vergleichen.
Die stärksten haben sich aber (fast) immer durchgesetzt !
Danke an Petz LAHURE dies alles zu erwähnen !