Denn die Eisschichten der Gletscher sind wahre Klima-Archive, die über die Veränderungen in der Atmosphäre der vergangenen Jahrtausende Auskunft geben. Mit der Gletscherschmelze in Folge der Erderwärmung droht dieser Schatz für die Wissenschaft verloren zu gehen. «Wir wollen nicht einfach aus Spaß ein paar Eiswürfel lagern», sagt der französische Forscher Jérôme Chappellaz.
«Das Eis ist eine Informationsquelle.» Denn wenn sich nach Schneefall neue Eisschichten bilden, werden winzige Luftbläschen und Partikel eingeschlossen und über Jahrtausende konserviert. So konnten Wissenschaftler über Eisproben nachweisen, wie die Erderwärmung mit Treibhausgasen zusammenhängt. Zusammen mit weiteren Kollegen aus Frankreich, Italien und Russland wird Chappellaz im August im Mont-Blanc-Massiv drei Eisbohrkerne mit einer Länge von jeweils 140 Metern aus einem Gletscher holen.
Neue Technologien
In den Eisschichten lassen sich unter anderem Luftverschmutzung und industrielle Aktivitäten in Europa nachvollziehen. 1986, das Jahr der Tschernobyl-Katastrophe, schlägt sich beispielsweise mit einer hohen Konzentration des radioaktiven Elements Cäsium 137 nieder. Vor allem aber sind Chappellaz und seine Kollegen davon überzeugt, dass der technische Fortschritt künftig noch ganz andere Analysemethoden ermöglichen wird. «Es ist unmöglich zu sagen, was in 50 oder 100 Jahren wissenschaftlich möglich ist», sagt der Forscher. «Was wird man messen können? Und was für Rückschlüsse lässt das für Umwelt, Klima oder Biologie zu?»
Zu erwarten seien beispielsweise neue Technologien bei der Erforschung der Mutation von Viren und Bakterien, die im Eis eingeschlossen sind. Die Gletscher aber schmelzen – und mit ihnen gehen die im Eis aufbewahrten Informationen verloren. Prognosen zufolge dürften die Alpen-Gletscher unter 3500 Metern Höhe bis zum Ende dieses Jahrhunderts verschwunden sein. In den südamerikanischen Anden ist der bolivianische Chacaltaya-Gletscher 2009 verschwunden, der sich auf 5300 Metern Höhe befunden hatte.
Private Spenden
Ebenfalls in Bolivien schmolz am Illimani-Gletscher in diesem Jahr wegen des Wetterphänomens «El Niño» sogar in 6000 Metern Höhe Eis weg, wie der französische Forscher Patrick Ginot, einer der Mitinitiatoren des Eisbohrkern-Projekts, sagt. Wahrscheinlich gebe es in 50 Jahren neue Methoden zur Untersuchung des Gletschereises – vielleicht aber eben kein Gletschereis mehr, das untersucht werden könnte, warnt sein Kollege Chappellaz. In den kommenden zehn Jahren wollen die Forscher daher rund 20 Eisbohrkerne in aller Welt entnehmen und in die Antarktis bringen.
Dort sollen die Proben in einer Schneehöhle in der französisch-italienischen Forschungsstation Concordia gelagert werden – mit Temperaturen von minus 50 Grad Celsius eine natürliche und sichere Tiefkühltruhe, bei der kein Stromausfall droht. Allein für die ersten fünf Jahre des Projekts brauchen die Forscher zwei Millionen Euro. Doch weil es zunächst keine konkreten Forschungsergebnisse zu erwarten gibt, können viele klassische Finanzierungsquellen nicht angezapft werden. Die Wissenschaftler sind deswegen auf private Spenden angewiesen und haben schon eine Reihe von Zusagen – passenderweise unter anderem von einem Tiefkühlkost-Konzern.
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