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Mehr Mut, bitte

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(Alain Rischard/editpress)

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Plädoyer für eine Reform der EU-Institutionen und -Verträge

Noch bevor sich der Brexit-Staub gelegt hat, wird in der EU mit härteren Bandagen denn je gekämpft: Gestern hat sich die Eurogruppe erstmals wegen Defizitverstößen auf Sanktionen gegen EU-Mitgliedstaaten geeinigt. Die Höhe des Strafmaßes soll noch völlig offen sein. Die damit verbundene Botschaft ist jedoch deutlich und passt zum nicht enden wollenden Streit zwischen deutscher Vertragstreue und französischer Flexibilität. Berlin und Paris vertreten eine sich neutralisierende Finanzpolitik.

Dass Portugal und Spanien nun Milliarden zahlen oder nur mit einer Null-Euro-Strafe gerügt werden könnten, ist zunächst nebensächlich. Tatsache ist, dass Deutschland und Frankreich mit ihren jeweiligen Verbündeten für eine andere Haushaltspolitik stehen und eine ernst zu nehmende Währungsunion zunehmend in weite Ferne rückt. Selbst das Wort Baustelle wirkt optimistisch, blickt man auf die teils diametral entgegengesetzten Interessen, die nicht einmal auf dem gleichen finanzpolitischen Gelände zusammenfinden können.

Europäische Union liefert Links- und Rechtspopulisten ein gefundenes Fressen

Umso bedauerlicher ist es, dass sich Politiker aller Couleur gegen eine Reform der EU-Institutionen und -Verträge wehren. Anstatt bestehende Regelungen infrage zu stellen und absurde Bestrafungsmechanismen über Bord zu werfen, liefert die Europäische Union mal wieder Brexit-Nacheiferern sowie Links- und Rechtspopulisten ein gefundenes Fressen, um ihr EU-Bashing zu feiern. Das unbarmherzige Brüssel bestraft die ohnehin leidenden Portugiesen und Spanier … Wer solche politischen Signale generiert und sie in Kauf nimmt, um seine politische Agenda durchzuboxen, spielt mit der Zukunft und Glaubwürdigkeit der EU.

Eine realitätsfremde Form von Politik

Ein Paradebeispiel hierfür ist der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. Niemand kann dem Hardliner vorwerfen, kein überzeugter Europäer zu sein. Allerdings sind die Ablehnung von Reformen der EU-Institutionen und Aussagen wie „es ist nicht die Zeit für Visionen“ symptomatisch für eine realitätsfremde Form von Politik, die Pragmatismus fordert, aber eigentlich reiner Ideologie entspricht. Hinzu kommt, dass sich die beiden Großen den Vorwurf der Doppelstandards gefallen lassen müssen. Deutschland hat die Maastricht-Kriterien mehrmals gebrochen und musste den Kopf noch nie hinhalten. Frankreich bekommt im Gegensatz zu Spanien und Portugal wiederholt Ausnahmen beim Verletzen der Maastricht-Kriterien gestattet. Dass diese Politik nicht nur ein gefundenes Fressen für rechte und linke Rattenfänger ist, sollte offensichtlich sein. Kein normal politisch denkender Bürger kann diese Form von Willkür tolerieren. Dennoch gehört sie zur Realität von EU-Europa.

Umso wichtiger ist eine Reform bzw. eine neue Gewichtung der EU-Institutionen. Bereits während der Griechenland-Krise zeigte sich, wie ungesund der überproportional große Einfluss der Eurogruppe ist, da es sich lediglich um ein informelles Gremium handelt, das eigentlich keine Entscheidungsbefugnisse hat. Wieso wehrt sich eigentlich niemand hiergegen? Das Gleiche gilt für die schwache Rolle der EU-Kommission, die bei jeder noch so kleinen Entscheidung auf den Rat der Europäischen Union angewiesen ist. Wenn Schäuble behauptet, die EU-Kommission habe etwa in der Flüchtlingspolitik zu lange gebraucht, Lösungen zu finden, ist dies reiner Populismus. Die Nationalstaaten haben die gemeinsam gefassten Beschlüsse nicht umgesetzt. Die Pariser und Berliner Lehrmeister sollen aufhören, anderen Staaten Lektionen zu erteilen, und endlich politischen Mut beweisen, indem sie sich selbst an Regeln halten.