Auf den ersten Blick sieht der Fluggast, der mit seiner kleinen Tochter im Flughafen von Sanaa am Gepäckband steht, aus wie ein frommer Ägypter vom Land. Doch er spricht nur gebrochen arabisch. Die struppigen langen Barthaare des Franzosen sind dunkelblond. Fünf kleine schäbige Koffer lädt er auf seinen Gepäckwagen, bevor er in der jemenitischen Nacht verschwindet. Er wirkt, als sei er gekommen um zu bleiben.
Auch mehr als zwei Jahre, nachdem der Nigerianer Omar Faruk Abdulmutallab am Weihnachtstag 2009 von einem mutigen Niederländer daran gehindert wurde, auf einem Flug nach Detroit eine Bombe zu zünden, bleibt der Jemen eine der bevorzugten Adressen für Möchtegern-Terroristen, fromme Islam-Studenten und radikale Konvertiten.
Denn wer mit den selbst ernannten Gotteskriegern des Terrornetzwerkes Al-Kaida sympathisiert, bewegt sich im Jemen nicht am Rande der Gesellschaft. Die Regierung in Sanaa arbeitet zwar offiziell mit den USA bei der Terrorbekämpfung zusammen. Doch inzwischen glauben nicht nur Verschwörungstheoretiker, dass Verantwortliche im Regime von Ex-Präsident Ali Abdullah Salih die Terroristen bis zu einem gewissen Grad auch gewähren ließen, um sich dauerhaft Militärhilfe und politische Unterstützung des Westens zu sichern.
Kampfdrohnen
Das würde auch erklären, weshalb die Extremisten seit der schrittweisen Entmachtung Salihs im vergangenen Jahr ihr Einflussgebiet ausweiten konnten. Das konnte auch die US-Armee nicht verhindern, die in den vergangenen Monaten mehrfach Kampfdrohnen einsetzte, um mutmaßliche Terroristen in der Provinz Abjan zu töten.
Neben dem harten Kern der Organisation Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel, die der US-Geheimdienst für einen der aktivsten Ableger des internationalen Terrornetzwerks hält, hat sich in den vergangenen zwölf Monaten noch eine zweite Gruppe etabliert. Diese nennt sich die Ansar al-Scharia («Anhänger des islamischen Rechts»). «Al-Kaida und Ansar al-Scharia sind zwei Seiten einer Medaille», erklärt Said al-Dschehm, Autor eines Buches über Al-Kaida.
Al-Dschehm hat sein Büro in einem weißen Zweckbau ohne Aufzug. Er empfängt seine Gäste in einem Zimmer mit Blick auf die Straße. Einen Generator besitzt er nicht. Die öffentliche Stromversorgung ist schon vor drei Stunden ausgefallen. Auch vor Sonnenuntergang ist es schon dunkel in seinem Büro. Denn seit zwei Tagen zieht ein Sandsturm über Sanaa.
Der Sandsturm als Schutzschild
Auch am 4. März 2012, dem Tag, an dem die Terroristen von Ansar al-Scharia in der Provinz Abjan einen Militärstützpunkt überfielen und 185 Soldaten töteten, herrschte Sandsturm. «Viele der jungen Kämpfer sind eher einfach gestrickt, sie glaubten, Gott habe ihnen den Sandsturm geschickt, weil sie der Sand in der Luft vor den Angriffen der jemenitischen Luftwaffe und der US-Drohnen schützt», sagt Al-Dschehm. Die Operation war aus Sicht der Terroristen ein großer Erfolg. Nach der Schlacht plünderten sie die Waffendepots der Armee im Bezirk Dofus und nahmen 72 Soldaten gefangen.
Der Terrorexperte Nabil al-Bukairi versteht sich als Teil der Revolutionsjugend, die Präsident Salih aus dem Amt gedrängt hat. Er sagt: «Diese neue Gruppe Ansar al-Scharia ist lokal, so wie die Taliban in Afghanistan. Anders als die Al-Kaida-Terroristen wollen die Kämpfer von Ansar al-Scharia keine Anschläge im Westen verüben. Im Gegensatz zu Al-Kaida haben sie auch keine Mitglieder aus Saudi-Arabien oder anderen Staaten. Die Gruppe besteht nur aus Jemeniten. Ideologisch unterscheiden sie sich zwar nicht von Al-Kaida, doch ihr Ziel ist nicht der globale Dschihad, sondern der Aufbau eines eigenen Staates. Und auf dem Weg hin zu diesem Ziel haben sie auch schon eine erste wichtige Etappe hinter sich gebracht.»
Im März 2011, als die Anti-Salih-Demonstrationen in Sanaa, Tais und Aden ihren Höhepunkt erreichten, nutzten die Terroristen die Gunst der Stunde und fielen in der Stadt Dschaar ein. Kurz darauf fiel ihnen die Stadt Zindschibar in den Schoß wie eine reife Pflaume. Die von Salihs Familie kontrollierten Sicherheitskräfte schickten zunächst keine zusätzlichen Truppen in den Süden. Lokale Kommandeure beklagten später, sie hätten sich von der Armeeführung völlig im Stich gelassen gefühlt. Das Regime habe die beiden Städte quasi kampflos an die Terroristen übergeben. Al-Bukairi ist überzeugt: «Leute aus dem Regime haben damals der Polizei und dem Geheimdienst den Befehl gegeben, Zindschibar zu verlassen. Es ist ein politisches Spiel des alten Regimes.»
Dialog mit der Regierung gesucht
Die Fanatiker von Ansar al-Scharia, die in den von ihnen kontrollierten Städten inzwischen Steuern einsammeln, die Stromversorgung organisieren und islamische Gerichte eröffnen, gebärden sich inzwischen, als seien sie Staat im Staate. «Über die Freilassung der 72 gefangenen Soldaten wollen sie mit der Staatsmacht auf Augenhöhe verhandeln», erklärt ein Anwalt, der bereits mehrfach mutmaßliche Terroristen verteidigt hat. Einige Terroristen haben inzwischen sogar die Frage gestellt, weshalb sie nicht an einem nationalen Dialog beteiligt werden, wenn die Regierung andererseits mit den schiitischen Houthi-Rebellen im Nordwesten und der Separatistenbewegung im Süden spricht.
Sam Radman (31), der in Sanaa eine Schreinerwerkstatt hat, hält nichts von den Machenschaften der militanten Islamisten. Er steht ideologisch der Muslimbruderschaft näher, die an der neuen jemenitischen Regierung beteiligt ist. Doch auch er glaubt, dass die militärische Lösung alleine im Kampf gegen den Terror nicht zum Erfolg führen wird. «Einer meiner Freude gehörte früher zu Al-Kaida», sagt er. «Er hat die Organisation dann aber verlassen, als er merkte, dass das Salih-Regime Al-Kaida unterwandert hat.»
Keine Schüler
Das schwarz-goldene Eisentor vor dem Sanaa Institut für Arabische Sprache ist an diesem trüben Märztag nicht nur wegen des Sandsturms geschlossen. Das Institut, in dem der verhinderte Flugzeugbomber aus Nigeria einst die arabische Sprache erlernt hatte, hat derzeit keine Schüler. «Die Revolution und die Kämpfe haben sie verschreckt», sagt der Hausmeister, der das schmucke Haus in der Altstadt von Sanaa bewacht. Der Dozent Osama, der dem schweigsamen Nigerianer 2006 die Feinheiten der arabischen Grammatik näher gebracht hatte, unterrichtet inzwischen in einer anderen Schule.
Ein anderer ehemaliger Dozent des Institutes erinnert sich an sein letztes Zusammentreffen mit Omar Faruk Abdulmutallab: «Es war im Fastenmonat Ramadan 2009, ich hatte ihn etwa drei Jahre nicht gesehen, doch er erkannte mich sofort. Er betete in der Al-Tawfik-Moschee am Tahrir-Platz. Er betete fast ohne Pause. Ich glaube, er war mit dem Al-Kaida-Virus schon infiziert, als er in den Jemen kam. Doch erst hier, durch den Kontakt mit der Gruppe, wurde er in seiner Überzeugung gefestigt. Das Nächste, was ich von ihm hörte, war, dass er in den USA festgenommen wurde.»
Auch im Saba Institut für Arabische Sprache und orientalische Studien, das nur drei Straßen neben dem Sanaa Institut liegt, herrscht Flaute. «Die Studenten haben Angst zu kommen. weil sie so viel über Kämpfe und Attentate im Jemen lesen», seufzt der Institutsleiter Hamudi al-Hobeischi. Er hat normalerweise durchschnittlich 25 Studenten, die bei ihm mit Privatlehrern oder in kleinen Gruppen arabisch lernen. Doch im Moment sind nur zwei Chinesen da und ein Amerikaner, der zwischendurch immer mal wieder nach Dubai verschwindet. Unter seinen Kunden sind gelegentlich auch Menschen aus dem Westen, die zum Islam konvertiert sind. «Diese Leute sind oft besonders glaubensstreng», sagt er.
Fleißige Schüler
Ob unter ihnen potenzielle Terroristen sind, kann er jedoch nicht sagen. «Es ist nicht meine Aufgabe, sie zu verhören, ich kann ihnen schließlich nicht in den Kopf gucken», erklärt er. Nur eine Gemeinsamkeit haben alle Konvertiten, die sein 2008 eröffnetes Institut bisher besucht haben: «Sie lernen besonders fleißig».
So wie ein langbärtiger Kanadier, der ein Jahr lang jeden Tag vier Stunden Sprachunterricht nahm und nebenher noch islamische Religion studierte. Sein Ziel: «Imam zu werden in Kanada.» Al-Hobeischi lächelt freundlich, während er sich ein frisches grünes Blatt in die linke Backe stopft. Es ist Nachmittag, Zeit für die Kaudroge Kat, die den Lebensrhythmus der meisten Jemeniten bestimmt. Der Institutsdirektor hat ein gewinnendes Wesen. Er sagt: «Nicht jeder Ausländer kommt in den Jemen, um sich hinterher in die Luft zu sprengen.»
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