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Die Erneuerung

Die Erneuerung
(AFP/Lionel Bonaventure)

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Der erste Wahlgang zur Erneuerung der Nationalversammlung hat zum Zusammenbruch des traditionellen Parteiensystems geführt.

Man stelle sich vor, Alex Bodry (LSAP) in Luxemburg oder Martin Schulz (SPD) in Deutschland würden bei den jeweiligen Parlamentswahlen nicht ins Parlament gewählt. Genau das ist den Sozialisten in Frankreich geschehen. Jean-Christophe Cambadélis, Chef der PS in Frankreich, kam am vergangenen Sonntag gerade auf neun Prozent der Stimmen in seinem Wahlkreis, abgeschlagen im hinteren Feld unter den «kleinen Kandidaten».

«Die sozialistische Partei Frankreichs ist tot», sagte Jean-Marie le Guen, Ex-Minister und Mann der klaren Analysen.
Die Partei wird am kommenden Sonntag – Tag der Stichwahlen – statt fast mit 300 Abgeordneten gerade noch mit 13 bis 23 in die Nationalversammlung einziehen. Nach dem ersten Wahlgang hat sich ein Elefanten-Friedhof aufgetan. Cambadélis führt ihn an, Aurélie Filippetti, Ex-Kulturministerin und Abgeordnete aus Metz, gehört dazu wie auch Elisabeth Guigou, ehemalige Justizministerin. Über 200 Abgeordnete der Sozialisten finden sich dort wieder.

Junge Köpfe

Die politische Kaste in Frankreich wurde abgestraft. Sie hatte den Kontakt zum Leben der Franzosen verloren. Ihr hörte niemand mehr zu, die hohlen Phrasen von Werten und fehlende überzeugende Programme charakterisierten sie. Frankreichs Wähler hatten zwei Möglichkeiten: den rechtsradikalen Front national an die Macht zu bringen oder es noch einmal anders zu versuchen, mit Emmanuel Macron.

Macron traf mit seinem Slogan, «weder rechts noch links», die Franzosen. Sie wollten seit langem eine Regierung, die aus den Schemata rechts-links ausbricht. Macron bot sie ihnen mit konservativen Politikern, mit starken linken Köpfen, mit dem Zentrum. Den abgenutzten Begriff der «Regierung der nationalen Einheit» benutzte er nicht. Macron bot mit seiner Bewegung «La République en marche» junge Köpfe auf, zum überwiegenden Teil Menschen, in denen sich die Wähler wiedererkannt haben.

Der Angstfaktor

Während sich allerdings die Linken überwiegend selber mit Programm und Spitzenkandidat der fundamentalistischen Linken zerlegten, brachte er die Konservativen bewusst aus dem Konzept. Die wesentlichen Punkte seines Programms konnten von den Konservativen gestützt werden. Sie standen schon bei der Wahl Macrons zum Staatspräsidenten vor der Frage, wie sie mit ihm umgehen sollten. Die Entscheidung zwischen harter Opposition und Kooperation oder gar Koalition zerreißt die Konservativen, die mit etwa 100 Sitzen rechnen können.

Führende Köpfe der Konservativen – wie die Präsidentin der Region Ile de France, Valéry Pécresse, – rufen die Wähler zu einer «republikanischen Wahl» auf. Ein Begriff, der sonst nur in der Auseinandersetzung mit den Rechtsradikalen benutzt wird. Auch sonst sind die Konservativen nicht pingelig in der Wahl ihrer Sprache und im Kampf ums Überleben in der Nationalversammlung. Wenn es in der Nationalversammlung 400 bis 440 «Macronisten» gäbe, dann gäbe es keine Opposition mehr, die dann auf der Straße stattfände, warnt Jean-François Copé, unseliger Ex-Vorsitzender der Konservativen. Er versucht, den Angstfaktor zu spielen.

Wahlmüdes Volk

Andere Argumente lauten, dass das Parlament keine Demokratie mehr widerspiegeln würde, wenn Macron mit 400 bis 440 Abgeordneten dort einziehen würde. Das sind Argumente, die am Wähler vorbeigehen. Frankreichs Wähler sind müde. Seit neun Monaten werden sie mit Wahlen der Parteikandidaten, Fernsehdiskussionen, dem ersten und dem zweiten Wahlgang zur Präsidentschaft und nun mit den Wahlen zur Nationalversammlung beschäftigt. Die Folge: Nur jeder Zweite ging zur Wahl.

Das wirkte sich insbesondere bei den Parteien aus, die sich links außen oder rechts außen befinden. Deren Anhänger fehlten. Sie erhielten weniger Stimmen, konnten sich nicht in dem erhofften Maße durchsetzen. Die Bewegung der «nicht-unterdrückten Franzosen!», die sich selbst schon als wichtigste Oppositionspartei sah, wird es gerade auf 15 bis 25 bringen. Sie muss, wie die Sozialisten derzeit, darum zittern, jene 15 Abgeordnete zusammenzubringen, die ihnen den Fraktionsstatus bringen.

FN-Wahlziel verfehlt

Noch härter wird die Situation für die Rechtsradikalen. Sie hatten getönt, dass sie mit mindestens 15 Abgeordneten in die Nationalversammlung einziehen würden. Die Enttäuschung begann am Wahlabend damit, dass der Generalsekretär nicht in die Stichwahl kam. Insgesamt wird der Front national mit einem bis vier Abgeordneten in die Nationalversammlung einziehen. Dazu könnte Marine Le Pen gehören, die sich in ihrem Wahlkreis ohne Probleme für die Stichwahl qualifizierte. Zum Fraktionsstatus wird es allerdings nicht reichen. Der Front national hat sein Wahlziel verfehlt und befindet sich nach der verfehlten Präsidentschaftswahl zum zweiten Male auf der Verliererstraße.

Bisher hatten sich die großen Parteien mit ihrem Wahlsystem vor den Radikalen auf der linken und auf der rechten Seite mit einem Mehrheitswahlystem geschützt. Für die Stichwahl konnten sich nur die beiden Besten, unter Umständen die drei Besten, qualifizieren. In der Stichwahl braucht es dann bei zwei Kandidaten die absolute Mehrheit. Der Front national ist bisher an diesem System immer gescheitert, das allerdings in Frankreich immer mehr als ungerecht empfunden wird. Macron denkt an die Einführung des Verhältniswahlrechtes nach deutschem Muster.

Der Macronismus wird bei einem Abgeordnetenbestand von 400 bis 440 nach der Stichwahl die nötige Freiheit gegenüber seinem Partner Zentrumspartei (Modem) haben. Die absolute Mehrheit liegt bei 289 Abgeordneten. Würde im Laufe des Mandates von fünf Jahren eine Krise mit dem Zentrum ausbrechen, hätte Macron die Freiheit, sich ohne Schaden von seinem Partner zu trennen.