Ein dunkles Verlies im Keller, schreckliche Folter und jämmerlich verhungernde Mädchen – die Verbrechen des Marc Dutroux sind voll unfassbarer Grausamkeiten. Bis ins Detail zeugen die Taten des belgischen Mädchenmörders von Sadismus, Gefühlskälte und Perversion. Sechs Mädchen entführte Dutroux, folterte und vergewaltigte sie, vier starben. Auch wenn seitdem 16 Jahre vergangen sind, sind seine Taten allgegenwärtig. Schon damals bescheinigten Sachverständige dem verurteilten Mörder, ein «perverser Psychopath» zu sein. Nun fragt sich Belgien: Kann sich dieses «Monster» ändern?
Diese Frage dürfte über das weitere Leben des 55-Jährigen entscheiden. Dutroux, der eine lebenslange Haft absitzt, will das Gefängnis verlassen. Den Antrag auf ein Leben mit elektronischer Fußfessel hat er schon gestellt – ganz legal, denn das belgische Recht räumt der Wiedereingliederung von Straffälligen große Bedeutung bei. Allerdings müssen Bedingungen erfüllt sein, um Erfolg zu haben. Die Wichtigste lautet: Dutroux muss die Gerichte davon überzeugen, dass von ihm, dem mehrfachen Mörder, keine Gefahr mehr ausgeht.
Ein anderer Mensch?
«Wenn er kein psychiatrisches Gutachten vorlegen kann, das belegt, dass er zahm geworden ist, hat er überhaupt keine Chancen», sagt der Präsident des Berufungsgerichts in Brüssel, Alex Delvaux. Erst vor zwei Wochen hatte das Gericht Dutroux Ex-Frau und Mittäterin, Michelle Martin, auf freien Fuß gelassen. Doch ihr Fall lag anders: Martin ist im Gefängnis religiös geworden und lebt in einem Kloster.
Dagegen deutet nichts darauf hin, dass die Haft aus dem Haupttäter einen anderen Menschen gemacht haben könnte. Kein Wort der Reue, keine Entschuldigung an die Eltern der kleinen Julie, Mélissa, An und Eefje ist in den langen Jahren aus dem Gefängnis gedrungen. «Er hat sich nicht geändert», räumt selbst sein Anwalt Ronny Baudewijn ein.
Die Öffentlichkeit provozieren
Juristen halten das Gesuch daher für aussichtslos – und zwar noch für viele Jahre. Und selbst wenn die Richter jemals grünes Licht gäben, könnte die Regierung durch eine Sonderklausel im Urteil die Entlassung noch für Jahre verzögern.
Dutroux weiß das alles – warum versucht er es dann trotzdem? Die Rechtsexperten sind sich einig: Das Gnadengesuch ist die Handlung eines psychisch Gestörten, der sich als selbstverliebter Narzisst in Szene setzen will. «Das ist ein großer Bluff, eine Provokation», sagt der Strafrechtler Marc Preumont. «Das ist seine Art, um auf mieseste Art und Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erhaschen. Das ist Teil seines Charakters, so kennt man Dutroux.»
Schlechte Haftbedingungen
Schon während des Prozesses 2004 war der Belgier durch seine reglose, scheinbar unbeteiligte Miene aufgefallen. Er gestand nur die Taten, die ihm nachgewiesen werden konnten. Für Schlagzeilen sorgten seine Beschwerden: Die Haftbedingungen verstießen gegen die Menschenrechte, ließ der Inhaftierte 2001 ausrichten – später trat er deswegen gar zwei Tage in den Hungerstreik.
Nachts werde in seiner Einzelzelle alle siebeneinhalb Minuten das Licht angeknipst, er müsse Leibesvisitationen über sich ergehen lassen und dürfe zu selten in den Gefängnishof klagte Dutroux, dem drei Jahre zuvor bei einem Gerichtstermin für wenige Stunden die Flucht gelungen war. Wenn er Ausgang habe, müssten Mitgefangene in ihre Zellen gehen. Aus gutem Grund: Als das Gefängnis 2010 diese Vorsichtsmaßnahme einmal vergaß, machten andere Insassen ihrem Zorn auf den verhassten Kinderschänder Luft und verprügelten Dutroux.
Der Psychopath Dutroux
«Er hat niemals seine Taten bereut, sondern er fordert nur und beschwert sich – so als ob es den Tod der Mädchen nie gegeben hätte», kommentierte die belgische Tageszeitung «Le Soir». Als typisches Merkmal von Psychopathen gilt, dass ihnen jegliches Mitgefühl und Gewissen fehlt. Im Prozess hatte eine langjährige Geliebte Dutroux als «egoistisch und eitel» charakterisiert: «Er hielt sich für den Schönsten, den Stärksten und Intelligentesten. Alles was er tat, tat er aus Eigeninteresse. Er ist ein Manipulator, er benutzt Menschen.»
Genau das will sich die belgische Gesellschaft nicht mehr bieten lassen: Manipuliert zu werden. Nach dem Bekanntwerden von Dutrouxs Gesuch blieb es in Belgien erstaunlich ruhig. Keine Proteste, keine Demonstrationen. Noch vor wenigen Wochen waren 5000 Menschen in Brüssel gegen die Freilassung seine Ex-Frau auf die Straße gegangen. Diesmal war es anders. Die Zeitung «Le Soir» schrieb, was viele dachten: «Das geht uns nichts an. Wir beachten ihn einfach nicht. Wir schenken ihm einfach keine Aufmerksamkeit.»
(Marion Trimborn/dpa/Tageblatt.lu)
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