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Cattenom spaltet die Großregion

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Sitzungsunterbrechung, Beinahe-Beschimpfungen, ein Präsident der wütend den Plenarsaal verlässt: So viel Chaos hat der Interregionale Parlamentarierrat noch nicht erlebt.

Jean-Pierre Masseret, Präsident des Regionalrates in Metz, hatte sich viel vorgenommen. Die Spannung zwischen Deutschen und Lothringern wollte er vermeiden, die am Vortag in Thionville zu einem emotionalen Ausbruch des Leiters des Kernkraftwerks Cattenom gegen Deutschland geführt hatte. Eine klare Atmosphäre wollte er herstellen. „Wenn die Prüfungen in Cattenom nicht nach dem Lastenheft der Europäischen Union vorgenommen worden sind, dann werden sie korrigiert“, sicherte er zu. Und mitten in das hörbare Aufatmen unter den deutschen und luxemburgischen Abgeordneten hinein wurde er noch stärker: „Wenn sich herausstellt, dass Cattenom den europäischen Sicherheitsvorstellungen nicht entspricht, dann wird Cattenom geschlossen“.

Die Saarländer, Mainzer und Luxemburger glaubten, nicht ganz richtig gehört zu haben. Jean Pierre Masseret aber stellte weiter klar. Er sei kein Gegner der Nuklearindustrie. Er meine aber, dass man dann von Schließung der Anlagen reden könne, wenn sich andere Energien in einem Maße anböten, dass man den nuklearen Strom ersetzen könne. Das würde bedeuten, dass Cattenom sicher irgendwann geschlossen würde, aber eben nicht gleich. Weiter zeigte sich Masseret großzügig, es bleibe natürlich den Parlamentariern im Saal überlassen, sich mit einer Resolution gegen Cattenom zu wenden.

Lästige Zwischenfragen

Hätte der Präsident der Region Lothringen es dabei belassen, wäre es großartig gewesen. Die Stimmung war entspannt, das Erstaunen unter den lothringischen Abgeordneten sichtbar. Der französische Präsident, der gewöhnt ist, seine Versammlung im Griff zu haben, hatte aber nicht damit gerechnet, dass deutsche Parlamentarier in solchen Situationen die Gelegenheit zu Zwischenfragen ergreifen. Bei der Saarländerin Helma Kuhn Theis missriet ihm schon die Antwort, die ironisch herüber kam. Der Luxemburger Roger Negri rügte diese Art der Antwort als Missachtung einer Parlamentarierin. Und dann kam die Grüne Stephanie Nabinger aus dem Mainzer Landtag und forderte von Masseret Antworten zu Details in Cattenom.

Das war zu viel „Wir sind nicht dümmer als die Anderen. Hören Sie bitte auf, uns als Idioten zu betrachten. Glauben Sie doch nicht, dass sich ganz Lothringen um Cattenom versammelt, um es zu schützen», brüllte er in den Saal, stand auf und ging raus. Irgendwer rief ihm in französisch hinterher: „Schade, das Sie gehen.“

Im Ton vergriffen

Masseret hatte sich zuvor bereits im Ton vergriffen. Er sei seit 1986 Mitglied dieses Bazars (gemeint war der Interregionale Parlamentarierrat). «Ich habe wirklich genügend Sitzungen erlebt. Resultate habe ich nie gesehen“. Und dann gab er den Parlamentariern vor, dass sie sich bitte auf einige wenige Themen konzentrieren sollten, und zu diesen Themen Resultate zu produzieren hätten. Einen Zeitplan hatte er auch gleich. Bis Ende nächsten Jahres möchte Jean-Pierre Masseret Resultate sehen.

Zum Chaos wurde die Sitzung dann aber erst recht, als die saarländische Abgeordnete Helma Kuhn-Theis eine Resolution zu Cattenom vorlegte, die so formuliert war, dass sie die lothringischen „conseillers régionaux» mit dem Rücken zur Wand stellte. Nicht nur ein korrekter europäischer Stresstest wurde darin gefordert, sondern auch ein Ausstieg aus der Atomenergie und keine Verlängerung der Laufzeit von Cattenom, weil dies unverantwortlich wäre.

Streit zwischen Abgeordneten

Unglücklicherweise war diese Resolution erst am Mittwochabend, also einen Tag vor der Beratung in Metz eingetroffen, was alleine schon als Provokation erschien. Die Wogen gingen also hoch. „Wenn Sie dieses Papier brauchen, um in ihrer Region Erfolg zu haben, tun Sie mir ziemlich leid», warf der Lothringer Weber der Saarländerin an den Kopf und trat symbolisch gleich nach. Es sei unverantwortlich das Wort unverantwortlich zu benutzen. Die Mainzer schlugen vor, drei provokative Zeilen aus dem Papier herauszunehmen. Die Saarländer schlugen vor, das Papier so abzustimmen. Die Lothringer teilten mit, dass sie das Papier ablehnen würden. Dann bräuchte man gar nicht abzustimmen, antworteten die Saarländer. Und die Luxemburger beantragten eine Auszeit wie auf dem Sportplatz.

Sie fanden einen Kompromiss, indem sie statt drei Zeilen nur 1,5 Zeilen streichen wollten. Sie konnten tun, was sie wollten. Die Stimmung war aufgeheizt. Bei der Abstimmung fiel das Papier durch. Nicht wegen der Lothringer, die wie angekündigt dagegen stimmten. Der belgische Abgeordnete aus der Region Brüssel/Wallonien hatte dagegen gestimmt und damit die Mehrheit gegen die Resolution begründet.

Die Grenzen interregionaler parlamentarischer Arbeit

Die Präsidentin der Versammlung, Josianne Madelaine, zugleich Vizepräsidentin des lothringischen Regionalrates, schloss die Sitzung ohne die versöhnlichen Worte für ein schönes Weihnachtsfest, die sie sich überlegt hatte. Sie werde sie vielleicht schriftlich nachreichen, sagte sie. Im Plenarsaal herrschte eine seltsame Stimmung. Die Lothringer hatten ihn fluchtartig verlassen. Die anderen standen schweigend und mit bedrückten Gesichtern herum. „Wir haben heute die Grenzen der interregionalen parlamentarischen Arbeit erlebt“, sagte jemand aus der saarländischen Delegation.

Cattenom ist für Lothringen mehr als ein Kernkraftwerk. Die vier Reaktoren geben 1.500 Menschen Arbeit. Der französische Stromversorger EDF zahlt für Cattenom jährlich um die 120 Millionen Euro Steuern und Abgaben. Lothringen braucht Cattenom. In der Region gibt es 150.000 Arbeitslose. In die Nachbarregionen fahren 100.000 Lothringer als Grenzgänger, um ihr Brot zu verdienen. Da lässt man sich nicht mit dem Rücken an die Wand stellen.

(Helmut Wyrwich / tageblatt.lu)