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BGL-BNP-Paribas-Chef Thill: „Eigentlich wollte ich nie Banker werden“

BGL-BNP-Paribas-Chef Thill: „Eigentlich wollte ich nie Banker werden“

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Seine gesamte Karriere hat der heutige Geschäftsführer der BGL BNP Paribas am Luxemburger Finanzplatz verbracht. Heute ist sein erster Tag als Rentner. Im Gespräch mit dem Tageblatt zieht er Bilanz.

Tageblatt: Sie haben Ihr ganzes Arbeitsleben in einer einzigen Bank verbracht – davon mehr als zehn Jahre in leitender Position. Wie kam es, dass Sie Banker wurden?

Carlo Thill: Das war reiner Zufall. Nach dem Studieren von Volkswirtschaft und europäischer Wirtschaft wollte ich eigentlich für die EU-Kommission arbeiten. Ein „Stage“ war bereits für das Jahr 1979 geplant.

Ich hatte aber noch einige Monate zu überbrücken. So fragte ich meinen Studienfreund Roby Scharfe (Anm. d. Red.: heute Geschäftsführer der Luxemburger Börse und damals bei der BGL), ob das bei der Bank möglich sei. Am 1. Oktober habe ich dann mit einem Praktikum bei der BGL begonnen. Bereits nach drei Wochen wurde ich gefragt, ob ich bleiben wolle. Und da ich gerade heiraten wollte, entschied ich mich, wie es sich für einen guten Luxemburger gehört, für die sichere Alternative. Eigentlich wollte ich nie Banker werden.

Zur Person

Der am 23. April 1953 geborene Luxemburger Carlo Thill ist seit April 2005 Geschäftsführer der Bank BGL BNP Paribas – damals noch Fortis Luxembourg. Seit dem Jahr 2000 ist er Mitglied des Verwaltungsrates der Bank. Nach seinem Studium an der «Université de Nancy» begann er seine Karriere 1978 bei der damaligen BGL.
Nach fast zehn Jahren Arbeit im Bereich «Crédits, Leasing, Factoring» wurde er 1985 Chef des «Département Crédits». Nach zwei Jahren wurde er kurz Risikomanagement-Chef. Später leitete er (aufeinanderfolgend) die Bereiche Marketing, Bankfilialen, Unternehmen und Personal. 1998 wurde er Mitglied im Direktionskomitee. Von 2010 bis 2018 war er Vizepräsident der Luxemburger Bankenvereinigung ABBL.

Würden Sie jungen Luxemburgern auch heute noch raten, sich auf Jobs in der Finanzwelt vorzubereiten? Oder doch lieber für den Staat?

Die Antwort liegt ja fast auf der Hand. Sowohl der Staat als auch der Privatsektor benötigen gute Leute. Ich bin aber der Meinung, dass es die interessanteren Herausforderungen im Privatsektor gibt. In einer Bank wie der unseren gibt es viele verschiedene interessante Tätigkeiten.

Anfangs verdient man zwar weniger als beim Staat – wenn man aber gut ist, zu den Besten zählt, dann kann es später deutlich mehr werden als beim Staat. Jedoch erst nach Jahren. Heute sind viele Menschen aber ungeduldig. Ich kann die Entscheidung jedoch verstehen – tausend oder einige tausend Euro im Monat machen schon einen Unterschied.

Der schwierigste Tag Ihrer Karriere war wohl im September 2008, oder? Damals mussten Sie ins Staatsministerium gehen und beim Staat um Hilfe betteln. Auf der anschließenden Personalfeier durften Sie aber nichts verkünden … Dann dauerte es nicht einmal eine Woche und der ausgehandelte Rettungsplan wurde wieder umgebaut. BNP Paribas stieg ein. Wie überlebt man eine solche Woche? Den Stress? Die Verantwortung gegenüber von Kunden und Mitarbeitern?

Es bedeutet viel Stress, viele Treffen mit vielen Leuten und wenig Schlaf. Manche Reden, wie etwa die für die Personalfeier, müssen mitten in der Nacht umgeschrieben werden. Der Überlebensinstinkt kommt zum Vorschein. Das Adrenalin fließt. Viel Energie baut sich auf. Plötzlich war kein Schlaf mehr notwendig. Man braucht ihn wohl, hat aber keine Zeit mehr zum Schlafen. Es galt nur noch, die Krise zu managen.

Normalerweise habe ich es geschafft, den Arbeitsstress von der Familie fernzuhalten. Das war diese Woche aber nicht möglich. Der Stress hat auf das Privatleben abgefärbt.

Ich bin eigentlich ein Mensch, der auf Konsens setzt. Nun aber galt es, schnell wichtige Entscheidungen zu treffen und diese umzusetzen. Und bei alledem war man zumeist auch noch auf sich allein gestellt. Es war mir gar nicht bewusst, dass ich diese Kompetenzen überhaupt hatte. Es war alles schon sehr speziell.

Beim Verkauf an die BNP-Gruppe haben Sie erklärt, dass die BGL nun zu ihren Wurzeln zurückkehre. Ist die Bank tatsächlich unabhängiger geworden?

Mit „Wurzeln“ meinte ich eher, dass die BNP die gleiche Unternehmenskultur hat wie die BGL: Werte, Ethik, Risikomanagement, Kundenservice … Bei der BNP Paribas finde ich viel von der alten BGL wieder.

Zum Thema Unabhängigkeit: Aktionäre gibt es immer. Und die sind für die Strategie zuständig. Wir treffen die lokalen Entscheidungen unabhängig – etwa wer einen Kredit erhält und zu welchem Zinssatz.

War Fortis nicht doch mehr als Gruppe durchstrukturiert?

Problematisch bei Fortis war etwas anderes. Erstens hatte Fortis mit zwei weiteren Banken die stolze niederländische Bank ABN Amro gekauft … und sie wollten diese auch noch unter sich aufteilen. Zweitens: Diese Aktion wurde getätigt, während die Börsen auf Höchstständen waren. Der Preis war also wohl zu hoch. Und drittens: Gleichzeitig gab es noch die Subprime-Krise. Das Problem war die Kombination all dieser Faktoren.

Wie hatten Sie die Fortis-Episode erlebt? Sind Sie heute froh, kein Teil einer Fortis-Gruppe mehr zu sein?

Ich bedauere die Krise, die letzten Fortis-Jahre. Ich sage aber nicht, dass Fortis schlecht war. Sicherlich hätte ich lieber die BGL behalten, aber ich bereue es nicht. Ich bin lieber ein kleiner Teil einer großen Gruppe als groß ohne Gruppe. Das erhöht die Überlebenschancen im Falle einer Krise. Man sieht es ja immer wieder: Kleine Banken gehen in Konkurs – große systemische Banken werden jedoch gerettet.

Es ist ein Vorteil, systemisch zu sein. Es bedeutet zwar mehr Aufwand und höhere Kosten für die Kontrolle – doch es gibt auch Sicherheit. In den USA war es übrigens ein Fehler, Lehman pleitegehen zu lassen. Das hatte dem Vertrauen in den ganzen Sektor geschadet.

Während Ihrer Zeit in der Bank wurde das Bankgeheimnis abgeschafft …

Das stimmt doch gar nicht …

Entschuldigung. Ich meinte das Bankgeheimnis für Nicht-Einwohner des Landes … Eine Zeit lang hat das Land gut davon gelebt. Der Finanzplatz hat den Wandel überstanden. Im Nachhinein: War das Bankgeheimnis den Rufschaden wert, den es dem Land brachte? Oder hätte es bereits früher abgeschafft werden sollen?

Ich erkläre das mal bildlich: Ein Fußballspieler auf dem Feld sieht nur die Mitspieler neben sich. Von der Zuschauerbühne aus hat man aber einen Blick auf das gesamte Spielfeld. Ich glaube, Luxemburg hat viel zu spät gesehen, dass sich die Welt verändert. Es gab die Krise, der Druck auf die Staatshaushalte stieg. Auch der Druck in Richtung Steuertransparenz legte zu. Hinzu kommt noch, dass laut den damaligen Luxemburger Regeln Steuerdelikte keine Straftat waren. Heute ist das nicht mehr der Fall. Aber so war damals das Umfeld.

Zudem kam noch der automatische Informationsaustausch (AIA) hinzu. Anfangs war Luxemburg dagegen. Wir setzten auf das Zurückhalten einer Quellensteuer und auf das Verteilen der Einnahmen an die Herkunftsländer der Kunden. Als Banken dachten wir: Unser Job ist damit erledigt. Die anderen Länder sahen das aber nicht so. Wir haben den Zug verpasst. Dabei wussten wir, dass es passieren würde. Es hätte vielleicht etwas schneller gehen sollen.

Ist der Platz heute wirklich transparenter als früher?

Mit dem AIA müssen wir ja den Steuerbehörden eines jeden ausländischen Kunden alles mitteilen. Anfangs waren es nur die Zinsen, heute aber ist es alles. In dem Sinne sind wir gegenüber den Steuerbehörden transparent. Auch der „bénéficiaire économique“ von jeglichen Gesellschaften muss angegeben werden. Der Platz ist transparent geworden.

Als Sie anfingen, waren Banken etwas Elitäres … Irgendwann änderte sich das und alle Banker wurden Bösewichte …

Als ich im Jahre 1978 anfing, war der Finanzplatz nicht elitär. Vielleicht in einigen speziellen Nischen, etwa im Bereich der internationalen Anleihen. Erst mit dem Aufkommen des „Private Banking“ und danach mit den Investmentfonds, in den 80er Jahren, ist es mehr so geworden. Aber die Banken haben sich nicht als elitär gesehen.

Erst mit dem Boom wurden die Banken elitärer. Das wurde aber von den Menschen lange nicht so gesehen – zumindest nicht, solange die Banken den Wohlstand im Lande sichtbar mehrten. Erst mit der Krise im Jahr 2008 hat sich die Wahrnehmung geändert. Mehr Kritik an Banken wurde hörbar.

Sie stehen viel in Kontakt mit Politikern. Hatten Sie nie Lust, selber Politiker zu werden?

So viel Kontakt gibt es auch nicht. Wir sind weniger Lobbyisten, als oftmals angenommen wird. Und nach dem Management in die Politik, wo es oft – besonders wenn man in der Opposition ist – schwierig ist, etwas zu bewegen … Auch gibt es nur wenige Berufe, die unpopulärer sind als Banker. Doch da gehören die Politiker dazu. Nein, das wäre nichts für mich.

Haben Sie der Bank einen persönlichen Stempel aufgedrückt?

Diese Frage müssen Sie eigentlich an die Mitarbeiter richten. Sicherlich. Ich habe meinen eigenen Management-Stil, bin kollaborativ, habe eine gewisse soziale Ader. 13 Jahre lang war ich Geschäftsführer der Bank. Intern sind die Beziehungen mit beispielsweise der Personaldelegation gut. Das ist aber nicht allein mein Verdienst.

Die Finanzwelt ist heute eine ganz andere als vor 40 Jahren. Wie wird der Platz in 40 Jahren aussehen?

Es wird keine 40 Jahre dauern, aber durch die Digitalisierung wird sich viel verändern. Die Rolle des Einzelnen wird anders werden. Mitte der 80er Jahre kamen die PCs in die Bank – das änderte die Arbeitsweise. Heute ist der Kunde besser informiert als früher. Er weiß oftmals genau, was er will. Er will eigene Entscheidungen treffen. Viele brauchen keinen Berater mehr. Das wird den Beruf radikal verändern.

Die Banken werden aufpassen müssen. Neue Unternehmen wie GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon) steigen in den Finanzsektor ein. Wenn die Banken nicht schnell genug reagieren, werden sie mittelfristig Marktanteile verlieren. Aber das passiert in fünf bis zehn Jahren. In 40 Jahren … wer weiß?

Sind Sie zuversichtlich für die Zukunft des Platzes?

Ja. Veränderungen gibt es immer wieder. Im Bereich Vermögensverwaltung haben zwar einige Banken geschlossen und andere fusioniert – aber neue Banken aus China und der Schweiz kommen hinzu. Luxemburg wird als Eintrittstor in die EU gesehen. Der Vorteil des Landes ist: Wir haben die notwendige kritische Masse an Spezialisten und ein gutes Gesetzesumfeld und Aufsichtsbehörden.

Mit dem Brexit kommen nun viele neue Versicherer ins Land. Das liegt unter anderem daran, dass nicht jede Aufsichtsbehörde die englische Sprache akzeptiert. Oft sind es die kleinen Sachen, die wir vergessen, die den Unterschied machen. Etwa die Mehrsprachigkeit.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Ich will nun den längsten Urlaub meines Lebens machen. Ich will in die Alpen, an den Gardasee und nach Griechenland. Ich will Sport treiben und lesen. Ich bleibe zwar im Verwaltungsrat der Bank, will mir aber nicht zu viele Verpflichtungen auferlegen. Für manche Sachen braucht es mehr Freiheit. Vielleicht werde ich auch etwas Motorrad fahren.

Zu Besuch beim belgischen Premierminister

Auf die Frage hin, ob es aus einer Bank-Karriere auch Witziges zu berichten gebe, erinnerte sich der Geschäftsführer der BGL BNP Paribas an einen ungeplanten Besuch in der Residenz des belgischen Premierministers.

Die Geschichte geht zurück auf die schwierigen Wochen im Rahmen der Finanzkrise. Die Niederlande hatten gerade eigenhändig entschieden, den niederländischen Teil der Fortis-Gruppe zu kaufen und den Rest sich selbst zu überlassen. „Doch während ich den Mitarbeitern erklärte, dass der Staat bei uns einsteigen wird, rief Finanzminister Luc Frieden an. Er teilte mir die Nachrichten aus den Niederlanden mit. Luc Frieden, der gerade auf dem Sprung nach Brüssel war, sagte, er wäre froh, wenn ich mitkommen könnte – falls detailliertere Zahlen benötigt würden“, erinnert sich Carlo Thill.

„Dann stiegen wir abends gegen 22 Uhr, gemeinsam mit Kik Schneider, in den Wagen und fuhren los. Wir wussten aber nicht wirklich, wo es hinging. Da schlug unser Fahrer vor, er könne ja beim Fahrer von Luc Frieden nachfragen, wo er gerade sei. Gesagt, getan.
Und wir fuhren zu der Residenz des belgischen Premierministers. An der Eingangskontrolle erklärten wir: Wir sind mit dem Luxemburger Finanzminister hier. Dann haben sie uns hereingelassen. Kommt Luc Frieden uns entgegen: ‹Was macht ihr denn hier?› Geplant gewesen sei nur, dass wir für den Fall bereitstehen, dass wir benötigt werden … Doch wir waren in der Residenz des Premierministers …“