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Eine Dosis Ritalin

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Politische Hyperaktivität kann auch schaden, meint unser stellvertretende Chefredakteur Lucien Montebrusco.

Am Abend des 8. Oktober ist der Wahlkampf für die Parlamentswahlen im kommenden Jahr so richtig in die Gänge gekommen, nicht nur bei der CSV. Der Zusammenhalt der Koalitionsparteien bröckelt zusehends. Da raufen sich in Esch und Luxemburg Parteien zusammen, die in der Chamber die Oppositions- bzw. Regierungsbank drücken. Testläufe für eine spätere Koalition 2018?

Angesichts schlechter Umfrageergebnisse, des Abschmierens eines der Koalitionäre und des angekratzten Images der beiden anderen bei den Kommunalwahlen stehen die Chancen auf eine Fortsetzung des blau-rot-grünen Experiments denkbar schlecht. Da kommen aufmunternde Worte zupass. Auch wenn sie in der Ferne formuliert werden. Wie vergangene Woche im russischen Tambow rund 480 km von Moskau entfernt, wo Premierminister Xavier Bettel und sein Vize Etienne Schneider auf Arbeitsvisite waren. Da bestehe ja nicht der geringste Zweifel, meinte Gouverneur Alexander Nikitin bezüglich des Wahlausgangs in Luxemburg. Schließlich gehe es dem Land ausgezeichnet: Sinkende Arbeitslosenzahl, hohe Wachstumsraten, so ein gut informierter Gouverneur.

Pech, dass die Regierung mit derlei guten Kennzahlen im Ausland, aber nicht zu Hause punkten kann.

Nicht nur die nackten Wirtschaftsdaten beeindruckten in Moskau. Dass ausgerechnet Luxemburg mit Projekten wie Space Mining, digitaler Transformation von Staat und Gesellschaft, Stichwort Dritte Industrielle Revolution, nach vorne prescht, sorgt nicht nur für Überraschung, sondern auch für Respekt vor so viel Chuzpe des EU-Zwerges.
Luxemburgs Griff nach den Asteroiden war der eigentliche Anlass der Einladung zum größten Innovationsforum Russlands in Skolkowo bei Moskau. Die Bedeutung des gemeinsamen Auftritts von Premierminister Xavier Bettel mit Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew ebendort kann nur unterschätzen, wer den Hang des Kreml zu symbolischen, aber bedeutungsvollen Gesten verkennt. Das sich anschließende, zeitlich weit überzogene Gespräch zwischen beiden Regierungschefs unterstreicht die Bedeutung, die Moskau den luxemburgischen Projekten beimisst.

Im Großherzogtum selbst interessieren realistische Zukunftsstrategien nur mäßig. Schon gar nicht lassen sie sich in konkrete Wählerstimmen ummünzen. Hinzu kommt, dass diese Regierung mehr als jede andere zuvor an ihren Lösungen für Probleme gemessen wird, die sie größtenteils von ihren Vorgängerinnen unter CSV-Dominanz erbte, so etwa der akute Wohnungsmangel, das Chaos auf unseren Straßen, die für eine sich demografisch und kulturell wandelnde Gesellschaft inadäquaten Schuleinrichtungen. Dass Kinder mit Migrationshintergrund oder aus sozial schwachen Schichten mit schlechteren Karten an den Start um ihre berufliche Zukunft gehen, ist eine Erkenntnis, die bereits vor Jahrzehnten gemacht wurde, als der Ausländeranteil noch recht überschaubar war. Und dass es nicht nur in Stoßzeiten auf den Autobahnen staut, ist kein Phänomen, das über Nacht mit dem Regierungswechsel 2013 auftauchte.

Dieser Regierung wird man kaum den Vorwurf machen können, sich der Probleme nicht angenommen und Reformen angestoßen zu haben. Es sei denn den, sie allzu forsch, zu beherzt angegangen zu sein. Und noch einiges draufgepackt zu haben, wie die Trennung von Kirche und Schule, die Einführung der Homo-Ehe, die steuerliche Entlastung der Haushalte und Unternehmen, unentgeltliche Schulbücher im Lyzeum, die Reform des Elternurlaubs. Eben diese Hyperaktivität könnte ihr im kommenden Jahr im nach wie vor behäbigen Luxemburg zum Verhängnis werden. Der Wähler wird der nächsten Koalition eine gute Portion Ritalin verschreiben.

Jolly Joker
27. Oktober 2017 - 17.12

Merci

Jolly Joker
27. Oktober 2017 - 17.10

Ma Jeannosch, Déi (Rentner) hun dach eréischt am Januar 0.7% méi kritt. Wat wëlle se dann? Se bréngen der Gesllschaft jo néischt (méi). .... loos déi jonk Leit liewen an déi âl Leit stirwen vill Gléck an ärem Haus ... Séier séier traureg awer leider wouer. :-(

Klar
26. Oktober 2017 - 23.09

Ritalin gëtt geholl fir opgedréinte Kanner ze berouegen, net fir Roueger opzedréinen.

Gardner
26. Oktober 2017 - 19.15

Naja, was hätte der Gouverneur denn auch sonst sagen sollen? Etwa, "Herr Bettel, Sie und viele Ihrer Regierungskollegen haben vor und nach dem Referendum von 2015 einen Grossteil Ihres Wählervolks für dumm, ungebildet und latent rassistisch erklärt weil die Menschen Ihrer politischen Linie in diesen an und für sich drei überflüssigen Vorschlägen nicht folgten. Auch deswegen haben Sie und ihr Koalitionspartner LSAP (die schon 2013 und 2014 eher schlecht abgeschnitten hatte) bei den Gemeindewahlen 2017 ein paar schallende Ohrfeigen kassiert. Der Wähler eines modernen demokratischen Staates vergisst eben nicht so schnell wenn eine selbsterklärt-elitäre Politikerkaste auf ihn heraufschaut und zu bevormunden versucht, und straft dann halt diejenigen ab, die gerade am Ruder sind (das wäre bei uns Russland wohl auch so, wenn wir eine moderne Demokratie wären...). Obwohl Sie und ihre DP bisher noch nicht so stark eingebrochen sind wie ihr grösster Koalitionspartner, so wissen Sie ja selbst dass Sie nur eine hauchdünne Mehrheit von 32 Sitzen im Parlament haben und schon allein deswegen wird die wohl nicht zu halten sein."

Das wäre doch mal eine Ansage vom Herrn Gouverneur gewesen...

Lucien Thill
26. Oktober 2017 - 13.58

Dem Herrn Montebrusco würde Ich eigentlich nur so Antworten:Zum Text gibt ein Unterschied ob Ich Fan der Dreifarbigen Regierung bin oder dieses Land mag

Kreus Robert
26. Oktober 2017 - 13.26

Nehmen wir nur das Beispill Stau auf der Autobahn
Ein Drittel der letzten Regierung ist ja eigentlich der selbe drittel dieser. Also auch der Wirtschafsminister der die Planung und Umsetzung des riesigen Eurohubs in Betteburg Dudelange. Vor Jahren war es einem klar dass mit dem aufkommen von LKW die zu dem Hub fahren der Verkehr zunehmen würde.
Dass durch die Krise erst mal gespart wurde, könnte man noch verstehen. Vor kurzem ,und sicher mit viel Schmerzen gab der grüne Minister bekannt : Wir brauchen eine dritte Fahrstreife für das aufkommen der LKW zum Eurohub und Findel.
Jede Handlung ergibt eine Konsequenz. Eine Regierung die viel gehandelt hat oder zumindest Versucht (immerhin musste man schon Geld leihen gehen) geht viele unbekannte ein wo keiner weiss wie dass einer Krise die einmal kommen wird zu bewältigen ist.
Vielleicht müsste die Regierung mal das Neue Gebetbuch von Rifkin lesen.

Jeannosch
26. Oktober 2017 - 12.27

Hyperaktive Kinder muss man auch einmal in die Schranken weisen, wobei Kinder im allgemeinen unschuldig sind.Allerdings angesichts der unüberlegten Wahlgeschenkverteilung, "en Apel fir den Duuscht" ein Fremdwort für diese Regierung ist, die Politik nur für den jungen Wähler gemacht wird, der ältere Mensch immer mehr ausgeschlossen wird.Die Moderne gleich Perversität eines absoluten, globalisierten Wirtschaftsimperiums zum Götzen erhoben , dient dazu dem Bürger immer mehr seine freiheitlich, demokratischen Rechte abzugraben.Digitalisierung, die Eingriffe in die Zinspolitik, das Untergraben unserer Notenscheine machen mit Hilfe der Politiker uns Bürger zu unmündigen Wesen.Stellt sich noch die Frage ,ob in naher Zukunft eine Erhöhung der Renten nicht angebracht, da diese immer mehr den Lebenserhaltungskosten hinterher hinken und für viele Renter der Arztbesuch zum Luxus wird.

MarcL
26. Oktober 2017 - 12.18

Hohe Wachstumsraten schön und gut, es ist aber genau die Kehrseite der Medaille die den Einwohnern Sorgen macht und den Wohlstand - und damit meine ich nicht jenen der in Euro gemessen wird - stetig bergab gehen lässt. Wäre angenehm wenn einige hyperaktive Regierungsmitglieder das zur Kenntnis nehmen würden.

esterhazy
26. Oktober 2017 - 10.54

Gottseidank ist der Ausgang unserer Wahlen etwas offener als in Russland...