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Von Glühbirnen und Stromnetzen

Von Glühbirnen und Stromnetzen
(Tageblatt/Didier Sylvestre)

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Mit dem Tageblatt sprach EU-Kommissar Günther Oettinger über Energie und Europa. Er war am Montagabend Gastredner einer "Bridge Forum Dialogue"-Konferenz in der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg.

Tageblatt: Europa ist, was Energie angeht, vom Ausland abhängig, und muss teuer dafür bezahlen. Warum investiert Europa nicht stärker in Energieeffizienz?

Günther Oettinger:

„Energieeffizienz spielt eine wichtige Rolle in unserer Energie-Strategie. Ich glaube, die neue Energieeffizienzrichtlinie ist ein Meilenstein für Europa. Darin schreiben wir zum ersten Mal bindende Effizienzmaßnahmen vor, die von jedem Mitgliedsstaat umgesetzt werden müssen.

Die großen Verbraucher, namentlich die Industrie, müssen bereits hohe Preise für Strom, Öl und Gas zahlen. Sie sind höher als in den USA, oder in anderen Ländern, mit denen wir im Wettbewerb stehen. Demnach haben die Firmen schon ein betriebswirtschaftliches Interesse daran, effizient zu produzieren.

Diese marktwirtschaftlichen Anreize, gekoppelt an die gesetzlichen Vorgaben, sind eine gute Mischung. Sie machen Europa zu einem weltweiten Vorreiter in Sachen Energieeffizienz.“

Doch, warum investiert die EU nicht deutlich mehr Geld in den Bau von neuen Werken und Netzen? Das würde in Südeuropa wie ein Konjunkturprogramm wirken, Europa müsste weniger importieren – und die Umwelt würde sich bedanken.

„Im gesamten Sektor hat Europa einen erheblichen Investitionsnachholbedarf. Das fängt bei Energieforschung an, geht über neue Produktionseinheiten bis hin zu Speichertechnologien und -kapazitäten. Und in der Tat ist auch Bedarf bei Stromnetzen, Gaspipelines und bei Investitionen in energiesparende Technologien vorhanden. Zudem brauchen wir eine neue Generation von smart grids und smart meters, damit der Verbraucher kompetenter agieren kann.

Die Grundlage, um das umzusetzen, ist Planungssicherheit für die Investoren. Deswegen haben wir jetzt auch die Debatte angestoßen, wie unser Energie-Mix in 2030 und selbst in 2050 aussehen könnte.

Hinzu kommt, dass der europäische Haushalt 2014-2020 einen Schwerpunkt im Bereich der Energieforschung und der Kofinanzierung von Energie-Infrastrukturprojekten und Effizienzinvestitionen in Gebäuden vorsieht.

Und mit den neuen Projektbonds – aus dem kürzlich beschlossenen Wachstumspaket – haben wir auch eine intelligente Art der Finanzierung. Das wird – über die in Luxemburg beheimatete Europäische Investitionsbank – Kofinanzierungen und die Übernahme von Garantien ermöglichen.“

Warum gibt es noch keine echten paneuropäischen Stromnetze? Bis wann sollen die gebaut werden?

„Unsere europäischen Netze sind regional aufgebaut. Da ist das Kraftwerk am Fluss – egal ob Kohle oder Kernkraftwerk (der Fluss als Kühlelement) und dann das Netz in der Region bis hin zur Industrie.

Das Netz der Zukunft aber muss paneuropäisch sein und über Interkonnektoren zwischen den Mitgliedsstaaten verfügen. Nur so kann sichergestellt werden, dass man über die nationalen Grenzen hinweg genügend Strom transportieren kann. Nur so entsteht ein Strom-Binnenmarkt.

Und für diese Infrastruktur haben wir klare Planungen. Es gilt, sie in den nächsten zehn bis 15 Jahren zu realisieren.“

Damit die Energiepreise nicht zu sehr in die Höhe schießen, empfehlen Sie, die Förderung – etwa für Solarstrom in Deutschland – zu kürzen. Wie lange sollen neue Technologien gefördert werden?

„Gerade die erneuerbaren Energien benötigen für die Markteinführung eine Anschubfinanzierung. Und, die muss garantiert sein, darf nicht rückwirkend verändert werden sonst entsteht kein Vertrauen bei den Investoren.

Aber, für jede Beihilfe muss gelten, dass sie eines Tages ausläuft. Einige Staaten haben für erneuerbare Energien 20 Jahre (und mehr) Förderung vorgesehen. Das halte ich für die absolute Obergrenze. Aber umgekehrt muss es auch eine Mindestgrenze von einigen Jahren geben, wenn ein Investor die Finanzierung hinbekommen soll.

Und wünschenswert ist es, wenn die Höhe der Förderung nicht gleich bleibt, sondern wenn sie in Stufen sinkt. Das heißt, die neue Technologie Schritt für Schritt an den Wettbewerb heranzuführen.“

Ist Strom/Energie ein Menschenrecht? Hat jeder ein Recht darauf, auch wenn er kein Geld hat?

„Strom ist ein Grundbedarfsmittel wie Brot und Wasser. Deswegen muss jeder europäische Bürger Zugang zu Strom haben. Deswegen arbeiten wir auch in UN-Einrichtungen aktiv mit, damit Strom allen Menschen weltweit – gerade auch in Afrika – in den nächsten Jahren bereitsteht.

Zudem gehört Strom, wie Wärme, Wohnung und Nahrung, zu den Grundleistungen der öffentlichen Sozialleistungen der Mitgliedsstaaten für bedürftige Menschen. Strom ist ein Grundelement eines menschenwürdigen Lebens.“

Was ist die Wahrheit? Wie teuer ist Atomstrom – verglichen mit anderen Arten der Herstellung – und was ist da mit eingerechnet?

„Eine Vollkostenrechnung zu erstellen, ist enorm schwierig. Wir sind ja auch im Stromsektor aktiv dabei, einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen und öffentliche Beihilfen kritisch zu würdigen. Aber klar ist, man kann nicht mehr direkte oder indirekte Beihilfen aus den Jahren 1970 oder 1980 aktivieren.

Umso mehr ist es wichtig, dass wir für die Zukunft jede Investition im Energiebereich und jedes neue Kraftwerk umfassend analysieren, um zu einer Vollkostenrechnung mit Transparenz zu kommen. Und dann zeigt sich, dass ein neues Kernkraftwerk – wenn man auch die Rückstellungen für den Rückbau in 50 Jahren und für die Einlagerung von nuklearen Abfällen mit einbezieht – keine besonders kostengünstige Technik ist.“

Mit wie viel Geld wird Atomkraft derzeit in der EU gefördert?

„Es gibt keine Direktförderung der Produktion aus dem europäischen Haushalt. Wir haben einige Forschungsprojekte. Da liegt der Schwerpunkt auf der sicheren und technisch hochwertigen Einlagerung von nuklearen Abfällen. Ansonsten fördern wir, mit ITER, die Kernfusion – d.h. das Gegenteil der Kernspaltung – in einem von der EU-Kommission angeführten weltweiten Forschungsprojekt.“

Wenn der schlimmste aller Fälle in Cattenom eintreten würde … Luxemburg wäre pleite … Wer würde die Rechnung bezahlen?

G.O.: „Wie bei allen industriellen Anlagen gibt es eine Haftung des Betreibers. Das gilt für eine Chemiefabrik, ein Schwertransport auf der Autobahn – und das gilt auch für Kernkraftwerke. Aber wir haben in Europa unterschiedliche Versicherungspflichten und unterschiedliche Haftungen.

Wir werden in wenigen Monaten unseren Vorschlag für eine Weiterentwicklung der Direktive über nukleare Sicherheit vorbringen. Bei der wird das Thema Haftung eine Rolle spielen. Wie das konkret aussehen soll, wird intern noch diskutiert.“

Wird Deutschland schnell genug sein, um die geplante Energiewende zu vollziehen?

„Die Abschaltung der noch aktiven neun Kernkraftwerke wird mit Sicherheit ‹just in time› vollzogen, aber der Wechsel hin zu einem neuen Energie-Mix ist sehr ehrgeizig. Möglicherweise muss Deutschland einige Kohlekraftwerke länger am Netz halten müssen als geplant, und Strommengen aus EU-Nachbarländern importieren – aber das ist in einem Binnenmarkt nichts Außergewöhnliches.“

Themenwechsel: Wie wird die Eurozone in Zukunft aussehen?

„Ich hoffe, es gibt 17 Mitgliedsstaaten. Und ich gehe davon aus, dass in diesem Jahrzehnt noch weitere Mitgliedstaaten hinzukommen. Wenn weitere Länder die Voraussetzungen erfüllen und den Beitritt realisieren, dann wäre das ein wichtiges Zeichen, dass der Euro lebt und eine der ganz starken Weltwährungen ist. Wir tun alles, damit der Euro lebendig aus der Krise kommt und ein attraktives Angebot für weitere EU-Länder bleibt.“

Wie viele Gipfel brauchen wir noch, ehe in Europa wieder Ruhe eintritt?

„Die Staatsschuldenkrise wird nicht in wenigen Monaten bewältigt sein. Ich glaube, dass uns das Thema noch eine ganze Zeit beschäftigen wird – allerdings wird es immer mehr positive Meldungen geben: Irland ist auf gutem Wege, Portugal auch. Ich traue auch Italien zu, aus den Schlagzeilen herauszukommen. Und Spanien hat erhebliche Reformen hinter sich, d.h. das Thema wird bleiben, aber die Botschaften werden zunehmend besser werden.“

Und ganz nebenbei: Ist es wahr, dass sich die vorherige Kommission bei der Abschaffung der Glühbirne hat fehlleiten lassen? Etwas Strom gespart, aber Quecksilber in jedem Haushalt …

„Wir haben das Thema von verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen genau prüfen lassen. Und die neue Generation von Beleuchtungskörpern bietet viele Vorteile, unter anderem eine längere Lebenszeit als Glühbirnen und viel weniger Stromverbrauch. Es gibt heute viel mehr alternative Technologien und Sparbirnen auf dem Markt.

Und die Quecksilberfrage haben wir intensiv geprüft: Wir können unseren Bürgern versichern, dass hier keine nennenswerten Risiken bestehen.»