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Über Moral in der Politik

Das Frankreich des Emmanuel Macron erlebt derzeit sein erstes politisches Erdbeben. Drei Minister des liberalen Bündnispartners MoDem haben die Regierung verlassen. Die spektakulärste Demission war die vom nunmehr Ex-Justizminister und ewigen Kandidaten auf das Präsidentenamt François Bayrou. Zuvor bereits hatte der ehemalige Generalsekretär von Macrons La République en marche Richard Ferrand seinen Ministersessel verlassen. Er wird Fraktionschef der LREM-Fraktion in der „Assemblée“.

Aus der kleinen Regierungsumbildung, wie nach den Wahlen angekündigt, wurde demnach eine große. Die vier mussten das Kabinett verlassen, weil sie in die Fänge der Justiz gerieten. Die drei MoDem-Politiker hängen in einer Scheinbeschäftigungsaffäre um Parteimitarbeiter. Ferrand muss sich wegen Günstlingswirtschaft verantworten.

Wer auf die Flecken an der Weste des Gegenübers zeigt, muss beweisen, dass seine bei 90 Grad gewaschen wurde und weißer nicht sein kann. Das von Macron und seiner Bewegung gegebene Versprechen, mit dem alten System des politischen Selbstbedienungsladens und „unanständiger“ Deals aufzuräumen, hat demnach erste Opfer gefordert. Hut ab vor so viel politischer Redlichkeit. Eine andere Frage freilich ist, ob die den Ex-Ministern gemachten Vorwürfe wirklich mit Straftaten zu vergleichen sind, die radikale Schritte fordern. Der Trick, Gelder vom Europarlament abzuzweigen, um Parteifunktionäre zu bezahlen, war keine Spezialität der Bayrou-Partei. Ob die Chose illegal ist, werden die Richter entscheiden. Wäre das der Fall, müsste nicht bloß das politische System infrage gestellt werden, schließlich war derlei Handel seit Jahren gängige Praxis in der Pariser Politikwelt.

Ähnliches ließe sich zu der Affäre um Richard Ferrand sagen. Die ihm zur Last gelegte Begünstigung einer Lebenspartnerin als Immobilienbetreiberin bei der Anmietung von Büros des von Ferrand geleiteten Mutualitätenverbandes war scheinbar nicht so ungewöhnlich, hat sich doch die für Finanzdelikte zuständige Staatsanwaltschaft für nicht zuständig erklärt. Ad acta gelegt hat die Justiz das Dossier dennoch nicht.

Unabhängig von den Richtersprüchen: Die Affären, die Frankreichs Politikerwelt derzeit erschüttern, sind, von moralischer Warte aus betrachtet, bedenklich. Nur wo findet sich der Politiker und die Politikerin, der oder die im früheren Leben nichts tat, das auch Jahre später moralisch unanfechtbar bliebe?
Luxemburger Beispiele gefällig? Anwälte und Vermögensverwalter, die eifrig an Steuervermeidungskonstrukten wirkten, wie sie in den Panama Papers aufgedeckt wurden, wobei einer von ihnen es sogar bis in die Regierung schaffte.
Natürlich ist es begrüßenswert, wenn Mängel und Verfehlungen von Personen aufgedeckt werden, die per se als gute Vorbilder dienen sollten, weil sie bei Wahlen um das Vertrauen ihrer Mitbürger werben. Doch kann man von seinen Gewählten wirklich erwarten, dass sie in absolut allen Bereichen auf einer höheren Stufe stehen als die meisten ihrer Wähler?

Supermänner und Superfrauen gibt es nur in Comics. Beurteilen sollte man die Politiker eher nach dem, was sie für ihre Bürger konkret unternehmen. Eine erste Gelegenheit dazu wird sich den französischen Wählern bereits in wenigen Wochen ergeben, wenn das Arbeitsrecht aufgeweicht, pardon, reformiert wird.