Montag22. Dezember 2025

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Knüller-Klau unter Kollegen

Knüller-Klau unter Kollegen
(Reuters)

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Immer mehr Details des britischen Medienskandals werden bekannt. Die Revolverblätter spionierten sich gegenseitig aus. Mitarbeiter der Konkurrenz wurden bestochen.

Die Sekretärin hatte keiner im Verdacht. Sue Harris war tüchtig, beliebt und mittendrin im Geschehen bei «People», der kleinsten der britischen Boulevard-Sonntagszeitungen. Sie buchte Flüge, reservierte Hotelzimmer und erledigte die Spesenabrechnung für die Reporter. Fast ihr gesamtes Berufsleben hatte die zierliche, gut gekleidete Mittvierzigerin bei dem Boulevardblatt verbracht, und die Kollegen vertrauten ihr blind. Das hätten sie wohl besser nicht getan.

Harris flog 1995. Ihr wurde vorgeworfen, die besten Knüller ihrer Zeitung Piers Morgans «News of the World» gesteckt und ihre Kollegen für ein Schmiergeld von 250 Pfund (knapp 290 Euro) die Woche hintergangen zu haben. Die «People»-Journalisten hatten schon lange einen Verräter in ihrer Mitte vermutet, doch als Harris aufflog, waren sie schockiert. «Jeder wusste, dass es einen Maulwurf gab», sagt einer, der damals dabei war und wie weitere «People»-Kollegen von früher nicht namentlich zitiert werden will. «Aber wir hätten nie gedacht, dass sie das war.»

Kein Einzelfall

Die Schnüffelei für die Konkurrenz war kein Einzelfall, wie Recherchen der AP ergaben. Gespräche mit weiteren früheren Journalisten und öffentlich zugängliche Berichte lassen darauf schließen, dass Rupert Murdochs größtes Sonntagsblatt regelmäßig Mitarbeiter rivalisierender Zeitungen schmierte. «News of the World» wurde im Juli wegen seines illegalen Treibens eingestellt. Das Abhören von Telefonen und die Bestechung von Polizisten wurden öffentlich breitgetreten, doch die Unterwanderung der Konkurrenz weckte weniger Aufmerksamkeit.

Morgan, von 1994 bis 1995 «News of the World»-Chef, prahlte einmal, mit Mitarbeitern der Rivalen auf der Lohnliste wüssten er und seine Kollegen «immer genau, was unsere Wettbewerber machen». Ideenklau ist seit langem ein Problem für die britischen Sonntagsblätter, die nur ein Mal pro Woche Gelegenheit zum Leserfang haben. Besonders eifersüchtig gehütet wird der «Splash», der Knüller auf der Titelseite, das Aushängeschild jeder Boulevardzeitung.

Unter Verschluß

Überall gaben sich die Journalisten extra Mühe, einen potenziellen Knüller unter der Decke zu halten. Informanten wurden dafür bezahlt, mit niemand anderem zu sprechen, oder tagelang in abgelegenen Hotels vor der übrigen Pressemeute versteckt. Für «People», immer knapp bei Kasse, war Geheimhaltung besonders wichtig: Bekäme «News of the World» Wind von einer Story, wäre es dem Murdoch-Blatt mit seinem üppigen Budget ein Leichtes, sie zu überbieten und auszustechen.

Doch vor Harris, die jahrelang ganz in der Nähe der Redaktionsleiter saß, war kein Geheimnis sicher. Dank der Schmiergelder wusste die mächtige Konkurrenz alles, wie sich ehemalige Journalisten erinnern. Die Wirkung im Kollegenkreis war verheerend. Ein «People»-Reporter unterwegs zu einer Recherche nach Edinburgh war am Boden zerstört, als er im selben Flugzeug einem Team der «News of the World» begegnete. Ein Schreiber, der mit seinem Informanten in einem obskuren Hotel außerhalb Londons zusammenhockte, stieß zu seinem Entsetzen an der Hotelbar auf die Konkurrenz. Nach tagelangem Lauern vor der Wohnung einer jungen Frau schäumte ein «People»-Team vor Wut, als seine schärfsten Rivalen zur Haustür spazierten.

Story geklaut

Immer wieder wurden ihnen Exklusivgeschichten vor der Nase weggeschnappt, und der Argwohn wuchs. Ähnlich ging es dem Schwesterblatt «Sunday Mirror», wo der Reporter Chris House für 1.000 Pfund (über 1.100 Euro) im Monat Stories der Kollegen durchstach. In seinem 2005 erschienenen Buch «Der Insider» erinnerte sich Morgan an eine dieser Meldungen: die Enthüllung, dass ein prominenter Fernsehmensch eine Affäre hatte. Drei Monate habe der «Sunday Mirror» an der Geschichte recherchiert, und dann sei sie ihm einen Tag vor der geplanten Veröffentlichung geklaut worden. «Wenn ich deren Chefredakteur wäre, würde ich mir die Kugel geben», frohlockte Morgan.

Die Schmiergeldpraxis war seinem Buch zufolge schon vor seiner Zeit bei «News of the World» im Gange. Als er zum «Daily Mirror» wechselte, der im selben Verlag erscheint wie «Sunday Mirror» und «People», gab er nach eigenem Bekunden den beiden Informanten einen Monat Zeit, um auszusteigen. «Unglaublicherweise machten sie einfach weiter, also habe ich sie gefeuert», schrieb Morgan.

Mailbox abgehört

House wollte sich auf Anfrage der AP nun nicht äußern, Harris war nicht ausfindig zu machen. News Corp. lehnte eine Stellungnahme ebenso ab wie Piers Morgan, der seither bei CNN Karriere gemacht hat. Der 46-Jährige steht bereits wegen Äußerungen zum Abhören von Mailboxen im Brennpunkt. Er bestreitet, irgendjemanden zum Hacken von Handys beauftragt oder wissentlich auf Abhören beruhende Meldungen veröffentlicht zu haben. Doch er war zur Zeit der Schmiergeldzahlungen verantwortlich bei «News of the World» und hat offen eingeräumt, dass das nicht in Ordnung war. «Das ist natürlich eine Schande und vollkommen unanständig», schrieb er. «Aber sehr praktisch.»