Den Bossen beim iranischen Staatsfernsehen dürften am Freitag wieder die Finger jucken. Alles andere als ein erneutes, dröhnend lautes Schweigen der Nationalspieler bei der Hymne vor dem wichtigen WM-Spiel gegen Wales wäre überraschend. Alles andere als Zensur durch die regimetreuen TV-Macher auch. Doch manchen Experten geht der Protest von Irans Fußballern nicht weit genug.
„Dieses kollektive Schweigen könnte ein Anfang sein für einen Stimmungsumschwung, aber es ist nicht ausreichend“, sagte Iran-Insider und Sportjournalist Farid Ashrafian im Interview mit dem NDR: „Die vorherige Positionierung der Nationalmannschaft, die sich über viele Wochen hinweg manifestiert hat, war deutlich stärker als dieses kurzfristige Signal.“
Ashrafian forderte nach dem Schweigen bei der Auftaktpartie gegen England (2:6) vom vergangenen Montag, die Bilder waren sofort um die Welt gegangen, „weitere Zeichen“. Die Eindrücke, welche die Mannschaft vor der WM hinterlassen hat, wiegen scheinbar noch zu schwer. Auch bei der Aktion vor dem England-Spiel hatten sich bei den iranischen Fans auf der Tribüne Rufe der Ablehnung in den Jubel gemischt.
Zensur im Staatsfernsehen
Doch warum? Vor dem Abflug nach Katar hatte das Team den Staatspräsidenten Ebrahim Raisi besucht und ein Trikot überreicht, danach brannten bei den Aufständen gegen das Regime Bilder der Nationalmannschaft, Team Melli, das immer das ganze Land einte, war plötzlich „Team Mullah“. Im Internet wünschten sich viele Iraner, die seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini trotz brutaler Staatsgewalt unaufhörlich gegen die Unterdrückung demonstrieren, eine möglichst hohe Niederlage zum WM-Start.
„Sympathiebekundungen für den Gegner der iranischen Nationalmannschaft haben absoluten Seltenheitswert“, erklärte Ashrafian: „Mehrheitlich kann man gegenwärtig beobachten, dass die Nationalmannschaft nicht als Vertreter des Volkes gesehen wird.“ Um etwas daran zu ändern, bräuchte es wahrscheinlich wirklich ein noch klareres Signal rund um das Spiel gegen die Waliser (11.00 Uhr MEZ) im Ahmad-bin-Ali-Stadion in Umm Al-Afei, bei dem Iran dringend einen Sieg benötigt, um die Chance auf das Achtelfinale zu wahren.
Um den Sport dürfte es jedoch nur am Rande gehen. Vor dem ersten Spiel hatte das Staatsfernsehen prompt weggeschnitten, als offensichtlich war, dass kein Spieler die Hymne mitsingt. Als Anhänger in der Schlussphase „Freiheit, Freiheit“ skandierten, wurde gar der Ton abgedreht. Darüber hinaus stellt sich mehr und mehr die Frage, welche Konsequenzen der Mannschaft für ihren Protest drohen könnten. Während in Medien über Strafen von Sperren bis zum Todesurteil spekuliert wird, glaubt Ashrafian nicht an solche drastischen Szenarien.
Sollte ein Nationalspieler die Hymne nicht mitsingen, sagte er, werde jener „vom Regime ignoriert, und vielleicht wird auch sein familiäres Umfeld belästigt. Er könnte zudem in der regimetreuen Presse negativ dargestellt werden. Aber das Nicht-Mitsingen der Hymne wird für die Nationalspieler keine wirklich schmerzhaften Konsequenzen haben.“
Der Promi-Bonus schützt also. Festgenommen würde ein aktiver Nationalspieler erst, so Ashrafian, „wenn er beispielsweise auf der Straße aktiv gegen das Regime Parolen skandiert“. Und dass sich Irans Fußballer dies vor dem Wales-Spiel trauen, darf doch stark bezweifelt werden. (SID)
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können